Klimaprognose:Der Super-Wetterfrosch

Blütezeit in Deutschland, akuter Wassermangel im Süden und ein feuchter Norden - das ist die bislang detaillierteste Berechnung des Klimawandels in Europa bis zum Ende des Jahrhunderts.

Axel Bojanowski

Im 15. Stockwerk des Deutschen Klimarechenzentrums in Hamburg thront ein riesiger Computer. Die Maschine soll die Zukunft vorhersagen. Sie besteht aus Dutzenden mannshohen Blöcken, die wie graue Banktresore aussehen. Nun hat das Monstrum seine neuesten Prognosen ausgespuckt - die bislang detaillierteste Berechnung des Klimawandels in Europa bis zum Ende des Jahrhunderts.

Klimaprognose: Bis zu fünf Grad mehr im Winter: Viele Pflanzen werden fast das ganze Jahr über blühen.

Bis zu fünf Grad mehr im Winter: Viele Pflanzen werden fast das ganze Jahr über blühen.

(Foto: Grafik: SZ)

Für die neue Prognose haben Experten der Technischen Universität Cottbus und anderer Institute dem Supercomputer beigebracht, Niederschläge besser zu berechnen, als das andere Klimamodelle können. Bei der Präsentation ihrer Ergebnisse in Cottbus äußerten sich die Forscher aber auch zu den Grenzen ihrer Prognosen.

Für das Klimamodell CLM ("Climate Local Model") wurde Europa in Hunderttausende Würfel mit Kantenlängen von 18 Kilometern zerschnitten. Innerhalb jedes Quaders herrscht einheitliches Wetter. Die Stückelung ist vergleichsweise präzise, die meisten anderen Klimamodelle unterteilen die Atmosphäre in zehnmal so große Würfel. CLM legt somit quasi eine Lupe über Europa: Seine kleinen Würfel verteilen sich von zehn Meter tief im Boden bis hoch in die Atmosphäre. An ihren fast zwei Millionen Ecken löst der Supercomputer unentwegt mathematische Gleichungen, die das Wetter der Zukunft beschreiben - die kommenden 92 Jahre werden dabei in 72-Sekunden-Abschnitte gestückelt. Eine vollständige Berechnung bis zum Jahr 2100 dauert fast vier Monate.

Das ganze Jahr Blüten

Vier ganz unterschiedliche Szenarien hat das Elektronenhirn der Klimaforscher durchkalkuliert, jedes zweimal. Das optimistischste Szenario setzte voraus, dass die Weltgemeinschaft den Ausstoß von Treibhausgasen in naher Zukunft einschränkt. Dem pessimistischsten Szenario lagen stetig zunehmende Emissionen zugrunde.

Besonders wahrscheinlich ist die optimistische Variante nicht. Aufgrund der Beschlüsse der am Wochenende zu Ende gegangenen UN-Klimakonferenz in Polen wäre aber ein mittleres Szenario möglich. Auch dieses würde dem Computer zufolge für die zweite Hälfte des Jahrhunderts noch drastische Klimaveränderungen bedeuten. In Südeuropa droht es in diesem Szenario bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu 3,6 Grad wärmer zu werden, in Skandinavien 3,3 Grad. Deutschland wird demnach durchschnittlich 3,1 Grad wärmer; der Süden des Landes erwärmt sich stärker als der küstennahe Norden. Am deutlichsten erhöhen sich die Wintertemperaturen in Skandinavien: Sie steigen um bis zu fünf Grad. Mithin werden dort - wie auch in Deutschland - künftig viele Pflanzen fast das ganze Jahr über blühen.

