Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Wenn nichts mehr fließt

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Flüsse führen Wasser, was sonst? Doch mehr als jeder zweite weltweit trocknet regelmäßig aus - und der Anteil der Teilzeit-Ströme wächst.

Von Werner Bartens

Die Begriffe "Fluss" und "fließen" gehören selbstverständlich zusammen. Doch das seit der Antike bekannte Allroundmotto "Alles fließt" mag auf vieles zutreffen - auf einen Großteil der Flüsse weltweit inzwischen nicht mehr. Immerhin trocknen zwischen 51 und 60 Prozent der Flüsse der Erde mindestens einmal im Jahr aus, wie Geografen der McGill-Universität im kanadischen Montreal im Fachmagazin Nature zeigen. Dieses Phänomen ist keineswegs nur auf Wüstengebiete und besonders trockene Regionen begrenzt.

Weltweit gibt es ungefähr 64 Millionen Flusskilometer. Die kanadischen Wissenschaftler haben erstmalig alle Flüsse weltweit erfasst und quantifiziert, die zeitweise austrocknen. Dazu werteten sie hydrologische, klimatische, bodenkundliche und geologische Daten von 5615 Messstationen aus und konnten zeigen, dass trockenfallende Flüsse auf allen Kontinenten und in allen Klimazonen zu finden sind.

Gebirgsbäche oder kilometerbreite Ströme in Asien, sie alle versiegen zeitweilig

Die Befunde sind auch deshalb von Bedeutung, weil mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in der Nähe dieser zeitweise ausgetrockneten Flüsse lebt und künftig deutlich mehr Menschen darunter leiden könnten, dass ihre wichtigste Wasserquelle, Grundlage für die Landwirtschaft und für etliche andere Lebensbereiche bedroht ist. Durch den Klimawandel wird die Häufigkeit und Intensität von Überflutungen zunehmen, allerdings werden auch immer mehr Gewässer austrocknen.

"Bedingt durch Klimawandel, intensive Landnutzung und Ressourcenverschwendung ist in den nächsten Jahrzehnten damit zu rechnen, dass ein immer größerer Anteil der Flüsse weltweit nicht mehr dauerhaft fließen wird", sagt Bernhard Lehner, einer der Hauptautoren der Studie. "Tatsächlich sind viele Flüsse, die früher dauerhaft geflossen sind, darunter so ikonografische Ströme wie der Nil, der Indus oder der Colorado River in den vergangenen 50 Jahren immer wieder ausgetrocknet." Wasserentnahmen in großem Stil und eine immer intensivere Landwirtschaft haben dazu beigetragen.

Während weltweit in bis zu 60 Prozent der Flüsse an mindestens einem Tag im Jahr kein Wasser fließt, sind das in den besonders trockenen Gebieten der Erde wie in manchen Regionen Indiens, in Westaustralien oder der Sahelzone laut Modellierungen der Forscher sogar 99 Prozent der Fließgewässer. Doch nicht nur das aus Kreuzworträtseln bekannte ausgetrocknete Flussbett in der Sahara ("Wadi") droht seltener Wasser zu führen als ohnehin schon. Der zunehmende Wassermangel betrifft immer häufiger auch Gewässer, die auf den ersten Blick nicht bedroht zu sein scheinen: Gebirgsbäche im Himalaya, die nur saisonal von der Schneeschmelze profitieren, aber ansonsten austrocknen, kilometerbreite Ströme in Indien, die teilweise versiegen oder sich durch Waldgebiete schlängelnde Flussläufe in Kanada, die trotz der üppigen Vegetation ringsum an manchen Tagen im Jahr austrocknen.

"Dies kann zu einem erschwerten Wasserzugang für Millionen Menschen führen."

"Große, bekannte Flüsse wie beispielsweise der Gelbe Fluss in China oder der nordamerikanische Rio Grande fallen manchmal bereits vollständig trocken", sagt Klement Tockner, Gewässerökologe und Generaldirektor der Senckenberg-Gesellschaft, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "Dies kann zu einem erschwerten Wasserzugang für Millionen Menschen führen und hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Ökosystem Fluss." Menschen siedeln schließlich seit Jahrtausenden bevorzugt in der Nähe oder direkt an Gewässern. Flüsse sind nicht nur beliebte Postkartenmotive und Erholungsziele, sondern Teil des globalen Wasserkreislaufs, bedeutender Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, Wirtschaftsfaktor, Transportweg und Energielieferant.

Tockner betont, dass auch in den kühl-gemäßigten und feuchten Klimazonen fast 30 Prozent der Fließgewässer immer wieder austrocknen. Werden kleine Bäche hinzugezählt, sind es sogar mehr als die Hälfte. Der Gewässerökologe erwähnt Beispiele aus hiesigen Breiten, gleichsam vor seiner Haustür, wie den Urselbach, der im Vordertaunus entspringt, etwa 16 Kilometer lang ist und durch Frankfurt führt, sowie die Weil, einen Zufluss der Lahn. Beide trockneten im vergangenen Sommer zeitweise aus. "Flüsse, die - zumindest temporär - trockenfallen, sind eher die Regel als die Ausnahme auf der Erde", sagt Tockner. "Es gab zwar schon immer Gewässer, die natürlicherweise austrockneten, und das sind wertvolle und einzigartige Lebensräume. Wenn aber ein permanent wasserführender Bach oder Fluss austrocknet, dann hat das massive Auswirkungen auf die Natur und den Menschen."

Die Forscher fordern ein Umdenken in der Gewässerforschung und einen nachhaltigeren Ansatz. Bisher sei es das traditionelle Konzept gewesen, dass Flüsse und Ströme das ganze Jahr Wasser führen - auf diese konzentrierten sich daher auch die meisten Schutzmaßnahmen. Die trockenfallenden Flüsse wurden hingegen vernachlässigt. "Dies hat in vielen Fällen dazu geführt, dass dort exzessiv Wasser abgepumpt, verschmutzt oder überfischt wurde", sagt Mathis Messager, der Erstautor der Studie. In den USA und Frankreich gab es sogar Versuche, Flüsse, die nicht permanent Wasser führen, von Umweltgesetzen und Wasserschutzrichtlinien auszuklammern.

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