Klimawandel:Die fünf großen Klima-Irrtümer

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Wüstenbildung in Kulun Qi in der inneren Mongolei - das Klima verändert sich, und der Mensch trägt daran einen großen Teil der Verantwortung (Foto: dpa)

Ist die Angst vor der Erderwärmung übertrieben? Macht der Klimawandel Pause? Nein, die Erde heizt sich immer weiter auf. Und es gibt keinen Grund zur Beruhigung, auch wenn manche Menschen das Gegenteil behaupten.

Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf

In der kommenden Woche erscheint der neue Bericht des Weltklimarats IPCC. Er ist das Produkt jahrelanger Arbeit von mehr als 800 Wissenschaftlern.

Er wird uns mit unzähligen Messdaten wieder einmal klar vor Augen führen: Die Erde heizt sich immer weiter auf, die Eismassen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, bestimmte Extremereignisse werden häufiger oder heftiger. Hauptursache ist der durch uns verursachte Anstieg der Treibhausgase in der Lufthülle unserer Erde.

Viele Menschen würden, verständlicherweise, diese Erkenntnisse lieber wegschieben. Zur Beruhigung nehmen sie Zuflucht zu den fünf häufigen Missverständnissen über die Klimaforschung.

Erster Irrtum: Die Klimaforscher seien sich nicht einig. Der Wissenschaftsphilosoph Daniel Dennett hat das Bild geprägt, die Wissenschaft sei wie der Bau einer gewaltigen Pyramide. Es gibt ein breites, gut abgesichertes Fundament, über das nur noch selten gesprochen wird. Und es gibt die oben neu hinzukommenden Steinquader, um die sich alle Debatten drehen.

Dass unsere Treibhausgasemissionen zu einer globalen Erwärmung führen, gehört zum gesicherten Fundament der Klimaforschung. Eine Reihe von Studien zeigt übereinstimmend, dass es darüber einen Konsens von 97-98 Prozent der Klimaforscher gibt.

Wir verstehen die Energiebilanz unseres Planeten gut genug. Die Grundlagen dafür wurden schon im 19. Jahrhundert gelegt; 1824 entdeckte Joseph Fourier den Treibhauseffekt, 1863 zeigte John Tyndall, dass Gase wie Kohlendioxid in der Atmosphäre Wärme absorbieren. Unsicher und umstritten sind in der heutigen Klimaforschung ganz andere Dinge, zum Beispiel die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Tropenstürme oder wie instabil die Eismassen der Erde sind.

Zweitens: der Weltklimarat übertreibe. Das ist leider eine schwache Hoffnung. Denn das Konsensverfahren des IPCC, bei dem sich viele Forscher auf gemeinsame Formulierungen einigen müssen, führt im Gegenteil zu einer Art kleinstem gemeinsamen Nenner. Tatsächlich haben der heute gemessene Meeresspiegelanstieg und die Eisschmelze in der Arktis die früheren IPCC-Szenarien längst überholt. Schlecht quantifizierbare Risiken wie die Methanfreisetzung aus Permafrostböden bleiben in den Zukunftsszenarien des IPCC ganz außen vor. Es gibt in der Fachliteratur eine ganze Reihe von Projektionen, die einen deutlich rascheren Anstieg des Meeresspiegels erwarten lassen.

Der IPPC nimmt sie nicht in seine Prognosen auf, sehr wohl aber werden sie bei den Empfehlungen zum Küstenschutz berücksichtigt, unter anderem in den USA. Es gibt inzwischen starke Belege aus der Erdgeschichte, dass die riesige antarktische Eismasse wesentlich empfindlicher auf frühere Warmphasen reagiert und damit der Meeresspiegel stärker geschwankt hat, als es die vom IPCC verwendeten Modelle erklären können. Die IPCC-Berichte untertreiben also eher, als dass sie übertreiben.

