Süddeutsche Zeitung

SZ-Klimaserie: "Der Weg zur Null":"Die Norweger sind schon sehr weit"

CO₂ könnte auch in Deutschland im Untergrund gelagert werden, doch das ist hierzulande unpopulär. Ein Geowissenschaftler über eine Technik, auf die man im Klimaschutz kaum verzichten kann.

Interview von Christoph von Eichhorn

Kohlendioxid einfangen und unter die Erde pressen - dafür steht die Abkürzung CCS, "Carbon Capture and Storage". Solche Ansätze werden in den meisten Szenarien für ehrgeizigen Klimaschutz vorausgesetzt. In Island ist kürzlich "Orca" in Betrieb gegangen, 4000 Tonnen CO₂ sollen dort jährlich aus der Luft gefiltert und in den Boden gebracht werden. In Norwegen wird schon lange CO₂ aus Industrieanlagen eingelagert. In Deutschland hat die Technik allerdings einen schweren Stand. Derzeit können bundesweit keine Speicher beantragt werden, mehrere Bundesländer haben CCS ganz ausgeschlossen. Und wie viel Platz ist hier im Untergrund überhaupt? Franz May ist Experte für CO₂-Speicherung an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).

SZ: Welche Menge an Treibhausgasen könnten wir im Untergrund von Deutschland speichern?

Franz May: Geologisch betrachtet bestehen in Deutschland große Speichermöglichkeiten in leergeförderten Erdgaslagerstätten und salinen Aquiferen, also in salzwasserführenden Schichten in großer Tiefe. Erdgaslagerstätten wären Optionen, weil sie Erdgas für Jahrmillionen zurückgehalten haben, also prinzipiell sehr gut abdichten. Da sprechen wir von einem Volumen von 2,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Das Volumen von tiefen salinaren Aquiferen lässt sich auf 6,3 bis zwölf Milliarden Tonnen abschätzen, genauere Daten fehlen. Derzeit kann in Deutschland aber kein CO₂ im Untergrund gespeichert werden, weil die Frist für Anträge auf Speicher nach dem Kohlendioxidspeicherungsgesetz Ende 2016 abgelaufen ist.

SZ-Serie "Der Weg zur Null"

Wie Deutschland klimaneutral wird: alle Folgen der SZ-Serie "Der Weg zur Null".

Rechtfertigen die bisherigen Forschungsergebnisse die skeptische Grundhaltung der Politik?

Abscheidung, Transport und Einlagerung von CO₂ sind technisch möglich, geologisch betrachtet gibt es untersuchungswürdige und vermutlich geeignete Schichten. Es wird noch an günstigeren, energieärmeren Abscheideverfahren geforscht sowie an autonomen Überwachungstechniken. Das sind aber eher Entwicklungs- statt Forschungsaspekte. In Deutschland wären eher Demonstrationsprojekte sinnvoll, um konkret die Machbarkeit zu prüfen, etwa bei der Frage, wie sich einzelne Gesteinsformationen bei der Speicherung verhalten. Aus geologischer Sicht spräche aber nichts dagegen, CO₂-Speicherung auch in Deutschland weiterzuentwickeln.

Blicken Sie da mit einem gewissen Neid ins Ausland?

Neidisch braucht man nicht ins Ausland zu schauen, weil die Bedingungen überall anders sind, nicht nur die geologischen, auch die sozioökonomischen. CO₂-Speicherung ist nur eine Option von vielen beim Klimaschutz. Besonders auf Norwegen lohnt aber ein genauer Blick, wo im marinen Bereich CO₂ auch in ehemaligen Erdgaslagerstätten unter dem Meer gespeichert wird. Die Norweger sind schon sehr weit. Auch da gab es Rückschläge, die aber technisch behoben werden konnten.

Kann man daraus auch etwas über mögliche Risiken der CO₂-Speicherung lernen?

Aus Klimaschutzsicht sollte das CO₂ bei einer Speicherung zumindest einige Tausend Jahre von der Atmosphäre ferngehalten werden. Für diese Zeiträume haben wir keine Erfahrungen aus Speicherprojekten. Norwegen hat 25 Jahre Erfahrung, das Projekt läuft problemlos. Es gibt aber natürliche CO₂-Lagerstätten, auch in Deutschland. Anhand von ihnen können wir zumindest abschätzen, welche Lagerstätten dicht waren und wo CO₂ ausgetreten ist. Sorgfältige Erkundung, Auswahl und Überwachung sind daher Grundvoraussetzung für jedes Projekt. Darüber hinaus helfen Laborexperimente und Computersimulationen bei Langzeitprognosen.