Weil sich eine Verknappung des Wassers gravierender auswirken würde als eine Temperaturerhöhung, legten die Forscher besonderen Wert auf Niederschlagsprognosen. Südeuropa muss den Simulationen zufolge mit ernsten Problemen rechnen: Dort dürfte im Sommer bis zu 60 Prozent weniger Regen fallen; akuter Wassermangel droht. Der Norden wird dagegen deutlich feuchter. In Mitteleuropa sind im Jahresmittel kaum Veränderungen zu erwarten. Die Befürchtung, Extrem-Niederschläge könnten in Deutschland häufiger werden, bestätigte sich nicht: "Die Modelle zeigen keine Zunahme von Starkregen in Deutschland", sagt Uwe Böhm vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Nie zuvor so detailliert

Nie zuvor hat ein Klimamodell so detaillierte Niederschlags-Prognosen errechnet. Bisher konnten Regen-Vorhersagen nur grob geschätzt werden. In der Natur jedoch resultiert Niederschlag aus komplexen Vorgängen: Wasserdampf steigt auf, sammelt sich an winzigen Staubpartikeln zu Regentropfen. Winde treiben sie umher, die Schwerkraft zieht sie zu Boden. Lokale Luftströmungen und der Partikelgehalt der Atmosphäre bestimmen, ob es regnet oder nicht.

Der Super-Wetterfrosch

Zwar kann auch das CLM die Prozesse nicht präzise darstellen. Aber immerhin gelang es den Forschern nun, das Auf- und Absteigen der Luft besser zu beschreiben. Um den Fortschritt zu erreichen, bauten sie eine mathematische Formel aus der Wettervorhersage in ihre Simulationen ein. Ein aufwändiges Verfahren, denn schließlich hat man nicht einfach das Formelwerk aus der Wettervorhersage übernehmen können. Klimasimulationen sollen ja nicht nur für wenige Tage, sondern für ein Jahrhundert gelten. Schließlich konnte CLM das Klima der vergangenen 40 Jahre aber zufriedenstellend reproduzieren, so dass Simulationen der Zukunft erfolgen konnten.

Ein Drittel weniger Regen

Das Modell liefert manch anderes Ergebnis als frühere Klimaprognosen. Beispielsweise erwärmen sich die Spätsommer in Deutschland stärker, als kürzlich vom Max-Planck-Institut vorhergesagt. Ende des Jahrhunderts werde es hierzulande 47 Hochsommertage mit mehr als 25 Grad im Schatten geben - mehr als doppelt so viele wie heute. Fichtenwälder werden solcher Hitze kaum trotzen können. Die Ursache für die unerwartet starke Erwärmung im Spätsommer liege vermutlich in der besseren Simulation der Wasserdampf-Bewegung: Dem CLM zufolge verdunstet im Frühjahr mehr Feuchtigkeit, weshalb im Sommer der Boden trockener ist. Die Folge: Die wasserarme Sommerluft kann sich stärker aufheizen.

Im Sommer fällt Ende des Jahrhunderts in Deutschland den neuen Simulationen zufolge ein Drittel weniger Regen. Zwar wird der Verlust durch eine Zunahme der Niederschläge in den anderen Jahreszeiten ausgeglichen; Wassermangel sei mithin nicht zu befürchten. Gleichwohl werden Landwirtschaft, Wälder und Grundwasserspeicher auf die veränderten Bedingungen eingestellt werden müssen.

Obwohl von einem Großcomputer errechnet, unterliegen die Simulationen noch bedeutenden Unsicherheiten. Beispielsweise wirkt sich die Vegetation entscheidend auf das Klima aus. Und der Pflanzenbestand wird sich im Gefolge der Erwärmung zweifellos ändern. Doch künftige Veränderungen des Bewuchses werden von Klimamodellen nicht berücksichtigt. Für ihre nächsten Simulationen planen die Cottbusser Forscher aber, mögliche Vegetationsänderungen in ihre Rechnungen einzubeziehen. Nach Abschluss der Rechnungen in einigen Jahren werden die Forscher wieder gebannt zu ihrem Supercomputer aufschauen, der ihnen eine weitere Klimaprognose liefern wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: