Klimawandel in Deutschland:Bedrohung durch Orkane wächst

Es gibt nicht mehr Stürme in Deutschland als früher - aber in Zukunft werden sie stärker sein, warnen Klimaforscher. Und schon jetzt sind wir schlecht auf Orkane vorbereitet.

Axel Bojanowski

Als im Januar der Orkan Kyrill über Deutschland wütete, erkannten viele Menschen darin eine Folge der Klimaerwärmung. Ein Trugschluss, wie Experten in dieser Woche auf der internationalen Meteorologen-Tagung "DACH 2007" in Hamburg feststellten.

Klimawandel in Deutschland: Folgen des Orkans "Kyrill", der im Januar über Deutschland hinwegfegte.

Folgen des Orkans "Kyrill", der im Januar über Deutschland hinwegfegte.

(Foto: Foto: dpa)

Es gibt in Deutschland nicht mehr Stürme als früher. Für Ende des Jahrhunderts jedoch erwarten die Fachleute stärkere Winde. Welche Konsequenzen drohen, wurde nun berechnet.

Sturmprognosen müssen nicht immer zutreffen, resümierten Experten des GKSS-Forschungszentrums Geesthacht auf der DACH-Tagung: Nachdem die Anzahl der Stürme 30 Jahre lang zugenommen hatte, warnten Versicherungen Mitte der 1990er Jahre, dass sich dieser beunruhigende Trend fortsetzen werde.

Sie sollten sich irren: Fortan gab es sogar weniger Stürme. Die Sturmaktivität liege trotz globaler Erwärmung auf dem Niveau der vergangenen Jahrhunderte, erklärte der Klimatologe Hans von Storch vom GKSS.

Ein Einfluss der zum Teil menschengemachten Erwärmung auf Starkwinde in Europa lasse sich derzeit nicht erkennen, bestätigte Gregor Leckebusch von der Freien Universität Berlin. Bis zum Jahr 2030 seien die Küsten ausreichend vor Sturmfluten geschützt, erklärte von Storch. Auch im Binnenland seien in naher Zukunft wohl kaum mehr Sturmschäden zu erwarten als sonst.

Bis zum Ende des Jahrhunderts jedoch könnte der Wind durchschnittlich um zehn Prozent stärker wehen als heute, sofern ungebremst Treibhausgase in die Luft gepustet werden, haben die GKSS-Forscher mit Klimamodellen berechnet.

Die Aussagekraft derartiger Computersimulationen sei allerdings umstritten, räumt von Storch ein. Manches spreche aber dafür, dass die Modelle realistische Prognosen lieferten: Sie reproduzierten beispielsweise auf korrekte Weise jahreszeitliche Klimaschwankungen, etwa den Jahresgang von Monsun- und Passatzonen.

Dennoch bleibe unklar, welche Veränderungen im Klima für stärkere Winde Ende des Jahrhunderts sorgen könnten. "Das System ist zu komplex, um einzelne Ursachen herauszufiltern", sagt von Storch.

Die Zahl der Stürme bestimmt vor allem eine gewaltige Luftturbine über dem Atlantik, die sogenannte Nordatlantische Oszillation (NAO), berichtete Sylvin Müller-Navarra vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie auf der Tagung in Hamburg.

Versicherungen warnen

Diese schwankt auf natürliche Weise: Je nach Ausmaß des Luftdruckunterschieds über dem Atlantik werden unterschiedlich starke Winde nach Europa gefächert. Wie sich eine Klimaerwärmung auf die NAO auswirke, sei unklar, sagt von Storch. Die meisten Klimamodelle zeigen gleichwohl, dass sich zum Ende des Jahrhunderts die Zugbahnen von Tiefdruckgebieten verstärkt nach Mitteleuropa verlagern könnten.

Über die zu erwartenden Sturmstärken sind die Experten uneins. Die dramatischste Warnung stammt abermals von einer Versicherung: 2085 würden Starkwinde in Deutschland mehr als doppelt so große Schäden verursachen wie 1975, mahnte der Schweizer Rückversicherer Swiss Re Anfang dieses Jahres.

Gregor Leckebusch und seine Kollegen haben nun ebenfalls eine Zunahme der Sturmschäden berechnet. Ihre Szenarien fielen jedoch weniger dramatisch aus als die der Swiss Re, sagt Uwe Ulbrich von der FU Berlin: "Unsere Modelle zeigen, dass die durchschnittliche Windstärke Ende des Jahrhunderts lediglich um fünf Prozent zunehmen wird."

Jedoch könnten auch fünf Prozent mehr Wind fatale Auswirkungen haben, sagt Ulbrich. Den Effekt hätten die FU-Forscher anhand von Versicherungsdaten nachgewiesen, berichtet Ulbrich. Die Schadensschwelle variiere von Region zu Region. Während viele Bauten in Süddeutschland bei Windstärke acht Schäden davontragen, halten Gebäude an der Nordsee diese Windstärke meist gut aus.

Die Sturmprognosen werden Folgen für den Deichbau haben. "Ab der Mitte des Jahrhunderts muss man wohl über verschärfte Küstenschutzmaßnahmen nachdenken", sagt von Storch. Bis 2085 würden sturmbedingte Hochwasser in Cuxhaven an der Nordsee vermutlich um einen halben Meter, in Hamburg um 70 Zentimeter höher auflaufen, berichtete Katja Woth vom GKSS - entsprechend müssten die Deiche erhöht werden.

Ursache sei vor allem der erwartete Meeresspiegelanstieg. Die umstrittene Vertiefung der Elbe beeinflusse die Höhe des Hochwassers allerdings kaum, erklärte Elisabeth Rudolph von der Bundesanstalt für Wasserbau auf der Tagung.

Bedrohung durch Orkane wächst

Auch Westdeutschland müsse Ende des Jahrhunderts mit größeren Sturmschäden rechnen, berichtete Joaquim Pinto von der Universität Köln. Wie schwerwiegend sie ausfielen, hänge entscheidend davon ab, wie viele Gebäude windsicher verstärkt würden.

80 Milliarden Euro Schaden

Wie teuer Stürme werden können, berechneten Experten anhand von Lothar, der Weihnachten 1999 in Deutschland 18 Menschen tötete und europaweit Schäden von rund 11 Milliarden Euro verursachte.

Ein solcher Sturm wiederhole sich im Schnitt etwa alle zehn Jahre, haben Paul Della-Marta und Hubert Mathis von Meteo-Schweiz berechnet. Hätte Lothar eine andere Bahn genommen, wäre er zum Höchstschadensfall geworden, berichtet der Münchener Rück: Eine Sturmfront von Hamburg bis Frankfurt, die durch das Rhein-Ruhr-Gebiet zöge, könnte die Volkswirtschaft gut und gern 80 Milliarden Euro kosten, kalkuliert die Rückversicherung.

Eine deutliche Warnung sprach Gudrun Rosenhagen vom Deutschen Wetterdienst auf der DACH-Tagung für die Ostseeküste aus. Ein seltener Witterungsumschwung könne verheerende Fluten auslösen: Sollte starker Westwind Wasser von der Nordsee in die Ostsee treiben, wo es an die Ufer des Baltikums gepresst wird, sei das ein Alarmsignal. Dreht der Wind auf Nordost, könne das Wasser wie in einer Badewanne zurückschwappen.

Der Pegel in der westlichen Ostsee könne dann um mehr als drei Meter nach oben schnellen, berichtet Rosenhagen. Die deutsche Ostseeküste sei im Gegensatz zur Nordseeküste völlig unzureichend mit Deichen geschützt.

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