Klimawandel in den Alpen:Zerronnen zwischen den Tälern

Bereits in 20 Jahren beginnt das große Gletschersterben in den Alpen. Und bis 2050 werden sie weitgehend verschwunden sein, warnen Schweizer Wissenschaftler.

Gerd Zitzelsberger

Die Annahmen sind schon optimistisch, das Ergebnis ist gleichwohl bedrückend: Bereits in 20 Jahren beginnt das große Gletschersterben in den Alpen. Es geht dann nicht mehr - wie jetzt - um das Schwinden des Eises, sondern um das vollständige Zerschmelzen vieler Gletscher.

Klimawandel in den Alpen

Bis zum Jahr 2050 wird im Schweizer Engadin, der Gegend um St. Moritz, jeder zweite Gletscher verschwinden.

(Foto: Foto: AP)

Aufzuhalten dürfte die Entwicklung kaum sein, allenfalls etwas zu verlangsamen, sagen die Wissenschaftler des Schweizer Projekts Gisalp jetzt in ihrem Abschlussbericht.

Sie haben nicht einmal die volle, inzwischen zu erwartende Erwärmung eingesetzt und kommen dennoch auf alarmierende Zahlen. Bereits bis zum Jahr 2050 wird etwa im Schweizer Engadin, also der Gegend um St. Moritz, jeder zweite Gletscher verschwinden. Von heute 45 Gletschern werden in 40 Jahren nur gut 20 übrig sein.

Das Engadin, sagt Wilfried Haeberli, Projektleiter von Gisalp, ist repräsentativ für das Hochgebirge; die Ergebnisse ließen sich auf den gesamten Alpenraum übertragen.

Für den Geographen von der Universität Zürich heißt das: Von den gegenwärtig 2000 Quadratkilometern Gletscherfläche in den Alpen ist in 40Jahren die Hälfte verschwunden. Zu befürchten sei sogar, dass es noch schlimmer komme.

Denn bei Gisalp nahmen die Wissenschaftler einen Anstieg der Durchschnittstemperatur um 1,6 Grad bis zum Jahr 2050 an. Inzwischen aber erwarte man bis dahin für die Schweiz einen Anstieg um 2,5 Grad. Hochgerechnet bedeute dies für die gesamten Alpen, dass in 40 Jahren nur noch ein Viertel der heutigen Gletscherfläche übrig ist.

"Die leuchtenden Firn- und Eisflächen mit ihrem Symbolcharakter für eine reine unberührte Natur dürften für Generationen durch monotone Schutt- und Felsfluren ersetzt werden", heißt es in dem Schlussbericht. Schon jetzt sehen Besucher der Alpen, wie die Gletscher schrumpfen. Skipisten, die früher ganzjährig befahrbar waren, müssen mittlerweile künstlich beschneit werden.

Der Roseg-Gletscher im Engadin hat sich bisher im Durchschnitt um jährlich 36 Meter verkürzt. Nach Simulationen der Züricher Wissenschaftler verstärkt sich dieser Trend in den kommenden Jahren massiv.

Für die Jahre bis 2025 müsse man mit einem jährlichen Rückgang von 73 Metern rechnen. Ab dem Jahr 2025 verschwinden dann Gletscher in großer Zahl ganz aus den Alpen. Selbst bei der Bernina-Gruppe, die auf gut 4000 Meter hinaufreicht, werde bis zum Jahr 2100 das Eis wohl weitgehend schmelzen, heißt es in dem Gisalp-Abschlussbericht.

Beim Sterben der Gletscher geht es nicht nur um schwindende Naturschönheit, sondern ebenso um Europas Wasserhaushalt: Derzeit puffern die Gletscher die Niederschläge. Den Sommer über sorgt dann das Schmelzwasser dafür, dass die Pegelstände an Rhein und Rhône Schifffahrt erlauben. Ab 2025 aber, so Haeberli, müsse man sich auf Niedrigwasser einstellen.

Neue Seen im Engadin

Mit der Schmelze, so die Züricher Wissenschaftler, dürften neue Seen in heute gletscherbedeckten Tälern und oft am Rande von Steilflanken entstehen. Schon bald könnten sich solche Seen im Engadin etwa am Fuße des Piz Bernina oder unterhalb des Piz Palü bilden. Landschaftlich sei das zwar eine Bereicherung. Aber die Gefahr nehme erheblich zu, dass dieses Wasser sich plötzlich ins Tal ergießt oder Erdrutsche verursacht.

Das Risiko von Schlamm- und Gerölllawinen erhöht sich noch dadurch, dass mit der Klimaveränderung auch der Permafrost in Teilen des Hochgebirges verschwindet. Dann drohen nicht nur Stützmasten von Seilbahnen umzufallen oder Hütten abzurutschen. Gegenwärtig hält schließlich der Permafrost, der oft ein-oder zweihundert Meter ins Gestein reicht, die Hänge zusammen. Wenn der Permafrost nachlässt, werden Felsstürze zu einem unkalkulierbaren Risiko.

Pontresina, eine Nachbargemeinde von St. Moritz, sieht sich schon zur Vorsorge gezwungen: Sie hat zwei riesige Wälle - betonverstärkt, 15 Meter dick und 20 Meter hoch - am Hang oberhalb des Dorfes errichten lassen. Im Sommer 2025 wird man in der Schweiz wohl viele solcher Wälle sehen und wenig vom ewigen Eis.

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