Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Dreifache Krisenbekämpfung

Große Reservate überall auf der Erde würden sowohl den Klimawandel als auch den Artenschwund bremsen. Selbst die Entstehung weiterer Pandemien könnten sie verhindern.

Kommentar von Tina Baier

Artenschwund und Klimawandel sind zwei Krisen, die jede für sich genommen das Überleben der Menschheit gefährden. Noch bedrohlicher ist aber, dass sie sich gegenseitig verstärken und beschleunigen. Der Mensch hat beide verursacht, jetzt muss er sie gleichzeitig bekämpfen. Leider haben das viele Klima- und Artenschützer immer noch nicht verstanden und arbeiten eher gegen- als miteinander.

Dabei sind die Zusammenhänge offensichtlich: Das Artensterben beschleunigt sich, weil viele Spezies mit den Temperaturen nicht zurechtkommen, die wegen des Klimawandels steigen. Prominente Beispiele sind riffbildenden Korallen und Eisbären. Und die Klimakrise verstärkt sich, wenn Wälder, Ozeane und andere Ökosysteme ihre Fähigkeit einbüßen, das Treibhausgas Kohlendioxid zu speichern, weil sie durch den Artenschwund geschwächt sind. Ein Beispiel sind Baumriesen im tropischen Regenwald, deren Samen durch bestimmte Tierarten verbreitet werden. Nimmt die Zahl dieser Tiere ab oder sterben sie gar aus, wachsen auch weniger dieser Bäume, die große Mengen CO2 aus der Atmosphäre filtern können.

Die Lösung für die Krisen: Mehr als 50 Prozent der Erdoberfläche sollten Öko-Regionen werden

Gibt es einen Weg aus der Misere? Eine Möglichkeit, beide Krisen gleichzeitig zu bekämpfen, wäre, ganze Ökosysteme unter Schutz zu stellen. Derzeit sind es nur etwa 15 Prozent der Landmasse. Das ist viel zu wenig!

Wissenschaftler um den amerikanischen Umweltschützer Eric Dinerstein haben jetzt im Wissenschaftsjournal Science Advances 50 "Ökoregionen" in 20 Ländern identifiziert, deren Schutz sich im Kampf gegen die Zwillingskrisen Klimawandel und Artenschwund besonders lohnen würde, etwa weil sie besonders artenreich sind und/oder besonders viel Kohlendioxid speichern.

Viele Wälder sind darunter, aber auch Wüsten und Steppen. Insgesamt kommen etwas mehr als 50 Prozent der Erdoberfläche zusammen - Ozeane nicht mitgerechnet. Der Vorschlag klingt zunächst utopisch, sollte aber unbedingt ernst genommen werden. Zum einen ist die Auswahl an Ansätzen, wie sich die Zwillingskrisen gleichzeitig bekämpfen lassen, nicht gerade groß. Zum anderen sind die meisten der relevanten Regionen gar nicht oder nur sehr dünn mit Menschen besiedelt.

Zur Lösung der dritten großen Krise, der Corona-Pandemie, kann Dinersteins Vorschlag nicht beitragen. Allerdings würden ausgedehnte Schutzgebiete in Zukunft das Risiko senken, dass andere Krankheitserreger von Tieren auf Menschen überspringen. Anders als jetzt könnten Menschen nämlich nicht mehr ungehemmt in jeden Winkel der Erde vordringen und müssten einen angemessenen Abstand zu den dort lebenden Tieren wahren.

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