Klimaschutz:Manche Forscher halten das Zwei-Grad-Ziel für eine Utopie

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2º Erwärmung

Stärker als um zwei Grad Celsius, gemessen an den Temperaturen vor der industriellen Revolution, soll sich die Erde nicht erwärmen. Das haben die Staaten der Welt 2010 auf dem Klimagipfel von Cancún beschlossen. Seither ist die Zahl von vielen Seiten kritisiert worden und dient zugleich als Schlachtruf für alle, die entschiedenen Klimaschutz fordern.

Es liegt auf der Hand, dass sich solche Gefahren nicht mit wissenschaftlicher Präzision berechnen lassen. Die Autoren des Berichts der Arbeitsgruppe II erklären darum auch deutlich, sie hätten die in den fünf Balken zusammengefassten Folgen des Klimawandels auf der Basis ihres Expertenwissen eingeschätzt. "Es gab keinen offensichtlichen, für jeden akzeptablen Weg, die vielen Informationen zusammenzubringen, selbst wenn diese zunächst konkrete Zahlen enthielten", sagt Field. "Wir sind aber sicher, dass das Expertenurteil den Wert der Aussage erhöht und nicht gemindert hat."

Mit dem Burning-Embers-Diagramm können die Forscher besser veranschaulichen, welche Risiken ein ungebremster Klimawandel hätte, der die Erde um mindestens vier Grad aufheizte, und welche davon sich bei Begrenzung auf zwei Grad vermeiden ließen. Keinesfalls soll das aber heißen, zwei Grad Erwärmung seien erwünscht oder unschädlich. "Die Risiken werden selbst dann deutlich zunehmen, weil wir in zahlreichen Weltregionen, zum Beispiel Südostasien, einen massiven Anstieg der Zahl von Menschen in exponierten Lagen haben - etwa gegenüber dem Meeresspiegelanstieg", sagt Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart, der zu den Autoren des IPCC-Berichts gehörte.

Ob man die so ermittelten Risiken für akzeptabel halte oder nicht, sei eine Frage der persönlichen Werturteile, heißt es im IPCC vorsichtig. Birkmann formuliert es drastisch: "Wenn wir damit leben können, dass die kleinen Inselstaaten verschwinden, dann wird vielleicht auch eine Welt mit mehr als zwei Grad plus geduldet." Die Wissenschaftler selbst haben darum keine Grenzlinie durch die Burning Embers gezogen. Das waren die Politiker.

Das bedeutet nicht, dass Wissenschaftler als Privatleute nicht auch eine, womöglich abweichende, Meinung haben. So stellte sich zum Beispiel die Earth League, ein Zusammenschluss prominenter Klimaforscher aus Europa, Asien und den amerikanischen Staaten, vor wenigen Tagen nur mit Bedenken hinter die Zwei-Grad-Grenze. Als "Bürger" betonen sie, dass selbst ehrgeizige Klimaschutzpolitik die Erwärmung nur noch mit 66-prozentiger Chance unter zwei Grad halten wird. Die Risiken für die Zukunft seien darum schon "viel größer, als wir sie sonst akzeptieren, etwa für Atomkraft, Terrorismus oder Krankheitsepidemien".

Nicht Kohle und Erdöl sind die begrenzte Ressource, es ist der Platz für CO2 in der Atmosphäre

Etliche Forscher halten bereits zwei Grad Erwärmung für zu viel. "Bei 1,5 Grad hätten wir noch eine Chance, dass im Sommer am Nordpol Meereis und die daran gebundenen Ökosysteme erhalten bleiben", sagt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Generell scheine es so zu sein, "dass bei 1,5 Grad Organismen an Land und im Süßwasser noch in der Lage sind, den Klimazonen zu folgen, die sich mit der Erwärmung verschieben". Bei zwei Grad sieht der Ökologe deutlich schlechtere Chancen für viele Arten und ihren Lebensraum.

