Mary Meita steht im ersten Stock eines weißen Gebäudes an der McGregor Road 36 in Suva, der Hauptstadt von Fidschi. Die 33-Jährige mit den langen schwarzen Haaren und dem runden Gesicht blickt durchs vergitterte Fenster. Regen fällt auf den Innenhof, die Straße und die Palmen. Es ist nicht ihr Land, aber das könnte es eines Tages werden, eine neue Heimat für ihr Volk. Sie hat daran mitgewirkt. Meita arbeitet in der Botschaft von Kiribati, einer Gruppe aus Insel-Atollen, die 2000 Kilometer entfernt von Fidschi weit verstreut mitten im Pazifik liegen. Die Flagge mit den weißblauen Wellenlinien, der Sonne und dem gelben Fregattvogel flattert im Hof an einem Fahnenmast. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
Die Regierung Kiribatis hat vor drei Jahren Land auf den viel größeren Fidschi-Inseln gekauft, mehr als 2000 Hektar - eine Fläche so groß wie Hiddensee. Meita hat das mitorganisiert. Sie war damals rechte Hand von Präsident Anote Tong. Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, erzählt die heutige Sekretärin des Botschafters Kiribatis auf Fidschi; aber der Präsident habe beschlossen, dass es besser sei, seine Landsleute schon jetzt darauf vorzubereiten, in Würde umzusiedeln, als abzuwarten, bis die Katastrophe unmittelbar bevorsteht. Das heißt: Die Inselbewohner besser auszubilden, damit sie auch anderswo Arbeit finden können, und dann nach und nach die 115 000 Menschen alle umzusiedeln.
Das Inselatoll Kiribati ist nicht nur überbevölkert, sondern akut bedroht vom Meeresspiegel-Anstieg. Schon heute sind strandnahe Friedhöfe überflutet und nur noch die Grabkreuze ragen aus dem Wasser. Die Küste erodiert und das Salzwasser dringt nach und nach von unten in den Boden ein, woraufhin das Trinkwasser versalzt. Getreide lässt sich kaum noch anbauen. Vor zwei Jahren besuchte Meita ihre Heimat und suchte den Ort auf, wo sie aufgewachsen ist. Dort, wo sie sich als Fünfjährige hinterm Haus versteckte, im Garten und unter Kokosnusspalmen spielte. "Als ich ankam, war das alles verschwunden", erzählt sie. "Es stand nur noch das Haus. Ansonsten war überall Meer."
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Der Klimawandel zwingt die Bewohner des Südpazifik schon jetzt zur Flucht, Menschen, die sehr mit ihrem Heimatort verwurzelt sind. "Im Boden manifestiert sich das gemeinsame Erbe, er ist Teil ihrer Identität, auch weil eine schriftliche Geschichtsüberlieferung fehlt", sagt die Migrationsexpertin Sophie Wirsching von Brot für die Welt. Im Boden seien die Vorfahren begraben und dort, so glauben viele, leben deren Geister fort. "Werden die Inselbewohner davon beraubt, erleiden sie psychische Verletzungen."
"Nachts, wenn die Flut kam, hörten wir das Wasser von unten an unsere Häuser klatschen"
Die meisten Inseln im Südpazifik werden zwar nicht von heute auf morgen untergehen; bis sie physisch verschwinden, wird es noch viele Jahrzehnte dauern. Aber das Leben auf ihnen wird zunehmend unmöglich, weil Sturmfluten übers Land jagen, weil die Küsten erodieren und das Trinkwasser ausgeht.
Die Bevölkerung der zu Papua-Neuguinea gehörenden Carteret-Inseln soll schon jetzt wegen des Meeresspiegel-Anstiegs auf die knapp 100 Kilometer südwestlich gelegene Insel Bougainville umsiedeln. Die etwa 500 Bewohner der zu den Salomonen gehörenden Insel Taro wollen wegen der Sturmfluten auf die große Nachbarinsel Choiseul umziehen. Und während die Malediven mit einem Treuhandfonds aus den Tourismus-Einnahmen einen Landkauf in Australien, Neuseeland oder Indien finanzieren wollen, hat Kiribati schon Land erworben und zwar auf den Fidschi-Inseln.
Die Fidschi-Inseln sind das Sprachrohr der Region. Sie leiten die nächste Weltklimakonferenz - die vom 6. November an in Bonn stattfinden wird. Die Vertreter des Archipels können nun zumindest ein bisschen Aufmerksamkeit für ein Phänomen erreichen, das bis heute die Industriestaaten weitgehend ignorieren: Dass immer mehr Menschen aufgrund von Klimafolgen ihre Heimat verlassen müssen.