Was sagen uns diese natürlichen Lager?

Manche Deckschichten haben CO₂ mehr als zehn Millionen Jahre zurückgehalten - zum Beispiel der Zechstein, den man auch in Deutschland findet. Ein anderer Aspekt: Wo es natürliche CO₂-Austritte gibt, können wir dessen Umweltauswirkungen studieren, etwa welche Raten an Gas entweichen. Über manchen CO₂-Lagerstätten in großer Tiefe liegen Gesteinsschichten mit etwas höherer Durchlässigkeit, die aber auch wieder als Zwischenspeicher dienen können. Da bietet die Natur ein Multi-Barrieren-Konzept an.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek betont vor allem die Rolle natürlicher Senken, wie Wälder, Moore und Ozeane. Ist das der richtige Fokus?

Es gibt Studien zur Frage, mit welchen Technologien sich das 1,5-Grad-Ziel erreichen lässt: Das sind alles Szenarien, die einen breiten Mix von Maßnahmen beinhalten. Das eine schließt das andere nicht aus. Dazu gehören natürliche Senken, aber auch technische Maßnahmen. Betrachtet man die CO₂-Speicherung weltweit, wird allerdings klar, dass die Emissionen sehr viel schneller ansteigen als die Abscheideoptionen. Deshalb brauchen wir ein breites Bündel von Maßnahmen. In erster Linie muss es aber um die Vermeidung von Emissionen gehen.

Reicht Vermeiden denn nicht aus?

Wir brauchen CCS vor allem auch als Lösung für prozessbedingte Emissionen in der Industrie. Von daher ist CCS zumindest eine Brückentechnologie, solange bis wir den Umstieg auf erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe geschafft haben beziehungsweise industrielle Prozesse umgestaltet werden können. Daneben gibt es auch die Diskussion um CO₂-neutralen Wasserstoff - hier besteht eine Technik darin, Wasserstoff aus Erdgas zu gewinnen und das entstehende CO₂ zu speichern.

Ein Plan, den das erdgasreiche Norwegen verfolgt. Kommen vor der deutschen Küste auch Speicherstätten im Meer in Betracht?

Im deutschen Nordseeraum gibt es noch keine detaillierte Untersuchung zur Eignung von geologischen Formationen für eine CO₂ -Einlagerung. Da müsste man die untersuchungswürdigen Formationen viel genauer charakterisieren. Prinzipiell macht es für die Speicherung aber keinen Unterschied, ob nur Gestein über dem Speicher liegt oder wie in der Nordsee noch zusätzlich 50 Meter Wasser. Es macht aber Unterschiede bei der Erkundung, bei der Überwachung und der Bohrung.

Wie sieht es mit dem Erdbebenrisiko aus? Das wird ja auch häufig als Gegenargument ins Feld geführt.

Bei der CO₂-Speicherung ist mir kein Projekt bekannt, das an Erdbeben gescheitert wäre. Spürbare Beben, auch solche, die leichte Gebäudeschäden verursacht haben, sind von einzelnen anderen geotechnischen Projekten bekannt. Sie traten dort auf, wo kritische Spannungen im Untergrund bereits vorhanden waren, bevor Gase und Flüssigkeiten injiziert oder entnommen wurden. Das war dann sinnbildlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Die Regionen, die sich für eine CO₂-Speicherung eignen, etwa das Norddeutsche Becken, das Süddeutsche Becken und der Oberrheingraben, sind häufig auch für die tiefe Geothermie interessant. Drohen da Flächenkonflikte?

Derzeit sehe ich keine Nutzungskonflikte, da es für beide Technologien nur wenige Projekte gibt. Darüber hinaus ist der Untergrund ein dreidimensionaler Raum, in dem wir verschiedene Stockwerke nutzen können. Es gibt international auch erste Ideen, Geothermie und CCS zu kombinieren, etwa bei der Druckentlastung von Aquiferen. Ein Nebeneinander ist also denkbar.

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