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Andere Wissenschaftler kritisieren grundsätzlich die Fixierung auf eine einzige Messgröße wie die Temperatur der bodennahen Atmosphäre. "Werft das Zwei-Grad-Ziel über Bord", forderten etwa die kalifornischen Forscher David Victor und Charles Kennel Anfang Oktober in Nature. Es sei ohnehin nicht mehr umsetzbar, also eine Utopie. Sie plädierten dafür, stattdessen eine ganze Reihe von Merkmalen auszuwählen, die ein klares Bild vom Zustand der Welt zeichnen. Sie schlagen vor, auf dem Klimagipfel in Paris 2015 ein Verfahren zu beschließen, wie solche Indikatoren bestimmt werden könnten.

Das ist vielen Klimaforschern entschieden zu vage. Sie plädieren zumeist für eine einfache, pragmatische Grenze der Erwärmung, und Temperaturen könne man immerhin zweifelsfrei und auf 0,1 Grad genau messen. "Im Lichte der zunehmenden Risiken scheinen vernünftige Zielvorgaben trotz der Unsicherheit sinnvoll zu sein", sagt Hans-Otto Pörtner, selbst wenn er einen anderen Zahlenwert für die Grenz-Temperatur vorziehen würde.

Denn in einem haben die Kalifornier Victor und Kennel wohl Recht: Der starre Blick aufs Thermometer sagt niemandem, ob er genug für den Klimaschutz tut. Darum hat der IPCC klarere Kriterien erarbeitet. Zunächst berechnete die Arbeitsgruppe I mit Klimamodellen, wie viel Treibhausgase noch in die Atmosphäre entweichen dürfen. Die Wissenschaftler hatten vier Szenarien definiert, und nur beim bescheidensten ließ sich die Zwei-Grad-Grenze halten; die übrigen Szenarien überschreiten die Grenze in etwa 40 Jahren.

Weitere Berechnungen führten die Wissenschaftler dann zu einer handhabbaren, fast schon symbolischen Zahl: 1000 Milliarden Tonnen Kohlendioxid und andere Treibhausgase dürfe die Menschheit noch ausstoßen, um nicht aus dem besten Szenario auszubrechen. Ins Verhältnis zum momentanen, ständig steigenden Ausstoß gesetzt - etwa 35 Milliarden Tonnen pro Jahr, vor allem aus Kohle, Öl, Gas -, wird daraus ein Ultimatum. Mehr als 25 Jahre kann es so nicht weiter gehen. Will die Welt auch nach 2040 noch fossile Brennstoffe nutzen, müssen die Staaten die Kurve der Emissionen rasch nach unten biegen. Der Gipfel darf laut IPCC nicht viel später als 2020 erreicht sein.

"Wir alle müssen verstehen, dass die begrenzte Ressource nicht die Energierohstoffe sind", sagt Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III, "sondern der Platz in der Atmosphäre, um CO2 abzulagern." Würden die Rechte an dieser Deponie, an den 1000 Milliarden Tonnen, zum handelbaren Gut, bekämen Staaten Einnahmen, um aus dem Klimaschutz, der erst kommenden Generationen nutzt, schon heute Vorteile zu ziehen.

Für Edenhofer ist es dabei nicht sinnvoll, das Zwei-Grad-Ziel aufzuweichen, wie es von manchen gefordert wird. "Wir müssen so oder so jetzt den Einstieg in den Klimaschutz finden." Auch eine Drei-Grad-Grenze erlaube kein Zögern am Anfang, sondern allenfalls eine Pause zwischendrin, wenn die wichtigsten Entscheidungen gefallen sind und umgesetzt werden. "Allerdings würden wir bei einem Drei-Grad-Ziel höhere Risiken in Kauf nehmen. Es gibt darum weder ökonomisch noch verhandlungstaktisch einen Grund, die Zwei-Grad-Grenze aufzugeben."

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