Klimawandel:Die Grenzen des Menschen

Er zieht Zäune um sein Eigentum und glaubt, die Gesetze der Wirtschaft seien mindestens so wichtig wie die der Ökologie. Doch der Mensch irrt.

David Suzuki

Die Menschheit befindet sich an einem kritischen Punkt. In kaum 200 Jahren ist die Weltbevölkerung von einer Milliarde Menschen auf 6,8 Milliarden explodiert und so gut wie jede moderne Technologie erfunden worden. Der Konsum von nicht lebensnotwendigen Dingen ist eine Triebkraft unseres Lebens, eine globalisierte Wirtschaft ermöglicht ihn.

Klimawandel: Die Biosphäre ist alles - der Mensch nur ein Teil: Hallig Hooge.

Die Biosphäre ist alles - der Mensch nur ein Teil: Hallig Hooge.

(Foto: Foto: dpa)

Bevölkerung, Technologie, Konsum - dies alles hat den ökologischen Fußabdruck unserer Spezies enorm verstärkt, also die Summe von Luft, Wasser und Land, die wir Jahr für Jahr verbrauchen. Wir ziehen Linien rund um Eigentum, Städte und Staaten, die wir bis zum Tod verteidigen. Aber Luft und Wasser, Zugvögel und Säugetiere, Fische und vom Wind verwehte Samen beachten solche, vom Menschen gemachte Grenzen nicht.

Während der längsten Zeit unseres Daseins führten wir Menschen eine an den Herkunftsort gebundene Existenz. Mittlerweile sind wir eine geologische Kraft. Unsere Präsenz manifestiert sich in riesigen Staudämmen, in symmetrisch angelegten Wäldern, in den geometrischen Mustern von Straßen sowie in dem braunen Dunst über Städten, die nachts erstrahlen.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden Stürme, Dürren, Fluten oder Waldbrände noch als "göttliche Akte" verstanden. Inzwischen leisten wir Gott Gesellschaft bei der Begehung solcher Akte.

Unsere Welt ist begrenzt durch unveränderliche Gesetze der Physik: Schwerkraft, Thermodynamik, Lichtgeschwindigkeit. Zugleich diktiert uns unsere Biologie, dass wir saubere Luft, sauberes Wasser, sauberen Boden, Energie aus Photosynthese sowie die Vielfalt der Arten brauchen.

Das ist eine Realität, die nicht zu ändern ist. Andere Dinge in unserer Welt wiederum - Grenzen, Währungen, Märkte - sind keine Kräfte der Natur. Wir haben sie geschaffen. Es ist verrückt, vom Menschen geschaffene Systeme über die Biosphäre zu stellen.

Mehr Öko in der Ökonomie

Viele Politiker entschuldigen es mit den Zwängen der Wirtschaft, weshalb sie wenig oder nichts tun, um die Emission von Treibhausgasen zu begrenzen. Ökonomie leitet sich vom selben Wortstamm ab wie Ökologie: von oikos, dem griechischen Wort für Haus.

Ökologie ist die Lehre vom Heim, während Ökonomie dessen Management meint. Ökologen versuchen, die Bedingungen zu bestimmen, die Leben ermöglichen. Jede große Entwicklung, jedes neue Programm sollte daher von ökologischen Prinzipien geleitet sein. Also: Geben wir der Ökonomie das Öko wieder zurück.

Jetzt, da wir mit mehreren ökologischen Krisen gleichzeitig kämpfen (Klimawandel, Entwaldung, Ausdehnung von Wüsten, Auszehrung der Ozeane, Versäuerung von Böden, Ausrottung von Arten, Luftverschmutzung), verhindert die Ökonomie trotzdem ernsthaftes Handeln.

Man erzählt uns etwa vom Dreiklang aus "Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft" - als ob es sich dabei um einander überlappende Kreise gleicher Größe und Bedeutung handelte. Das ist natürlich purer Unsinn.

Die Realität ist, dass die Biosphäre alles ist, ein großer Kreis, innerhalb dessen es einen viel kleineren Kreis gibt, die menschliche Gesellschaft - und innerhalb dieses Kreises gibt es einen nochmals kleineren, die Wirtschaft. Kein innerer Kreis kann danach streben, über den jeweils äußeren hinauszuwachsen.

