Klimawandel:Geologen ticken anders

Geologen bemessen Klimaverschiebungen in langen Zeiträumen - in sehr langen. Was wir als dramatische Veränderungen wahrnehmen, ist für sie oft nur ein kurzfristiger Trend. Das zeigen zwei neue Bücher.

C. Jostmann

Geologen pflegen ihren eigenen Umgang mit der Zeit. Die Erdgeschichte messen sie in Ma. Das steht für Mega-Annus und bezeichnet eine Million Jahre. Selbst Gott rechnet in kleinerer Münze: "Tausend Jahre sind vor Dir wie ein Tag", sagt der Psalmist.

Klimawandel: Geologen blicken mit anderen Augen auf die Welt - und beurteilen manch scheinbar beunruhigende Entwicklung mit großer Gelassenheit.

Geologen blicken mit anderen Augen auf die Welt - und beurteilen manch scheinbar beunruhigende Entwicklung mit großer Gelassenheit.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Erde aber ist 4550 Ma alt - sagt der Geologe. Und der Schriftsteller Alfred Komarek sagt daher treffend, in einer Umfrage zum Internationalen Jahr des Planeten Erde, das die UN für 2008 ausgerufen hat: "Geologie ist Gelassenheit."

Die Gelassenheit des Geologen demonstriert Salomon Kroonenberg in seinem Buch "Der lange Zyklus", das unter dem Titel "Das menschliche Maß" zuerst in den Niederlanden erschienen ist und dort die Debatte um den globalen Klimawandel aufgemischt hat.

Mit dem menschlichen Maß meint Kroonenberg unsere Wahrnehmung von Zeit, die allenfalls bis zur übernächsten Generation reicht. Für das Verständnis natürlicher Prozesse, so Kroonenberg, reicht dieses Maß nicht aus.

Die Prognosen des definitionsmächtigen Intergovernmental Panel on Climate Change gehen bis zum Jahr 2100, erdgeschichtlich betrachtet ein lächerlich kurzer Zeitraum. Selbst wenn man wie der Hamburger Meteorologe Klaus Hasselmann die Entwicklung bis ins Jahr 3000 durchrechnet, ist das nicht lang. Tausend Jahre - vom Alter der Erde auf die Lebenserwartung eines Mitteleuropäers übertragen wären das gerade achteinhalb Minuten.

Nun können achteinhalb Minuten ausreichen, um ein Lebewesen zu zerstören. Aber der Menschheit wird das mit der Erde nicht gelingen, zumindest nicht durch C02-Ausstoß fossiler Brennstoffe, die irgendwann zu Ende gehen.

Selbst wenn wir sie bis auf den letzten Rest verheizen, wird die globale Durchschnittstemperatur nur um ein paar Grad ansteigen: Nichts, was die Erde nicht schon erlebt hätte, zuletzt in der Eem-Warmzeit vor 130.000 Jahren oder davor, während 60 Ma, in der Kreide und im Tertiär. Damals war auch mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre, als selbst Worst-Case-Szenarien es für die nächste Zeit vorhersagen.

Schwankungen des Kaspischen Meeres

Den Klimaschützern geht es laut Kroonenberg wie dem Landeswasserwirtschaftsamt Astrachan zu Anfang der neunziger Jahre: Das Kaspische Meer, das größte Binnengewässer der Welt, war seit anderthalb Jahrzehnten um 15 Zentimeter pro Jahr gestiegen - das heißt, pro Jahr so viel wie der globale Meeresspiegel im gesamten 20. Jahrhundert - und es drohte weite Landstriche zu verschlucken.

Die verzweifelten russischen Behörden riefen Kroonenberg und seine Kollegen, weil sie sich von den Niederländern Hilfe erhofften, trotzen die doch seit Jahrhunderten auf ihren Poldern der Nordsee. Aber bevor die Experten irgendetwas raten konnten, begann das Kaspische Meer von einem Jahr zum anderen wieder zu sinken.

Der richtige Umgang mit Klimaveränderungen - was Geologen empfehlen lesen Sie auf Seite zwei.

