Erderwärmung:Planlos in die Klimakrise

Klimawandel in Deutschland: Ausgetrocknetes Flussbett der Havel

Der Fluss Plane versorgt normalerweise Fischteiche nahe Brandenburg an der Havel mit Wasser. Wegen des Wassermangels führt die Plane derzeit kaum Wasser.

(Foto: Cevin Dettlaff/dpa)

Wie gut ist Deutschland vorbereitet, wenn Böden austrocknen, Bäche zu reißenden Strömen werden oder Städte sich unerträglich aufheizen? Das Buch "Klima außer Kontrolle" zeigt, woran die Anpassung an die Erderwärmung bislang scheitert.

Von Christoph von Eichhorn

Mancherorts müsste gar nicht so viel passieren, man könnte alles so lassen, wie es ist. Etwa im unteren Odertal zwischen Deutschland und Polen. Auf 50 Kilometern fließt die Oder dort durch Auenwälder und Feuchtwiesen, ein perfekter Lebensraum für Vögel und Pflanzen - und eine gute Versicherung gegen den Klimawandel. So dient die Landschaft auch als Überschwemmungsfläche, sollten heftige Regenfälle den Grenzfluss über die Ufer treten lassen.

Doch dann passiert eben doch etwas, hier der "Vertrag zum Ausbau der Oder". Die deutsche und die polnische Regierung unterzeichneten ihn 2015, im selben Jahr wie das Pariser Klimaabkommen. Die Strömung des Flusses soll sich durch den Ausbau von Dämmen nun in den nächsten Jahren beschleunigen, der Fluss tiefer werden, damit größere Schiffe die Oder befahren können. Das Wasser könnte sich womöglich bei einem Hochwasser nicht mehr so großflächig ausbreiten, Feuchtwiesen und Auen könnten verdrängt werden, Moore trockenfallen und somit zur CO₂-Quelle werden.

Von 400 Kommunen hat weniger als jede zehnte konkrete Pläne

Es sind Beispiele wie diese, anhand derer die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres im Buch "Klima außer Kontrolle: Fluten, Stürme, Hitze - Wie sich Deutschland schützen muss" zeigen, wie sich Deutschland derzeit gegen den Klimawandel wappnet: vielerorts gar nicht, andernorts sehr langsam, und manchmal geht es wie entlang der Oder in eine komplett falsche Richtung, sodass Klimarisiken noch unnötig verstärkt werden. Nachdem im vergangenen Jahr Nick Reimer und Toralf Staud mit "Deutschland 2050: Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird" (Kiwi) detailliert vorzeichneten, was die Erderwärmung bis Mitte des Jahrhunderts zwischen Sylt und Zugspitze anrichten dürfte, legt "Klima außer Kontrolle" den Fokus nun auf die Anpassung an die Klimakrise - ein wichtiger Beitrag zu einem Diskurs, der in Deutschland immer noch unterentwickelt ist.

Erderwärmung: Versiegeltes Deutschland: Parkplatz vor einem Einkaufszentrum.

Versiegeltes Deutschland: Parkplatz vor einem Einkaufszentrum.

(Foto: Toni Heigl)

Dabei fußt der Kampf gegen den Klimawandel international schon seit Langem auf zwei Säulen. Neben der mitigation, dem Absenken von Treibhausgasen, haben sich die Staaten schon Anfang der 1990er dazu bekannt, national und regional für eine "angemessene Anpassung an die Klimaänderungen" zu sorgen, kurz adaptation. Allerdings ist dieser Arbeitsauftrag auch 30 Jahre später kaum bis in die deutschen Rathäuser vorgedrungen. So liest sich zumindest eine Anfrage der Autorinnen zusammen mit dem Portal "Frag den Staat" nach lokalen Anpassungsplänen an 400 deutsche Städte und Gemeinden. Von diesen hatte nur jede zehnte ein Anpassungskonzept. Noch weniger Kommunen planten konkrete Projekte, etwa "Flächen zu entsiegeln, um Hitze abzumildern, oder Rückhaltebecken für Starkregen zu schaffen". Nur elf Kommunen können auf Anhieb sagen, wie viele Bäume sie pflanzen wollen, keine einzige gibt an, wie viele Quadratmeter Beton und Asphalt rückgebaut werden sollen - Letzteres wäre eine der wichtigsten Maßnahmen, um Starkregen abfließen zu lassen und Hitzeinseln zu vermeiden.

