Erderwärmung:Hitzewellen, Fluten, Dürren: So extrem wirkt sich der Klimawandel in Europa aus

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Ein Kajak liegt im Januar in einem trockengefallenen Reservoir: Die spanische Region Katalonien leidet derzeit unter Dürre - wie schon im vergangenen Frühjahr. (Foto: Lluis Gene/AFP)

Kein Kontinent erwärmt sich laut EU-Klimadienst Copernicus so schnell wie Europa. 2023 ließen sich die Auswirkungen praktisch überall spüren.

Von Christoph von Eichhorn, Sören Müller-Hansen

Es gibt jetzt verschiedene Abstufungen von extrem. Nicht mehr nur extrem, sondern auch noch „beyond extreme“, jenseits von extrem also. So bezeichnen Klimaforscher im gerade erschienenen „European State of the Climate“-Bericht eine Hitzewelle im Atlantik vor Irland – dort lag die Oberflächentemperatur des Wassers im vergangenen Juni rund fünf Grad Celsius über den üblichen Werten.

Auch sonst bekam Europa den Klimawandel 2023 massiv zu spüren, heißt es in der vom EU-Erdbeobachtungsdienst Copernicus sowie von der Weltmeteorologie-Behörde WMO erarbeiteten Studie. Millionen Menschen hätten unter Überschwemmungen und Hitzewellen gelitten, die gesundheitlichen Auswirkungen nähmen zu. Nach vorläufigen Schätzungen verursachten wetterbedingte Naturkatastrophen 2023 Schäden in Höhe von 13,4 Milliarden Euro.

Temperaturen

Laut den Berechnungen der WMO erlebte Europa 2023 das bislang wärmste Jahr seiner Geschichte, gleichauf mit 2020. Die Durchschnittstemperaturen lagen in beiden Jahren 2,6 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Laut Copernicus kommt das Jahr 2023 dagegen auf den zweiten Platz hinter 2020, die Temperaturen seien im Schnitt etwa 0,15 Grad niedriger gewesen. Die marginale Differenz lässt sich durch eine leicht unterschiedliche Datenbasis erklären.

Fast überall in Europa war es überdurchschnittlich warm, mit Ausnahme von Skandinavien, Island und dem Südosten Grönlands. Grönland wird von der WMO zur europäischen Region gezählt. Am weitesten nach oben schlugen die Temperaturen im europäischen Teil der Arktis aus, etwa in der Region um Spitzbergen.

Vor allem im Sommer fielen die Extreme je nach Region sehr unterschiedlich aus. Im Juni war es zunächst im Nordwesten des Kontinents heiß, die Mittelmeerregion bekam dagegen überdurchschnittlich viel Regen ab. Dieses Muster drehte sich im Juli um: In der Spitze am 23. Juli waren rund 40 Prozent Südeuropas von starkem, sehr starkem oder extremem Hitzestress betroffen. Extremer Hitzestress bedeutet, dass die gefühlte Temperatur bei mehr als 46 Grad Celsius liegt.

„23 der 30 schwersten Hitzewellen in Europa sind seit dem Jahr 2000 aufgetreten“, sagt der an dem Bericht beteiligte Klimaforscher Andrew Ferrone von der WMO. Seitdem habe auch die hitzebedingte Sterblichkeit deutlich zugenommen.

Im Jahr 2022 gab es in Europa geschätzt 70 000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Hitze, neuere Zahlen sind nicht verfügbar. „Da 2023 heißer war als 2022, ist es wahrscheinlich, dass die Zahl der mit Hitze in Verbindung stehenden Todesfälle in Europa im vergangenen Jahr bei mehr als 70 000 lag“, sagt die Klimaforscherin Friederike Otto von der Universität Oxford.

Global betrachtet war 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, dies hatte die WMO bereits im Januar bestätigt. An etwa jedem zweiten Tag lagen die Temperaturen über der im Pariser Klimavertrag angestrebten 1,5-Grad-Marke.

