Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Das Dasein auf dem 18-Grad-Planeten

Die britische Wissenschaftsorganisation Royal Society macht auf drastische Weise anschaulich, was eine Erwärmung der Erde um weitere drei Grad bedeuten würde.

Christopher Schrader

Wer 350 Jahre alt wird, darf auch 90 Jahre in die Zukunft schauen. Zu ihrem Gründungsjubiläum hat die britische Wissenschaftsorganisation Royal Society ihren Blick auf das Ende dieses Jahrhunderts gerichtet. 13 Aufsätze füllen eine ganze Ausgabe ihrer Zeitschrift Philosophical Transactions - aber ob ihre Mitglieder den Sonderband als passendes Geburtstagsgeschenk empfinden, ist fraglich.

Die Texte beschreiben nämlich eine Welt, die sich bis zum Jahr 2100 noch einmal um gut drei Grad Celsius gegenüber heute erwärmt haben wird. Die globale Durchschnittstemperatur der Erde, so die realistische Annahme, liegt dann vier Grad höher als vor der Industrialisierung, bei 18 statt rund 14 Grad.

Die Wissenschaftler beschreiben eine Welt, in der im Süden Afrikas jede zweite Ernte ausfällt. In Asien hat ein Meeresspiegelanstieg zwischen einem halben und zwei Metern 50 bis 125 Millionen Menschen von den Küsten vertrieben, wo Staaten nicht etliche Milliarden Dollar pro Jahr in Deiche investieren konnten.

Europa dürfte der Küstenschutz bis zu 40 Milliarden Euro pro Jahr kosten, weil sonst 19 Millionen Menschen umgesiedelt und urbane Regionen aufgegeben werden müssten. Am Mittelmeer, aber auch in Süddeutschland, werden die Sommer mindestens sechs Grad wärmer.

Auf dem ganzen Kontinent steht den Menschen ungefähr ein Drittel weniger Wasser zur Verfügung; besonders dramatisch wird der Mangel in Spanien, wo der Verlust zwei Drittel erreicht. Noch mehr spitzt sich die Situation in Brasilien zu, wo die Wassermenge auf ein Fünftel schrumpft. Dort dürfte auch der Amazonas-Regenwald leiden und sich um mindestens zehn, aber womöglich auch um 80 Prozent verkleinern.

In anderen Weltgegenden, etwa im Kongo-Becken, könnte sich der Dschungel aufgrund des Klimawandels zwar ausdehnen - aber die hungernden Menschen werden vermutlich um jede Fläche für den Ackerbau kämpfen. Viele Menschen werden aus ihrer Heimat fliehen müssen, ihre Zahl ist kaum vorherzusehen. Erschreckender erscheint den Forschern aber noch, dass anderen Menschen nicht einmal mehr die Gelegenheit zur Flucht bleibt: Der Klimawandel wird sie schlicht überwältigen.

Zweischneidige Warnung

Dieser Ausblick spricht natürlich die Delegierten an, die zurzeit im mexikanischen Cancún über den globalen Klimaschutz debattieren. Aber die Warnung ist zweischneidig: Wie die Psychologie weiß, reagieren Menschen auf Alarmrufe mit Abwehr. Entsteht das Gefühl, sie könnten nichts tun, zweifeln sie die Grundlage der Warnung an - in diesem Fall die Erkenntnisse der Klimaforscher.

Auch politisch ist der Geburtstagsband der Royal Society nicht eben opportun. Immerhin setzen die Wissenschaftler in ihrem Szenario voraus, dass die Welt das Ziel verfehlt, die Erwärmung auf zwei Grad gegenüber dem frühen 19.Jahrhundert zu begrenzen. Diese Festlegung ist der einzige Erfolg, den die Staaten beim Gipfel von Kopenhagen erzielt haben. Sie haben damit definiert, wo der "gefährliche Klimawandel" beginnt, den sie gemäß der Rio-Konvention von 1992 verhindern wollen.

Jetzt aber sagen die Forscher: Das Zwei-Grad-Ziel ist kaum noch zu schaffen, darum betrachten wir die Erwärmung von vier Grad. Damit ist aber bereits die Grenze zwischen gefährlichem und sehr gefährlichem Klimawandel überschritten.

Die Forscher sind sich der Effekte ihrer Botschaft offenbar bewusst. Sie halten die "harte und gnadenlose Bewertung" jedoch für nötig. Nur wer sich die Dimension der Probleme klar mache, könne auch Hoffnung auf eine Lösung haben.

(Eine Reportage des Raumfahrtmagazins Space von Euronews TV und der Europäischen Weltraumorganisation Esa zum Thema Klimawandel finden Sie hier)

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SZ vom 03.12.2010/mcs
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