Entsiegelung von Flächen bringt eher keine Popularität

Vermeiden, womöglich ist das Teil der Erklärung, warum so viel Untätigkeit herrscht. Denn mit verhinderten, quasi unsichtbaren Schäden kann man sich als Bürgermeisterin oder Bürgermeister nicht so richtig schmücken, zumal oft unklar ist, woher das Geld für einen Umbau der Infrastruktur überhaupt kommen soll. Klimaanpassung zählt bislang nicht zu den verpflichtenden Aufgaben von Kommunen, anderes wie das Ausbessern von Straßen hat Vorrang. Wo es überhaupt Budgets zur Klimaanpassung gibt, sind diese meist so niedrig, dass sich damit vielleicht ein paar Tausend Flyer drucken lassen, aber keine paar Tausend Quadratmeter Grünflächen schaffen. Im Ergebnis zahlt der Staat dann halt lieber für die Schäden - im Fall der Flutkatastrophe entlang der Ahr vor einem Jahr: 30 Milliarden Euro - statt im Vorfeld für einen ausreichenden Hochwasserschutz und eine lichtere Bebauung in Flusstälern zu sorgen. Die Versäumnisse nur auf Amtsschimmel und knappe Kassen zurückzuführen, greift aber ebenfalls zu kurz, wie die Autorinnen klarmachen: Für viele Gemeinden ist es äußerst lukrativ, Flächen, die etwa dem Hochwasserschutz dienen könnten, stattdessen als Bauland auszuweisen.

Erderwärmung: Susanne Götze, Annika Joeres: Klima außer Kontrolle. Fluten, Stürme, Hitze - Wie Deutschland sich schützen muss. Piper-Verlag, München 2022. 336 Seiten, 20 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Susanne Götze, Annika Joeres: Klima außer Kontrolle. Fluten, Stürme, Hitze - Wie Deutschland sich schützen muss. Piper-Verlag, München 2022. 336 Seiten, 20 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

(Foto: Piper)

Es ist eine der Stärken des Buchs, solche Leerstellen in der Reaktion auf die Klimakrise auszuleuchten. Ein paar Leerstellen hinterlässt das Buch indes selbst, was angesichts der Größe der Herausforderungen auch verständlich ist. So liegt der Schwerpunkt klar auf dem Umbau und Rückbau der Infrastruktur, der Wälder und der Landwirtschaft. Ebenfalls wichtig wäre ein verändertes Verhalten der Bevölkerung, etwa um sich vor den Folgen extremer Hitze zu schützen, oder Reformen im Bevölkerungsschutz, um bei Naturkatastrophen schneller und effektiver zu warnen. Auch wüsste man gerne noch, ob andere Länder tatsächlich schon weiter bei der Anpassung an die Folgen der Erderwärmung sind und was sich daraus lernen lässt. So heißt es zwar, "in den asiatischen Regionen" würde teilweise mehr Geld für Klimaanpassung in die Hand genommen - wofür genau, bleibt aber offen.

Das Urteil über die deutsche Anpassungspolitik ist hart: "Aus Geiz, Unwissenheit und Profitgier treffen wir an vielen Stellen nicht die nötigen Vorbereitungen, um unsere Bevölkerung zu schützen. Das grenzt an Fahrlässigkeit." Immerhin sieht ein Sofortprogramm der Ampelkoalition nun unter anderem 60 Millionen Euro für Gemeinden zum Schutz vor Extremwetterereignissen vor. Und es sollen 100 Stellen für sogenannte Klimaanpassungsmanager geschaffen werden. Man kann diesen Leuten nur sehr viel Glück wünschen.

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