Die überwältigende Anzahl von Menschen flieht innerhalb ihres eigenen Landes: Ein Bericht des Internal Displacement Monitoring Centres (IDMC) vom Mai dieses Jahres geht davon aus, dass allein in dieser Gruppe klima- und wetterbedingte Katastrophen wie Überflutungen und Stürme im vergangenen Jahr 23,5 Millionen Menschen vertrieben haben.
Nicht mit eingerechnet sind dabei schleichende Veränderungen wie der Meeresspiegelanstieg, Küstenerosion oder Dürren. Auf den Fidschi-Inseln plant die Regierung aber aus genau diesen Gründen die Umsiedlung von 45 Küstendörfern in die Berge und zwar innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre. Ein Dorf, das diesen Schritt schon hinter sich hat, ist Vunidogoloa auf Vanua Levu, der zweitgrößten Insel Fidschis.
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Dutzende pastellgrün gestrichene Holzhüttchen mit Wellblechdächern verteilen sich auf Stelzen am Hang. In einer Senke befinden sich vier Fischteiche, die Ersatz für die Makrelen und Hechte aus dem Meer bieten sollen. Vom Dorf aus blickt man kilometerweit über das saftige Grün des Palmenwaldes bis zu den Bergen am Horizont. Mussten die 150 Dorfbewohner früher erst lange Fußmärsche auf sich nehmen, um in die nächste Stadt zu kommen, so liegt ihr neues Dorf nun direkt an einer breiten Schotterstraße, wo regelmäßig ein Bus fährt. Die jungen Leute sind froh über die Umsiedlung. Sie haben jetzt Solarstrom für ihre Handys und Wasserklosetts. Die Alten hingegen trauern ihrem alten Dorf hinterher.
Nur noch ein paar Steine bleiben vom einstigen Dorf
Ganz oben auf dem Hügel in Vunidogoloa holt Tevity Tuimalawai mit seiner Harke aus und schlägt sie in den trockenen Boden, so dass es staubt. Schweiß rinnt von seiner Stirn. Hier baut der 72-Jährige Taro oder Maniok an. Die kleine Parzelle haben sie ihm nach dem Umzug gegeben, damit er sich zerstreuen kann. Aber eigentlich würde er viel lieber seinen Enkelkindern am Ufer des alten Ortes das Fischen beibringen. Tuimalawai bekommt wässrige Augen, wenn er davon erzählt, wie er als Jugendlicher von seinem Großvater das Fischen gelernt hat.
Manchmal geht er noch die drei Kilometer hinunter ans Meer, dort wo sein altes Dorf stand und seine Eltern und Großeltern aufgewachsen sind. Dann blickt er auf die Wellen oder hält ein Nickerchen. Dort wo einst das Dorf stand, wuchert nun hohes Gras. Ein Wellblechdach liegt auf dem Boden, das Haus darunter ist durch die Aufweichung des Bodens eingesunken, Fliegen suchen Schatten. Nebenan stehen noch drei Hütten, in einer liegt eine Bibel. Ansonsten ist vom alten Dorf Vunidogoloa nur noch eine Steinstufe auf der Mitte der Wiese übrig, der Rest der einstigen Kirche. Sie wurde schon vor Jahren von einem Wirbelsturm weggefegt.
Über die Jahre hat das Meer mehr als zehn Meter des Uferstreifens weggefressen, die Ufermauern überspült und den Boden mit Salzwasser versetzt. "Nachts, wenn die Flut kam, hörten wir das Wasser von unten an unsere Häuser klatschen", erzählt das Dorfoberhaupt Sailosi Ramatu. "Wir hatten Angst, ins Bett zu gehen."
Die Regierung hat zwar Teiche anlegen lassen, neue Felder und Wege, eine Stützmauer gebaut sowie ein Abfall- und Wassersystem eingerichtet. Aber die 230 000 Fidschi-Dollar (etwa 100 000 Euro) für die neuen Häuser mussten die Dorfbewohner selbst zahlen, erzählen sie. Dafür mussten sie den Wald roden und das Holz verkaufen. Regierungsvertreter geben zu, dass ihnen das Geld für die Umsiedlungen fehlt.
