Klimawandel:Das verflixte System Erde

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Der Weltklimarat gibt viele gute Ratschläge: Ökosysteme schützen, eine bessere Landwirtschaft betreiben, Energiepflanzen anbauen. Doch alles zugleich wird kaum zu schaffen sein.

Von Marlene Weiss

Berichte des Weltklimarats sind selten für positive Überraschungen gut. Aber diesmal ist es besonders bitter, was rund 100 Experten im "Spezialbericht über Klimawandel, Wüstenbildung, Landverschlechterung, nachhaltiges Landmanagement, Ernährungssicherheit und Treibhausgasflüsse in terrestrischen Ökosystemen" zusammengetragen haben. In ihrer komplexen Verknüpftheit erscheinen die Probleme nahezu unlösbar.

Um die aktuell 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde zu ernähren - immerhin doppelt so viele wie in den 1970er-Jahren -, wird rund ein Viertel der eisfreien Landflächen der Erde so stark oder falsch genutzt, dass sich ihr Zustand verschlechtert. Wüsten dehnen sich aus, Staubstürme nehmen zu. Zugleich hat sich die Temperatur über Land stärker erwärmt als über den Ozeanen: seit dem Ende des 19. Jahrhunderts um mindestens 1,5 Grad. Auch das macht Landwirtschaft und Ökosystemen zu schaffen. Böden erodieren durch intensive Beweidung, Wälder werden gerodet, Ökosysteme kippen, fruchtbare Böden versalzen, weil sie zu stark bewässert werden. Ein unschöner Vergleich drängt sich auf: Der Mensch ist über die Erde gekommen wie ein Heuschreckenschwarm.

Oft beeinflussen sich Klimaerwärmung und Veränderungen von Landschaften gegenseitig. Manchmal sogar im positiven Sinn: So haben der erhöhte CO₂-Gehalt in der Luft und die gestiegenen Temperaturen bislang in den meisten Regionen zu üppigerer Vegetation geführt. Allerdings macht die Erwärmung Starkregen heftiger und häufiger, was fruchtbaren Boden wegschwemmt. Wo Übernutzung dazu führt, dass Wüsten sich ausdehnen, wird das bis dahin in Boden und Pflanzen gespeicherte CO₂ frei und fördert die Erwärmung, auch wenn der kahle Boden dann mehr Sonnenlicht reflektiert. Weil Hitzewellen den arktischen Permafrost schmelzen lassen, gibt dieser Methan frei, was wiederum den Klimawandel antreibt. Nicht zuletzt tragen Land- und Forstwirtschaft 23 Prozent der menschlichen Treibhausgasemissionen bei.

Nicht nur die Energieversorgung muss sich ändern, sondern auch die Ernährung

Je weiter die Erwärmung voranschreitet, desto größer werden die Risiken. Bei den global bereits unvermeidlichen 1,5 Grad Erwärmung bis 2100, so der IPCC, sind die Risiken von Wasserknappheit, Waldbränden, Permafrostverlusten und Schwankungen in der Nahrungsmittelversorgung "hoch". Erwärmt die Erde sich um zwei oder drei Grad, steigen sie weiter an.

Nicht gerade umweltschonend – besonders, wenn der Ertrag an Schweine und Rinder verfüttert wird: Soja-Ernte in Brasilien. (Foto: REUTERS)

In dieser bedrohlichen Lage steht die Welt somit vor zwei historischen Aufgaben auf einmal. Die Verbrennung fossiler Ressourcen muss schnellstmöglich aufhören. Und zugleich muss die Landwirtschaft so umgebaut werden, dass sie auch künftig und trotz eines fortschreitenden Klimawandels Lebensmittel liefern, Tier- und Pflanzenarten eine Heimat bieten sowie idealerweise auch noch zusätzliches CO₂ speichern oder Bioenergie produzieren kann. Das ist viel verlangt.

Wie das zumindest teilweise gelingen könnte, haben die Autoren des IPCC zusammengetragen. So soll das, was in der Landwirtschaft theoretisch als gute fachliche Praxis bekannt ist, sich auch in der Realität durchsetzen. Höhere Produktivität, soweit dies naturverträglich möglich ist, sparsame Bewässerung, Fruchtfolgen, zurückhaltendere Beweidung. Wälder sollen nicht mehr abgeholzt werden, logisch, Wiesen und Weiden seltener in Ackerland verwandelt werden. Böden sollen schonender bewirtschaftet werden, um Erosion - etwa durch Pflügen - und zu starker Verdichtung durch schwere Maschinen entgegenzuwirken.

Auch die Luft- und Wasserverschmutzung müsste verringert werden. Moore und Feuchtgebiete sollen geschützt und wo nötig wieder instand gesetzt werden. Energiepflanzenanbau könnte schnell CO₂ aus der Luft binden. Würde man das CO₂ speichern, das beim anschließenden Verbrennen frei wird, könnte man so der Atmosphäre sogar Treibhausgase entziehen - eine solche Technik ist in fast allen Modellszenarien für ambitionierten Klimaschutz eingeplant. Und schließlich sollten die Menschen sich anders ernähren. "Ohne eine Änderung zu einer gesünderen und ressourcenschonenden Ernährungsweise, die weit weniger tierische Lebensmittel beinhaltet, gibt es kaum eine Chance, den Klimawandel ausreichend zu begrenzen", sagt Marco Springmann von der Universität Oxford.

Zwar ist im Prinzip genug Land für Klimaschutz, Artenschutz und Ernährung da - aber nur, wenn auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in die richtige Richtung geht. Im IPCC-Bericht wird diese in fünf Szenarien betrachtet, von einem leichten Rückgang der Bevölkerung und sparsamem Konsum bis hin zu schnellem Bevölkerungswachstum und hohem Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch. Alle Ziele zugleich kann man selbst im besten Fall nur dann erreichen, wenn auch ein sehr optimistisches Entwicklungsszenario eintritt - dafür müssten aus heutiger Sicht schon mehrere Wunder auf einmal geschehen.

Wahrscheinlicher sind Kompromisse. So sind manche Experten sehr skeptisch, was großflächige Aufforstung und Bioenergie-Nutzung angeht: Alles, was mit zusätzlichem Flächenbedarf zu tun hat, dürfte schwierig werden, wenn nicht unmöglich.

Der Bericht zeigt, wie eng alles mit allem zusammenhängt. Klimaschutz, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung lassen sich nicht getrennt betrachten. Und noch etwas leistet die IPCC-Arbeit: Politiker, die sich heute trotz allem gegen entschlossenes Handeln entscheiden, werden dereinst nicht sagen können, sie hätten von nichts gewusst.

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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