Klimawandel-Folgen:"Wir werden andere Krankheiten bekommen"

Immer mehr exotische Krankheiten erreichen Europa - die Erreger profitieren von der Erderwärmung und der Globalisierung.

Katrin Blawat

Nie zuvor ist es Lyle Petersen so dreckig gegangen wie im Sommer 2003. In der Abenddämmerung wollte er noch schnell in seiner Heimatstadt in Colorado die Post vorn an der Straße holen, ohne Mückenschutz ausnahmsweise.

Klimawandel-Folgen: Gegen die bekannten Erreger wie Malaria mag man sich in Europa schützen können - doch die Gefahr lauert in bislang noch unentdeckten Viren.

Gegen die bekannten Erreger wie Malaria mag man sich in Europa schützen können - doch die Gefahr lauert in bislang noch unentdeckten Viren.

(Foto: Foto: AP)

Er würde ja nur kurz draußen sein. Auf der Straße traf er Freunde, sie unterhielten sich ein paar Minuten und flüchteten erst ins Haus, als die gierig umherschwirrenden Mücken zu lästig wurden.

Zwei Tage später fingen die Qualen an. Fast 40 Grad Fieber, die Muskeln vor Schmerzen beinahe bewegungsunfähig, die Haut juckte und brannte, dazu diese unbezwingbare Müdigkeit - "das war keine harmlose Krankheit, sie hat mir den ganzen Sommer verdorben", sagt Petersen heute.

Auch seine Freunde machten Ähnliches durch. Schon nach den ersten Tagen im Bett ahnte Petersen, dass die Mücken schuld an seinem Elend waren. Ein Bluttest bestätigte es: Er war am Westnil-Virus erkrankt, ein eigentlich in Afrika heimischer Erreger, den Mücken oder Vögel auf Menschen übertragen.

Bis zu seiner Krankheit hatte Petersen geglaubt, eben dieses Virus zu kennen. Der Virologe leitet in der US-Seuchenschutzbehörde CDC die Abteilung für Krankheiten, die von sogenannten Vektoren wie Mücken übertragen werden. Das Westnil-Virus ist sein Spezialgebiet.

Für Mücken angenehm warm

Nun erlebte Petersen am eigenen Körper, wovor er und andere Forscher mit zunehmender Dringlichkeit warnen: Exotische Infektionskrankheiten, die bislang nur in eng umgrenzten Gebieten Afrikas und Asiens aufgetreten sind, breiten sich über den ganzen Erdball aus.

In Nordamerika und Europa leiden Menschen plötzlich an Krankheiten, deren Namen sie kaum aussprechen können: Chikungunya, Krim-Kongo-Fieber, Rift-Valley-, Gelb-, Dengue- oder Lassa-Fieber.

"Wir werden in Europa andere Krankheiten bekommen", sagt Thomas Mettenleiter, Präsident des staatlichen Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) für Tiergesundheit.

Auf einer international besetzten Konferenz in Greifswald diskutierte er diese Woche mit 120 Experten darüber, welche Gefahren von exotischen Erregern ausgehen. Die Forscher untersuchen, welche neuen Krankheiten nach Europa gelangen könnten, wie gefährlich sie sind - und welchen Einfluss der Klimawandel auf ihre Ausbreitung hat.

Die globale Erwärmung erleichtert es den exotischen Erregern, selbst die kühlen Zonen Europas zu erobern. Zwar haben Touristen oder der Frachtverkehr schon immer Viren aus ihren Ursprungsländern auf alle Erdteile verteilt. Doch bislang war es den Mücken, die die Krankheiten theoretisch übertragen konnten, in der neuen Heimat schlicht zu kalt oder zu trocken.

Hervorragende Überträger

"Seit der Eiszeit vor 10.000 Jahren ist die Temperatur in Europa um durchschnittlich sechs Grad gestiegen, und in diesem Jahrhundert müssen wir mit einem Anstieg von weiteren drei Grad rechnen", sagte Horst Aspöck, Experte für medizinische Insektenkunde aus Wien. "Durch die steigenden Temperaturen werden Bedingungen geschaffen, unter denen sich eingeschleppte Organismen länger halten werden."

Das Westnil-Virus könnte als einer der ersten Erreger davon profitieren. "Inzwischen gibt es Fälle in Österreich, Ungarn und Bulgarien, damit steht das Virus vor unserer Haustür", sagt FLI-Chef Mettenleiter.

Sensible Mücken

Und der Virologe Matthias Niedrig vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) prophezeite in Greifswald, es sei nur eine Frage der Zeit, dass die afrikanische Gelbfiebermücke mit Frachtschiffen nach Spanien gelange und dort "ein hervorragender Überträger von Dengue- oder Gelbfieber" werde.

Die asiatische Tigermücke wiederum könnte das Tropenvirus Chikungunya vermehrt nach Europa einführen, wie vor zwei Jahren bereits geschehen. Damals brachte ein Indien-Reisender den Erreger nach Norditalien und löste dort eine lokale Epidemie aus. Erst im Januar dieses Jahres brachte eine Engländerin das Lassa-Virus aus Nigeria mit in ihr Heimatland und starb daran.