Meere

Die an Europa angrenzenden Meere waren 2023 so warm wie noch nie, die Oberflächentemperatur lag 0,55 Grad Celsius über dem Durchschnitt. Im Juli und August breiteten sich marine Hitzewellen quer über das Mittelmeer aus, die Wassertemperaturen lagen teils mehr als fünf Grad über den Normalwerten. Vielen Meeresorganismen kann die Hitze schweren Schaden zufügen.

Außergewöhnlich hohe Wassertemperaturen werden seit Monaten auch aus anderen Weltregionen gemeldet. „Die Oberflächentemperaturen der Meere liegen jetzt seit einem Jahr auf Rekordniveau“, sagt Samantha Burgess, stellvertretende Direktorin des Copernicus-Klimadienstes. Die Hauptursache dafür seien ohne Zweifel die hohen Treibhausgas-Emissionen.

Niederschläge

An Land war es nicht nur außergewöhnlich heiß, sondern auch nasser als sonst – insgesamt fiel im Jahr 2023 rund sieben Prozent mehr Niederschlag in Europa als im Durchschnitt. Besonders hart traf es im August Slowenien, wo etwa 1,5 Millionen Menschen von Überschwemmungen betroffen waren. In Teilen Griechenlands fiel im September an einem Tag so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr.

„Eine wärmere Atmosphäre ist eine durstigere Atmosphäre, die in der Lage ist, einer Region mehr Feuchtigkeit zu entziehen“, sagt Richard Allan, Professor für Klimaforschung an der Universität Reading. Das überschüssige Wasser könne sich anderswo in Form von heftigeren Stürmen niederschlagen. „Dies führt zu größeren Schwankungen und wilderen Wechseln zwischen nassen und trockenen Tagen, Jahreszeiten und Jahren, die schwer zu planen und zu bewältigen sind“, sagt Allan.

Insgesamt waren die Niederschläge äußerst ungleich verteilt: Während es beispielsweise in den Niederlanden, Norddeutschland oder Dänemark ungewöhnlich feucht war, litt die Iberische Halbinsel schon im Frühjahr unter einer Dürre.

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Waldbrände

Große Feuer zerstörten etwa in Portugal, Spanien und Italien Waldflächen. In Griechenland brach im Sommer der bislang größte Waldbrand der EU-Geschichte aus, rund 96 000 Hektar waren betroffen. Insgesamt verbrannte in der EU eine halbe Million Hektar – das entspricht etwa der Fläche von London, Paris und Berlin zusammengenommen – und ist der vierthöchste Wert seit Aufzeichnungsbeginn. Häufig fielen die Waldbrände mit Dürren zusammen.

Erneuerbare Energien

Ein Lichtblick des europäischen Klimaberichts: 2023 lieferten erneuerbare Energien mit 43 Prozent des Bedarfs so viel Strom wie nie zuvor. Das hat nicht nur mit dem Ausbau von Solaranlagen und Windrädern zu tun, sondern auch mit den meteorologischen Bedingungen: Viele Sonnenstunden kurbelten etwa in Südeuropa die Photovoltaik-Erträge an, stürmisches Wetter von Oktober bis Dezember trieb die Auslastung der Windanlagen in die Höhe.

Warum Europa heraussticht

Die Weltregionen erwärmen sich unterschiedlich stark: Laut US-Atmosphärenbehörde NOAA liegt Asien dabei vorn, WMO und Copernicus sehen dagegen Europa an erster Stelle. Copernicus-Vizechefin Samantha Burgess nennt dafür drei wesentliche drei Gründe: Erstens die Nähe Europas zur Arktis, wo die Temperaturen ebenfalls rasant steigen. Zudem sei Europa abhängig von ausgedehnten Meeresströmungen wie dem Golfstrom. Erwärmen sich die Ozeane, bekommt der Kontinent das also recht unmittelbar zu spüren. Drittens: „Durch die europäische Gesetzgebung hat sich die Luftqualität verbessert“, sagt Burgess. „Das führt auch dazu, dass mehr Sonnenstrahlung Europa trifft.“

Mit Material vom britischen Science Media Centre

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