Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Die Droge Kohle

Kohlestrom boomt, auch in Deutschland. Das ist peinlich für die Bundesregierung und schadet dem Klima. Woanders hat das Umdenken dagegen längst begonnen.

Ein Kommentar von Marlene Weiß

Die Erde ist in vieler Hinsicht ein Planet der Knappheit. Platz, Trinkwasser, Ackerland: Alles ist zwar üppig vorhanden, aber angesichts von mehr als sieben Milliarden Menschen eben doch recht begrenzt. Einen Rohstoff allerdings gibt es quasi im Überfluss - die Kohle. Sie lagert in weiten Teilen der Welt, mehr oder weniger leicht zugänglich: tief in der Erde als Steinkohle, an der Oberfläche als Braunkohle; entstanden vor Jahrmillionen aus Pflanzenresten. Die Kohle war ein Segen für die Menschheit, sie war die Grundlage der industriellen Revolution; sie trieb die Dampfmaschinen an. Heute ist sie ein Fluch.

Der neue Bericht der Weltklimarats ist eindeutig: Wenn die Menschen weiter so ungeniert Kohle verbrennen, ist der Kampf gegen den Klimawandel nicht zu gewinnen. Im vergangenen Jahrzehnt stieg der Ausstoß des Treibhausgases enorm an.

Schuld daran ist neben dem steigenden Hunger nach Energie auch der wachsende Anteil der Kohle an der verbrauchten Energie. Die Versorgung damit war lange Zeit immer klimaschonender geworden; in den vergangenen zehn Jahren aber hat sich dieser Trend umgekehrt. Fast die Hälfte des weltweiten CO₂-Ausstoßes stammt inzwischen aus der Kohleverbrennung; Tendenz: steigend.

Emissionshandel in China

Das ist besonders schmerzhaft, weil erstaunliche Erfolge damit zunichte gemacht werden. Es ist nicht so lange her, dass erneuerbare Energien für immer als Nischentechnologie galten. Ihr Marktanteil aber ist rapide gewachsen, oft sind sie schon billiger als die konventionelle Konkurrenz. Auch die Energieeffizienz ist besser geworden. Aber all das wird bislang aufgefressen. Nicht nur, aber auch vom Monster Kohle.

Es wäre leicht, nun mit dem Finger auf China oder Indien zu zeigen. Zwar bauen beide den Kohleeinsatz massiv aus; zeitweise gingen in China jährlich Dutzende neue Kraftwerke ans Netz, und jedes wird noch für Jahrzehnte ein Problem bleiben.

Zwar stößt kein Land so viele Emissionen aus wie China. Aber das Umdenken hat dort längst begonnen. Der Kohleverbrauch steigt noch, aber längst nicht mehr so schnell. Städte bemühen sich, von Kohle auf Gas umzustellen, das nicht nur viel klimafreundlicher ist, sondern auch nicht all den Smog erzeugt, mit dem sich die Bewohner von Peking und Shanghai derzeit herumplagen. Und in mehreren Regionen des Landes gibt es einen Emissionshandel; Unternehmen müssen dort für jede Tonne CO₂ bezahlen, die in die Luft geblasen wird. In Shenzhen zum Beispiel sind es mehr als zehn Euro.

Von so einem Betrag ist der europäische CO₂-Handel weit entfernt, derzeit liegt der Preis nur bei etwa fünf Euro. Eine Folge davon ist, dass in Deutschland trotz Energiewende der Ausstoß des Treibhausgases steigt. Die Öko-Energien tragen zwar mittlerweile etwa ein Viertel zur Stromversorgung bei, aber sie ersetzen hauptsächlich die abgeschalteten Atomkraftwerke. Weil Kohle billiger und Gas teurer geworden ist, verdrängt der viele Kohlestrom den klimaschonenden Strom aus Gas.

Der Kraftwerksbetreiber, der für das Gas mehr bezahlen muss, als er an der Strombörse für seinen Strom bekommt, der lässt sein Werk eben nicht laufen, selbst wenn der teure Bau schon steht. Ein höherer Preis für den Ausstoß von CO₂ könnte das ändern und Kohlestrom teurer machen. Er verursacht ja auch die höchsten Klimaschäden. So hingegen wird der deutsche Kohlestrom nach halb Europa exportiert.

Schier unbegrenzte Kohlevorräte

Deutschland ist daran nicht allein schuld, aber die vorherige Bundesregierung hat auch nichts dagegen getan. Und insgesamt droht das deutsche Klimaziel für 2020 verfehlt zu werden. Das wäre sehr peinlich für ein Land, das Vorbild sein wollte. Ebenso peinlich ist es für die EU, wie wenig sie im Klimaschutz zuwege bringt; nun hat sie in den Verhandlungen über ein globales Abkommen einen schlechten Stand. Zwar werden jetzt viele Verschmutzungsrechte später als geplant auf den Markt gebracht, damit der Preis steigt, aber wirklich nachhaltig wird das den Emissionshandel kaum stützen.

Dabei könnten Deutschland und Europa zeigen, wie eine Wirtschaft von der Droge Kohle loskommen kann: die Technologien und die Instrumente entwickeln, damit andere Länder nicht die gleichen Fehler wiederholen. Wenn der Emissionshandel nicht funktioniert, müssen notfalls andere Lösungen her: strengere Grenzwerte für den Schadstoffausstoß wie in den USA, oder ein Mindestpreis für Emissionsrechte wie in Großbritannien. Einfach hinterhertrödeln und abwarten, dass sich das Problem von selbst löst, ist jedenfalls keine gute Idee. Die Kohlevorräte im Boden reichen noch für Jahrhunderte, sie sind schier unbegrenzt. Der Platz für Klimagase in der Atmosphäre ist es nicht.

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SZ vom 15.04.2014/chrb
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