Die wichtigsten Überträger - Wissenschaftler sprechen von Vektoren - der exotischen Viren sind Mücken, und die reagieren extrem sensibel auf geringe Temperatur- und Feuchtigkeitsänderungen. Lyle Petersen, der seine eigenen leidvollen Erfahrungen im Jahrhundertsommer 2003 gemacht hatte, zeigte das am Beispiel der Mückenarten, die das Westnil-Virus übertragen.

Betrug die Lufttemperatur 17 Grad, dauerte es im Versuch 30 Tage, bis eine infizierte Mücke das Virus weitergab - die meisten Insekten starben jedoch vor dieser Zeit. Bei 30 Grad hingegen reichten fünf Tage - eine Zeitspanne, die man auch als Mücke gut meistern kann.

Welche dramatischen Konsequenzen noch viel geringere Temperaturänderungen haben können, haben Wissenschaftler in Ostafrika beobachtet. 1997 brach dort das Rift-Valley-Fieber aus. Zuerst starben die Ziegen und Schafe - Hunderttausende, und schon das war eine Katastrophe für die Menschen, die ohne ihr Vieh hungern mussten.

Dann erwischte das Fieber auch die Menschen, Hunderte von ihnen tödlich. Satellitendaten zeigten, dass sich in den Monaten vor der Epidemie die Oberfläche des Indischen Ozeans in Äquatornähe nur um ein halbes Grad erwärmt hatte.

Nicht nur in dunklen Rinderställen

Dadurch regnete es am Horn von Afrika ungewöhnlich heftig, es wurde wärmer. Beste Bedingungen waren das für die Mücken, die sich prächtig vermehrten und lange genug lebten, um das Virus an Schafe, Ziegen und Menschen weiterzugeben.

Auch hiesigen Tieren können die exotischen Erreger gefährlich werden. Vor drei Jahren tauchte in Deutschlands Rinder- und Schafställen plötzlich die durch Mücken übertragene Blauzungenkrankheit auf - ein Jahr zuvor war das Virus in Deutschland noch unbekannt.

Zwar ist die Krankheit seit vergangenem Jahr dank einer verpflichtenden Impfung unter Kontrolle. "Aber dieser Fall hat uns gezeigt, dass eine explosionsartige Ausbreitung funktioniert", sagt Thomas Mettenleiter.

Eine Katastrophe wäre es, sagt der Institutspräsident, wenn die Afrikanische Pferdepest Deutschland erreiche. "Die Pferde verrecken förmlich daran, es ist furchtbar anzusehen. Das hat eine ganz andere Wirkung in der Öffentlichkeit als eine Krankheit, die sich nur in dunklen Rinderställen abspielt."

Konkrete Prognosen, wann wo welches Virus zuschlägt, wagte keiner der Forscher in Greifswald zu machen. Denn nicht der Klimawandel allein begünstigt die Ausbreitung der neuen Krankheiten. Steigende Temperaturen lassen zwar infizierte Mücken länger leben und ermöglichen es neuerdings den Zecken, die außer Hirnhautentzündung und Borreliose auch das Krim-Kongo-Fieber übertragen können, in Regionen von mehr als 1500 Meter Höhe vorzudringen.

"Die treibenden Kräfte für die Ausbreitung der Exoten sind aber ganz sicher die Globalisierung, die vielen Interkontinental-Reisen, das Bevölkerungswachstum und schlechte hygienische Bedingungen", sagte Lyle Petersen. "Nur kann niemand sagen, wie groß der Einfluss der einzelnen Faktoren ist."

Lediglich eine Daumenregel hat der amerikanische Virologe aufstellen können: Deutliche Vorteile wird der Klimawandel den neuen Erregern vor allem in den kühleren Zonen bringen. Auf Puerto Rico, das sich in mehrere Temperaturzonen teilt, hat Petersen über mehrere Jahre die Ausbreitung des Dengue-Fiebers untersucht.

Dort, wo es schon immer sehr heiß war, änderte auch ein Temperaturanstieg kaum etwas an der Verbreitung des Erregers. "Ähnliches kennen wir auch aus den USA, und es wird wohl auch bald für Europa gelten", sagt Petersen.

Aufhalten lassen sich die neuen Krankheiten daher wohl auch in Deutschland nicht, doch zumindest das Ausmaß einer Epidemie könne man im Notfall vermutlich eindämmen. "Es wird immer Fälle von Malaria oder anderen tropischen Fiebern bei uns geben", sagt Matthias Niedrig vom RKI.

"Aber sollte sich eine exotische Mücke ausbreiten, werden wir großflächig mit Chemikalien gegen sie vorgehen, und das wird auch erfolgreich sein. Eine wirkliche Malaria-Epidemie werden wir in Deutschland nicht bekommen."

Gegen die bekannten Erreger mag man sich also schützen können, mit Gift oder Impfungen. Sorgen bereiten den Experten die vielen noch unentdeckten Erreger, die bislang harmlos in irgendwelchen tierischen Wirten schlummern.

"Es gibt 500 Viren, die von Vektoren übertragen werden, 130 davon können Krankheiten verursachen, aber wir wissen bisher nur von einem halben Dutzend, die dem Menschen wirkliche Probleme bereiten", sagt Lyle Petersen. "Wir sollten uns darauf einstellen, dass da noch mehr kommt."

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