Süddeutsche Zeitung

Treibhausgase:Gefährlicher Rückfall

Forscher schlagen Alarm. Der globale Ausstoß von Kohlendioxid dürfte 2021 fast das Niveau von vor der Pandemie erreichen. Die Folgen sind brisant.

Von Marlene Weiß

Es ist gekommen, wie es viele befürchtet hatten: Die CO₂-Emissionen der Welt werden in diesem Jahr wohl nahezu wieder das Niveau des Schadstoffausstoßes vor der Pandemie erreichen. Das jedenfalls berichten Forscherinnen und Forscher der Initiative "Global Carbon Project" in einer noch nicht begutachteten Arbeit im Fachjournal Earth System Science Data. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nicht zufällig gewählt. Bei der Klimakonferenz in Glasgow ringen die Staaten der Welt gerade über die Verringerung der Treibhausgas-Emissionen, und just am Donnerstag verhandeln sie über den Abschied von der Kohle. Und so passte es, dass die Studie an diesem Tag bei der Konferenz vorgestellt wurde.

Nachdem der Ausstoß von CO₂ aus fossilen Quellen im ersten Pandemiejahr 2020 drastisch um 5,4 Prozent zurückgegangen war, dürften die Emissionen 2021 wieder um etwa 4,9 Prozent höher liegen als im Vorjahr, sodass der Rückgang nahezu ausgeglichen wird. Dass es einen "Rebound" geben würde, war erwartet worden; dass er so deutlich ausfällt, bezeichnen die Experten jedoch als überraschend.

Der Anstieg liegt vor allem an Kohle und Gas, wovon 2021 sogar mehr verbraucht wurde als vor der Pandemie. Die Emissionen aus der Ölverbrennung blieben hingegen unter dem Level von 2019, was an der immer noch verringerten Mobilität liegen dürfte. Sollte der Straßen- und Flugverkehr auf das vorpandemische Niveau zurückkehren und der Kohleverbrauch hoch bleiben, kann ein weiterer Anstieg der Emissionen 2022 den Forschern zufolge nicht ausgeschlossen werden.

Wenn man die großen Emittenten betrachtet, setzen sich die vor der Pandemie bestehenden Trends größtenteils fort: Sowohl in der EU als auch in den USA stieg der Ausstoß aus fossilen Quellen 2021 zwar um knapp acht Prozent an. Er blieb aber etwas unterhalb des Niveaus von 2019 - der kurzzeitige Einbruch hat also wenig an der langfristigen, langsamen Abwärtsbewegung geändert.

Ähnlich, allerdings mit einer Bewegung in die andere Richtung, war es beim weltweit größten Emittenten China, das etwa 31 Prozent zu den globalen Emissionen beiträgt: Hier liegt der Ausstoß inzwischen 5,5 Prozent über 2019 und ist damit ebenfalls wieder auf Vor-Pandemie-Kurs. Das Wachstum setzt sich also fort. Ebenso in Indien, das nach einem starken Einbruch 2020 und noch stärkerem Anstieg 2021 nun ebenfalls über 2019 liegt. Der Rest der Welt - der etwa 40 Prozent der fossilen Emissionen verursacht - verbrannte 2021 insgesamt etwas weniger Kohle, Öl und Gas als 2019.

Etwas besser sieht es aus, was Emissionen aus Entwaldung und Nutzungsänderung von Land angeht, etwa die Umwandlung von Wiesen in Äcker. Die sind der Bilanz des Global Carbon Projects zufolge im vergangenen Jahrzehnt ungefähr gleich geblieben. Die Aufnahme von CO₂ durch Böden und wachsende Wälder stieg sogar an. Rechnet man beides gegeneinander auf, bleibt eine sinkende CO₂-Menge, die aber noch etwa ein Zehntel der gesamten Emissionen ausmacht.

Beim aktuellen Emissionsniveau ist das 1,5-Grad-Budget bald verbraucht

Fachleute haben errechnet, dass das verbleibende CO₂-Budget beim aktuellen Stand der Emissionen nun noch für elf Jahre reicht, wenn sich die Welt noch eine 50-prozentige Chance auf Einhaltung der 1,5-Grad-Erwärmungsgrenze bewahren will; für zwei Grad wären es 32 Jahre. Der Bericht enthält somit eine höchst ernüchternde Nachricht: Statt den Wiederaufbau nach der Pandemie für das dringend benötigte Umsteuern zu nutzen, ist die Welt wieder ungefähr dort, wo sie 2019 stand, nur noch etwas näher am Abgrund.

Trotzdem warnen die Forscher davor zu verzweifeln. "Man muss der Versuchung widerstehen, sich entmutigen zu lassen, und die Dinge eins nach dem anderen angehen", sagte Co-Autorin Corinne Le Quéré von der University of East Anglia in einer vom britischen Science Media Centre organisierten Runde. Neue Klimaschutzzusagen der Staaten seien jetzt wichtig. Und man müsse sie unmittelbar umsetzen.

Hinzu kommt: Ebenso wenig dauerhaft wie der Einbruch der Emissionen durch die Pandemie könnte auch der jüngste Wiederanstieg sein. "Wir werden sehen, ob es nur eine Art Zuckerrausch ist", sagte Glen Peters vom Center for International Climate Research in Oslo, der ebenfalls an der Arbeit beteiligt war. Möglicherweise haben die vielen, viel zu schmutzigen Konjunkturpakete die Nutzung fossiler Brennstoffe vor allem kurzfristig angeschoben. Sie könnte auch schnell wieder zurückgehen.

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