Die kleinen Inselstaaten fordern Hilfe von den Verursachern des Klimawandels - den Industrieländern. Zum einen Entschädigungen für den Besitz und das Land, das sie verloren haben. Zum anderen die Aufnahme ihrer Bevölkerung, wenn sie ihre Inseln aufgeben müssen. Die Weltbank hat angeregt, dass Länder wie Australien, Neuseeland oder Südkorea den Bewohnern der bedrohten Südpazifikinseln ihren Arbeitsmarkt öffnen. Aber Australien etwa schottet sich ab. Und die Industrieländer lehnen Entschädigungen ab - obwohl das Meer früher oder später auch die Küsten der Niederlande oder Floridas überschwemmen wird. "Was heute im Südpazifik passiert, kommt in 20, 30 Jahren auch auf Europa oder die USA zu", sagt Wirsching. "Nur dass die Schäden dann noch viel gewaltiger sein werden."
Während die Bewohner Fidschis zumindest ihre Leute im eigenen Land umsiedeln können, müssen die Korallenatolle langfristig ihr gesamtes Staatsgebiet aufgeben. Viele liegen nicht höher als zwei Meter über dem Meer. Dabei können die Menschen dort nicht mal auf Menschenrechts-Garantien setzen. Die Genfer Flüchtlingskonvention bezieht sich nur auf kriegerische Konflikten und Verfolgung.
Kiribati hat deshalb die Sache selbst in die Hand genommen, um sich auf Fidschi einzukaufen, etwa auf der zweitgrößten Insel im Archipel Vanua Levu. Im Süden der Insel liegt das Dörfchen. Es heißt Naviavia. Über die Hügel mit dem kurzgemähten Rasen verteilen sich Bungalows, Schulkinder in blauen Uniformen rennen umher. Die 270 Einwohner Naviavias sind Nachfahren von Sklaven von den Salomonen, die einst von den britischen Kolonialherren auf Schiffen nach Fidschi verschleppt worden waren, um auf Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Nun befürchten sie, erneut unterdrückt zu werden - von den neuen Herren aus Kiribati. "Es tut schon ein bisschen weh", sagt die 69-jährige Deri Vakalele, wenn sie darüber nachdenkt, dass das Land, auf dem sie seit Jahrzehnten lebt, nun einem anderen Inselvolk gehört.
Immer waren sie mit dem Meer verbunden. Und nun sollen sie in den Bergen leben?
In der Fiji Times haben die Dorfbewohner gelesen, dass 18 000 bis 20 000 Inselbewohner kommen werden. Sie stellen sich Fragen: Werden die neuen Landbesitzer nicht den Fluss verschmutzen, der durch ihr Dorf fließt? Wie sollen sie an Geld kommen, wenn sie nicht mehr die Kokosnüsse aus dem Umland pflücken und das Öl auf dem Markt verkaufen dürfen? Und: Können sie ihre Kultur erhalten, wenn Zehntausende Menschen einer fremden Insel ihr Dörfchen umschließen?
Vergangenes Jahr kam der Vizepräsident Kiribatis zu Besuch. Die Delegation aus Kiribati trank mit den Dorfbewohner Kava, das schlammig aussehende und schmeckende Nationalgetränk, das den Körper schwer werden lässt. Sie besichtigten das Dorf, den Palmenwald und wanderten die Berge hinauf. In den ersten Jahren, versicherten die neuen Landbesitzer, wollen sie es nur zum Anbau von Taro, Kava und Kokosnüssen nutzen und frühestens in zehn Jahren würden die ersten Inselbewohner kommen. Auch den Bewohnern Kiribatis droht eine Identitätskrise. Ihre ganze Vergangenheit war mit dem Meer verbunden. Und nun sollen sie in den Bergen in einem fremden Land leben? In einem verwilderten, steilen Gelände, das sich nur schwer urbar machen lässt?
Vielleicht werden sie unter sich bleiben, um wenigstens ihre Gemeinschaft zu erhalten - so wie es die Bewohner des Kiribati-Inselchens Banaba einst taten. Die mussten im Jahr 1945 dem Phosphat-Bergbau weichen. Ein Schock, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben. Sie leben seither isoliert. Aus den Fehlern will man jetzt lernen und beide Seiten früh einbinden und langsam auf die Umsiedlung vorbereiten. Bezahlt wurde der Ankauf des Landes mit Geld aus einem Fonds. Der speist sich aus den Einnahmen aus dem Phosphat-Bergbau auf der Banaba-Insel.
Manchmal, wenn Mary Meita an ihre Heimat Kiribati denkt, an die Erinnerungen ihrer Kindheit, die im Meer versinken, dann spürt sie Wut in sich aufsteigen. Wut auf die Industrieländer. Sie will jetzt nur als Privatperson zitiert werden. "Wir hassen den Gedanken, umsiedeln zu müssen", sagt sie. "Wir möchten nicht Klimaflüchtlinge genannt werden. Wir sind für all das nicht verantwortlich!"