Drittens: Vielleicht komme ja alles halb so schlimm, denn die Erwärmung mache gerade Pause. Leider ist das Wunschdenken. Zwar verlief der Temperaturanstieg in den vergangenen 15 Jahren nur halb so schnell wie der langfristige Klimatrend von 0,16 Grad Erwärmung pro Jahrzehnt, aber dies liegt innerhalb der bekannten natürlichen Schwankungen (und ist übrigens wegen der Datenlücke in der Arktis, die sich zuletzt besonders rasch erwärmt hat, auch gar nicht so klar belegt). In den 15 Jahren bis 2006 ging es dafür doppelt so steil nach oben wie im langfristigen Klimatrend, ohne dass damals ein Hahn danach krähte.

Zu Recht: Ein paar Jahre halb so viel Erwärmung, ein paar Jahre doppelt so viel, das ändert nichts am Trend. Die Messungen aus den Ozeanen, wo 90 Prozent der durch den Treibhauseffekt zusätzlich aufgenommenen Wärmeenergie eingespeichert wird, zeigen deutlich: Die Treibhauserwärmung hat in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen. Die Meere heizen sich stetig weiter auf.

Viertens: Das Klima habe sich schon immer verändert. Das ist Fakt, wird aber oft als Grund zur Entwarnung missverstanden. Schon immer hat das Klima drastisch auf Veränderungen der Strahlungsbilanz reagiert - ob das nun die Eiszeiten aufgrund der Erdbahnzyklen waren oder das warme Treibhausklima der Kreidezeit, als aus Gründen der Plattentektonik mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre war. Genau deshalb können wir ja praktisch sicher sein, dass das Klima auch jetzt wieder stark reagieren wird, wo der Mensch die Strahlungsbilanz tief greifend verändert. Jährlich holen wir heute so viel fossilen Kohlenstoff aus der Erdkruste, wie sich zuvor in einer Million Jahre in Form von Kohle und Öl abgelagert hat. Die CO2-Menge in der Luft hat diesen Mai erstmals seit mindestens einer Million Jahre die Marke von 400 ppm (Teile von einer Million) überschritten.

Die Erdgeschichte warnt uns auch vor den Folgen: Infolge der Erwärmung am Ende der letzten Eiszeit stieg der Meeresspiegel innerhalb von zehntausend Jahren um über 100 Meter. Wir erwarten in diesem Jahrhundert einen vergleichbar großen Temperaturanstieg - nur rund fünfzigmal schneller als damals.

Fünftens: na und? Was soll so schlimm an einem wärmeren Klima sein? Darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Bei der letzten Zwischen-Warmzeit vor rund 120 000 Jahren lag die globale Temperatur höchstens zwei Grad über dem vorindustriellen Temperaturniveau, der Meeresspiegel aber lag fünf bis zehn Meter höher. Damals lebten nur wenige Menschen - die dürfte das kaum gestört haben. Heute, mit Milliarden Menschen auf der Erde und riesigen Küstenstädten wie Tokio, Mumbai oder New York, wären die Folgen schon verheerend, wenn der Meeresspiegel um nur einen Meter stiege.

Gut durch Messdaten belegt ist auch, dass sich die Zahl der Monats-Hitzerekorde verfünffacht hat, und das schon nach nur 0,8 Grad globaler Erwärmung. Der "Jahrhundertsommer" 2003 hat europaweit zu circa 70.000 Todesopfern geführt; die Hitzewelle 2010 in Russland zu einem Exportstopp für Weizen. Wie häufig es künftig Überschwemmungen, Dürren und Ernteausfälle geben wird, da gibt es noch erhebliche Unsicherheiten. Das sind die oberen neuen Steinquader der Pyramide, die noch hin und her gerückt werden.

Stefan Rahmstorf, 53, ist Ozeanograf und Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie Professor für die Physik der Ozeane an der Universität Potsdam (Foto: dpa)

Die wirkliche Unsicherheit steckt also nicht in der Forschung. Denn auch, wenn wir die Auswirkungen nicht genau vorhersagen können, ist klar, dass wir große Risiken eingehen, wenn wir weiter unvermindert Treibhausgase ausstoßen. Das ist Grund genug, rasch und entschlossen zu handeln, um den gefährlichen Klimawandel in Grenzen zu halten.

© SZ vom 19.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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