Klimaschutz in Brasilien:Geld für Bäume

Klimaschutz heißt für Brasilien, den Regenwald zu erhalten - am Amazonas werden die Bürger nun sogar dafür bezahlt, die Natur in Ruhe zu lassen.

Peter Burghardt, Manaus

Wer sich in Manaus in ein Schnellboot setzt, der lässt die Zivilisation erst mal zügig zurück. Brasiliens Dschungelmetropole liegt ja mitten drin im größten Urwaldgebiet der Erde. Das schmale Schiff legt ab vom schwimmenden Kai der Fischer am Rio Negro, dessen schwarze Fluten ganz in der Nähe im braunen Amazonas-Oberlauf Solimoes zerfließen.

Klimaschutz in Brasilien: "Niemand holzt ab, weil er doof ist": Allein der Bundesstaat Amazonas ist viermal so groß wie Deutschland.

"Niemand holzt ab, weil er doof ist": Allein der Bundesstaat Amazonas ist viermal so groß wie Deutschland.

(Foto: Foto: dpa)

Das Wasser steht zur Trockenzeit 17 Meter tiefer als zur Regenzeit und legt Strände frei, trotzdem wird der Fluss bald breit wie ein See. Die Fahrt führt vorbei an Hochhäusern und Baracken, zwischen den Pfeilern einer neuen Brücke. Der Moloch verschwindet wie eine Fata Morgana im Dunst. Nach zwei Stunden könnte man mit rosa Delphinen spielen. Nach 70 Kilometern Wildnis taucht an einem Nebenarm der Ort Acajatuba am schlammigen Ufer auf. Und zwischen Pfahlbauten sind da auf einmal Satellitenschüssel und Kreditkarten.

Am Kiosk neben der Dorfschule sitzt Marlene Alves da Costa, die Gemeinderätin und Hebamme ist im Busch überraschend Kundin der Firma Visa geworden. Auf ihrem Exemplar stehen ihr Name und ihre Nummer. Dazu sind die Schriftzüge "Bolsa Floresta", "Stiftung nachhaltiges Amazonas" und "Regierung des Staates Amazonas" ins Plastik graviert.

"Die Lunge der Welt"

Damit kriegt ihre Familie jeden Monat 50 Reais, umgerechnet 20 Euro - wenn sie die Natur in Ruhe lässt. Abzuholen ist die bislang eher mickrige Belohnung an Automaten der Bank Bradesco in Manaus. Außerdem bekommt die gesamte Gemeinde Unterstützung für Errungenschaften wie Telefon, Internet und Parabolschüssel, sofern die Bewohner ihre Umgebung pfleglich behandeln.

"Wir leben hier in der Lunge der Welt", sagt Kreditkartenbesitzerin Alves da Costa, umschwirrt von bunten Vögeln und Schmetterlingen, die feuchte Hitze treibt den Schweiß wie im Gewächshaus. "Wer atmen will, der muss uns mehr helfen." Das ist die Idee bei diesem Projekt, das Brasilien und die Welt überzeugen soll und auch diese resolute Dame im löchrigen rosa T-Shirt. Bolsa Floresta bedeutet so viel wie Waldbörse, dahinter steckt ein simpler Gedanke: Pflanzen sind Sauerstoff, nirgendwo auf dem Planeten gibt es mehr davon, also muss ihr Schutz bezahlt werden. Das tun jetzt in bescheidener Form die Regierung und das Geldinstitut Bradesco, das damit auch neue Klienten gewinnt. Weitere Mäzene sind die Konzerne Coca-Cola und Marriott. Ausprobiert wird das Programm an 6500 Haushalten auf zehn Millionen Hektar in 35 Schutzgebieten des Kernlandes Amazonas.

Teilnehmer wie Frau Alves da Costa sollen gegen Honorar nur gewisse Flächen für den Anbau von Maniok roden und sorgsam mit den Früchten dieses Garten Edens umgehen. Sie sind kleine Figuren im globalen Spiel. Dies sei erst der Anfang, glaubt Erfinder Virgilio Viana: "Wir werden dafür sorgen, dass Bäume eher stehen bleiben als fallen."

"Wir brauchen neue Standards im Dschungel"

Er hat den Plan ausgeheckt. Der brasilianische Biologe mit Harvard-Studium war regionaler Umweltminister, jetzt ist er der Chef der Amazonas-Stiftung in Manaus. "Wenn wir Mehrwert für den Urwald schaffen, dann bleibt er stehen", doziert Viana in der Zentrale aus Holz und Glas. "Niemand holzt ab, weil er doof ist. Sondern, weil er Geld verdienen will." Also werden erste Anwohner dafür belohnt, nicht abzuholzen. Nicht nur mit Kreditkarten.

Es wird der Verkauf von Kautschuk, Paranüssen oder Tropenobst gesunder Bäume unterstützt, Erziehung und schonender Tourismus sollen gefördert werden. Es geht um die Verteidigung einer grünen Bastion. Allein der Bundesstaat Amazonas ist viermal so groß wie Deutschland. 98 Prozent der 1,57 Millionen Hektar Wald sind erhalten, dazwischen leben drei Millionen Menschen. "Die kannst du nicht dafür bestrafen", sagt Gouverneur Eduardo Braga im tiefgekühlten Konferenzsaal. Sein Vorgänger ließ Kettensägen verteilen, Braga rief zur Umkehr auf: "Wir brauchen neue Standards im Dschungel."

Ein Modell, vielleicht schon beim Klimagipfel in Kopenhagen? Gerade lud Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die südamerikanischen Anrainer zum Amazonasgipfel nach Manaus ein. Zu den Gästen zählte auch Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, der für Französisch-Guyana auftrat. Sarkozy regt an, dass Europa 20 Prozent der zehn Milliarden Dollar Finanzhilfe für die ärmsten Länder in den Erhalt des Urwalds steckt. Biologe Viana findet, Millionen für Bolsa Floresta seien ein exzellentes Geschäft, wenn man den Nutzen bedenke. Brasilien will, dass der Waldschutz ins Kyoto-Protokoll aufgenommen wird und in den Handel mit CO2-Zertifikaten. "Reduzierung von Emissionen durch Entforstung and Waldzerstörung", heißt das Programm der Vereinten Nationen. Darin spielt Brasilien eine Hauptrolle. Erstens besitzt das Land das Gros des sieben Millionen Quadratkilometer großen Amazonas-Regenwaldes. Zweitens sind etwa ein Fünftel davon schon den Sägen und Äxten zum Opfer gefallen. Und drittens ist der fünftgrößte Staat des Planeten deshalb der viertgrößte Luftverpester.

Der Kapitalismus als Umweltschützer?

Man spürt das sogar auf der urbanen Insel Manaus, wenn in den umliegenden Bundesstaaten Parß oder Mato Grosso Felder abgefackelt werden. Der Rauch zieht Hunderte Kilometer weit. Längst hat der Klimawandel mit seinen Überschwemmungen, Dürren und Orkanen dieses Refugium erreicht. Amazonien wird belagert wie von einer feindlichen Streitmacht. Holzfäller, Viehwirte, Sojabauern. Der Kuhbestand im Großraum stieg zwischen 1996 und 2006 von 37 auf 73 Millionen Stück. Mato Grossos Gouverneur Blairo Maggi ist der Sojakönig der Welt, bekam von Greenpeace die Goldene Kettensäge und wird von Forbes zu den 100 Mächtigsten der Welt gerechnet.

Auch der umschwärmte Lula galt bislang keineswegs als Ökologe. Seine Umweltministerin Marina Silva trat frustriert zurück und tritt 2010 gegen Lulas Kandidatin Dilma Rousseff an. Für Dänemark präsentiert Lula jedoch erfreuliche Zahlen: 2008 wurde so wenig Amazonasholz geschnitten wie seit 21 Jahren nicht - immer noch gewaltige 7000 Quadratkilometer. Brasiliens Luftverschmutzung soll bis 2020 um 36 bis 39 Prozent sinken, der Kahlschlag um 80 Prozent. Lula sagt: "Wir zeigen unseren amerikanischen und europäischen Freunden, dass wir in Brasilien weniger reden und mehr tun."

Aber was tut Brasilien, wenn der Sojapreis weiter steigt und die Nachfrage aus Fernost? Es kommt darauf an, wie viel Zuckerrohr, Soja oder Fleisch gerade gefragt ist. Dann wachsen die Plantagen. Obendrein wird Brasilien zur Ölmacht, will die fünftgrößte Wirtschaftsnation werden, veranstaltet die Fußball-WM 2014 und Olympia 2016. Manaus mit seiner Freihandelszone und seinen zwei Millionen Einwohnern erstickt im Stau, die meisten Autos fahren mit Ethanol. Es entstehen Brücken und Straßen, die BR-319 nach Porto Velho wird asphaltiert. Am Rio Xingu soll ein Wasserkraftwerk gebaut werden. Und Brasilien hat die Umwelt-Kontrollbehörde Ibama, aber die großen Entscheidungen treffen Leute wie Obama. Der Kapitalismus als Umweltschützer? "Wann", spottet Marlene Alves da Costa in Acajatuba, "werden sie uns an die Multis verschachern?"

"Es gibt nur diesen einen Planeten"

50 Reais im Monat, wenn die Bäume stehen bleiben. 20 Euro. Gut, viele Familien haben auf diese Weise ein Konto, vorher hatten sie nicht mal Personalausweise. In der Schule unterrichten plötzlich Lehrer via Satellit und Internet auf Flachbildschirmen. Viele Schüler kommen nach wie vor mit dem Schulboot. Aber die sechsfache Mutter da Costa findet, die Regierung und die reichen Staaten müssten viel mehr tun, "sonst überleben unsere Kinder hier nicht, es gibt nur diesen einen Planeten". Alle ihre 50 Lebensjahre wohnt sie in Acajatuba am Rio Negro und merkte, wie es immer heißer wird und die Stürme immer verrückter. Viele Urwald-Lounges haben dichtgemacht, Brasilien ist teuer geworden, Touristen kommen kaum mehr ins Dorf und kaufen kaum mehr Perlenketten aus Samen. Und jetzt müssen sie hier das harte Itauba-Holz für die Kanus illegal kaufen, weil sie es selbst nicht mehr schlagen dürfen. Statt dessen pflanzen sie Bäumchen, regelmäßig kommen Kontrolleure vorbei wegen Bolsa Floresta, der Waldbörse.

Nebenan wirft Bootsbauer Viceli Siqueira da Costa zwischen den Kautschukbäumen den Dieselmotor an, die Säge kreischt. Er macht sie schnell wieder aus.

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