Die Dienstleistungen der Natur

Indem wir uns permanent darum sorgen, wie wir die Wirtschaft in Gang halten, erkennen wir nicht, dass dies grundsätzlich zerstörerisch ist. Die Natur stellt uns zahlreiche Dienstleistungen zur Verfügung, die den Planeten in einem bewohnbaren Zustand halten: die Photosynthese, die Umwandlung von Sonnenlicht in chemische Energie, die Freisetzung von Sauerstoff, die Bestäubung von Pflanzen.

David Suzuki, dpa

David Suzuki, 73, Genetiker, Buchautor, TV-Moderator und Kanadas berühmtester Umweltaktivist, erhält an diesem Freitag in Stockholm den Alternativen Nobelpreis.

(Foto: Foto: dpa)

Diese Dienstleistungen werden von konventionellen Ökonomen ignoriert. Dabei könnte keine von Menschen gemachte Technologie jemals die Bestäubung übernehmen.

Unsere Welt ist die Biosphäre, jene Zone aus Luft, Wasser und Land, in der alles Leben existiert. Carl Sagan, der berühmte Astrophysiker, hat folgenden Vergleich gezogen: Hätte die Erde die Größe eines Basketballs, wäre die Biosphäre dünner als die darauf gemalte Schicht Farbe. Mehr nicht. Darauf beruht alles Leben. Nichts innerhalb dieser Schicht kann nach endlosem Wachstum streben.

Aber nicht nur, dass Ökonomen glauben, die Wirtschaft könne unbegrenzt wachsen (was sie nicht kann), sie sagen auch, dass sie immer weiter wachsen muss. Wachstum ist der Gradmesser von Erfolg geworden. Fragen Sie einen Firmenvorstand oder einen Politiker nach seinem Erfolg - und er wird unvermeidlich vom Wachsen oder Sinken von Marktanteilen, Gewinnen oder Bruttoinlandsprodukt sprechen.

Wieviel ist genug?

Aber Wachstum ist definitiv kein Zweck oder Ziel. Angeblich soll das Bruttoinlandsprodukt den Zustand der Wirtschaft anzeigen, aber seit Wachstum realiter unser Ziel geworden ist, wird dort alles hineinaddiert, was irgendwie zum Austausch von Geld, Gütern und Dienstleistungen beiträgt.

Auf diese Weise haben die Kosten der Bewältigung des Hurrikans Katrina Milliarden zum US-Bruttoinlandsprodukt beigetragen! Jedesmal, wenn einer bei einem Autounfall stirbt, steigt dadurch das Bruttoinlandsprodukt - wir müssen schließlich für Polizei, Ambulanz, Krankenhaus, Medikamente, Anwälte, Bestatter, Särge, Blumen bezahlen... Ist es nicht verrückt, Fortschritt so zu messen?

In unserer Wachstums-Besessenheit stellen wir die wichtigen Fragen gar nicht mehr: Wofür ist Wirtschaft denn da? Sind wir mit all diesem Zeug eigentlich glücklicher oder besser dran? Wie viel ist genug?

Bei der Menschheit handelt es sich erdgeschichtlich um eine sehr junge Spezies. Gemessen an Zahl, Wohlstand und Komfort sind wir erstaunlich erfolgreich. Aber wir benehmen uns wie altkluge Halbwüchsige, beeilen uns, unsere schönen Werkzeuge zur Unterdrückung der Natur zu benutzen, ohne groß nachzudenken, wie die Welt eigentlich funktioniert.

Wir erzeugen die Illusion, die Natur zur Unterwerfung zwingen zu können. Aber unsere Ignoranz hält uns davon ab, die Konsequenzen dessen zu vergegenwärtigen. Wir wissen nicht, wie man ein außer Kontrolle geratenes Ökosystem managt. Das einzige, was wir managen können, sind wir selbst.

Und nun müssen wir, zum ersten Mal überhaupt, unsere Einzel-Interessen überwinden, uns als eine Spezies versammeln, unseren Angriff auf die Biosphäre beenden und hoffen, dass die Natur noch Überraschungen bereit hält - sowie eine Großzügigkeit, die wir nicht verdienen.

Übersetzung: Detlef Esslinger

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: