Es ist ja so schön, Recht und Wahrheit ohne jeden Zweifel auf seiner Seite zu haben. Wer dieses Gefühl auskosten möchte, kann versuchen, Politiker auf CO₂-Budgets festzunageln, so zum Beispiel, wie es Louis Klamroth im gemeinsam mit Linda Zervakis geführten Olaf-Scholz-Interview auf Pro Sieben getan hat. Wie hoch denn das CO₂-Budget sei, mit dem Scholz arbeite? Antwort: irgendwas mit Ambitionen. Nachfrage: Arbeiten Sie mit einem CO₂-Budget? Antwort: richtige Frage, und so weiter.
Damit hat der SPD-Kanzlerkandidat immerhin eleganter laviert als Umweltministerin Svenja Schulze, die auf ähnliche Fragen einmal den schönen Satz formulierte "Unter diesen ganzen Tonnen kann sich doch keiner was vorstellen." Aber ob elegant oder nicht, es bleibt der Punktsieg für den Fragenden: Ha, wieder einen Dampfplauderer entlarvt, hier meint jemand das alles nicht ernst.
Das CO₂-Budget der Welt lässt sich nicht zugleich vernünftig und gerecht auf Länder aufteilen
Es gibt sicher viele gute Gründe, so manchem Politiker Dampfplauderei in Klimadingen vorzuwerfen. Aber taugen nationale CO₂-Budgets wirklich zur Gretchenfrage? Zwar ist die Menge an emittiertem CO₂, welche der Planet noch verkraftet, bevor mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Temperaturgrenze gerissen wird, eine wichtige Größe. Sie lässt sich auch im Rahmen der üblichen Unsicherheit einigermaßen klar beziffern, und ja, es ist erschreckend wenig: Will man die Erwärmung auf deutlich weniger als zwei Grad begrenzen, dürfte es nach den Zahlen des Weltklimarats IPCC beim heutigen Tempo für keine 20 Jahre mehr reichen.
Kompliziert wird es aber, wenn man dieses Budget auf Staaten aufteilen will - was der IPCC nie getan hat. Soll man nach historischer Schuld gehen? Dann dürften Industriestaaten längst überhaupt nichts mehr emittieren. Schon eher könnte man nach Bevölkerung aufteilen, rückwirkend zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Paris-Abkommens. Dann müsste Deutschland spätestens Ende der Dreißigerjahre CO₂-neutral sein. Klingt logisch, würde aber bedeuten, dass Länder wie Australien oder die USA, die auf sehr hohem Niveau starten, praktisch sofort die Null erreichen müssten. Das ist nicht nur nicht realistisch: Es ist nicht einmal wünschenswert, wenn man sich die gesellschaftlichen Kollateralschäden vorstellt.
Es gibt keine Aufteilung des CO₂-Budgets, die zugleich vernünftig und im engen Sinne "gerecht" wäre, das Ganze bleibt eine historische Ungerechtigkeit. Was man aber erwarten kann: Jedes Land, gerade ein reiches wie Deutschland, sollte sein Möglichstes tun, um schleunigst klimaneutral zu werden und auch anderen Staaten dabei zu helfen. Dafür braucht es einen ehrgeizigen und durchdachten Plan. Man wüsste schon gerne, ob ein Kanzlerkandidat willens und in der Lage ist, zeitnah einen solchen aufzustellen. Jedenfalls bietet das Stoff für interessantere Fragen als die ewige Budget-Besserwisserei.