Geologen ticken anders

Untersuchungen ergaben, dass es seit Jahrmillionen steigt und fällt, ohne dass man wüsste, warum. Je längere Zeiträume man betrachtet, desto größer sind die Schwankungen. Man sieht das schön an alten Festungen, von denen manche heute tief unter dem Wasser, andere meterhoch darüber liegen.

Allein im 20. Jahrhundert hat das Kaspische Meer dreimal aller menschlichen Prognosen gespottet. Bevor es 1977 plötzlich rasant zu steigen begann, machten sich die Leute Sorgen, dass es trocken fallen würde.

Kroonenberg kritisiert, dass die meisten Prognosen nur auf aktuellen Trends beruhen, obwohl langfristig stets mit einer Trendumkehr zu rechnen ist, beim globalen Klima nicht anders als beim Kaspischen Meer. Auch wenn die Temperaturen derzeit steigen: Die nächste Eiszeit ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Auf Hausboote ziehen

Das liegt an zyklischen Schwankungen der Sonneneinstrahlung, die mit der Bewegung der Erde im Orbit zu tun haben und die nach einem serbischen Mathematiker Milankovic-Zyklen genannt werden. Kroonenberg hält die Milankovic-Zyklen für so robust, dass sie sich durch menschliche Aktivitäten nicht beirren lassen. Demnach ist in etwa 10.000 Jahren mit der nächsten Eiszeit zu rechnen.

Und noch mit anderem ist zu rechnen: mit Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Tsunamis, Sturmfluten, Meteoriten-Einschlägen und dergleichen mehr. Auch solche Naturereignisse wiederholen sich in Zyklen, und wieder gilt: Je länger der Zyklus, desto größere Ereignisse sind zu erwarten.

Zum Beispiel ein Vulkanausbruch wie der des Toba auf Sumatra vor 75.000 Jahren. Er bescherte der Erde einen tausendjährigen Winter und brachte einer Theorie zufolge den Homo sapiens an den Rand des Aussterbens. Kroonenberg will mit solchen Szenarien keinem Fatalismus das Wort reden.

Der Mensch soll sich unbedingt gegen Naturkatastrophen wappnen, indem er gefährdete Zonen meidet oder, wo das nicht möglich ist, Deiche baut, Evakuierungspläne erstellt oder auf Hausboote umzieht. Aber er soll nicht panisch auf kleine Schwankungen in der Klimakurve starren, die langfristig unbedeutend sind.

Kroonenbergs Buch ist fundiert und mit Witz geschrieben, wenn auch nicht frei von Effekthascherei und polemisch-einseitigen Aussagen. Nicht jeder Wissenschaftler hält die Milankovic-Zyklen für so robust wie er. Dennoch ist es ein wohltuendes Antidot gegen die Klima-Apokalyptik und nebenbei eine unterhaltsame Erzählung über Geologie als Passion.

Von dieser Passion handelt auch Peter Rothes "Die Erde", das im selben Verlag erschienen ist und eine sehr anschauliche, wunderschön bebilderte Einführung in die Geologie bietet.

Was die "Eiszeiten und Heißzeiten" des Planeten angeht, vertritt Rothe, wenn auch nicht so vehement, eine ähnliche Ansicht wie Kroonenberg: "Unser Hauptproblem bei der gegenwärtigen Klimadiskussion scheint mir, dass wir nicht fähig sind, über unsere gewohnten Zeitvorstellungen hinaus zu denken." Dass der Meeresspiegel schwankt, gehöre nun einmal zum geologischen Geschehen, seitdem es Wasser auf der Erde gibt.

SALOMON KROONENBERG: Der lange Zyklus. Die Erde in zehntausend Jahren. Primus Verlag, Darmstadt 2008. 256 Seiten, 24,90 Euro.

PETER ROTHE: Die Erde. Alles über Erdgeschichte, Plattentektonik, Vulkane, Erdbeben, Gesteine und Fossilien. Primus Verlag, Darmstadt 2008. 192 Seiten, ca. 200 farb. Abb., 39,90 Euro.

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