Süddeutsche Zeitung

Treibhausgase:Klimaziele führen zu mehr als zwei Grad Erwärmung

Eine neue Auswertung zeigt: Bei den aktuellen Zusagen der Staaten für 2030 ist die Zwei-Grad-Grenze kaum zu halten. Wie deutlich sie überschritten wird, hängt aber stark von den Details ab.

Von Marlene Weiß

Es ist nicht so, dass in den vergangenen Jahren gar nichts passiert wäre im Klimaschutz. Aber es ist einfach nicht genug, was da bislang zusammengekommen ist: Selbst wenn alle erklärten Ziele für 2030 eingehalten werden, rechnet ein Team um Ida Sognnæs vom Cicero-Klimaforschungszentrum in Oslo nun im Fachblatt Nature Climate Change vor, reichen sie nicht aus, um die Erwärmung bis 2100 auf weniger als zwei Grad zu begrenzen. Je nach betrachtetem Modell und getroffenen Annahmen kommen vielmehr 2,2 bis 2,9 Grad Erwärmung heraus.

Die neuesten Zusagen rund um die Klimakonferenz in Glasgow sind in diese Auswertung noch nicht eingegangen. Sie dürften aber keinen riesigen Unterschied machen. So war etwa das Forschungsprojekt "Climate Action Tracker" zuletzt auf der Basis der jüngsten Ziele für 2030 auf rund 2,4 Grad Erwärmung für das Jahr 2100 gekommen. Demnach hat sich der Abstand zu dem, was für ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nötig wäre, nur wenig verringert: Eigentlich müsste sich der CO₂-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu heute nahezu halbieren, um die 1,5-Grad-Grenze in Reichweite zu halten, stattdessen sieht es derzeit allenfalls nach einem leichten Rückgang aus.

Die gute Nachricht: Alle betrachteten Szenarien bleiben unter drei Grad Erwärmung

Das Verdienst der neuen Studie ist nun vor allem, dass sie auch das recht breite Spektrum der Modelle und Szenarien in den Blick nimmt. Denn in Schätzungen für die Temperaturerhöhung bis 2100 fließen sehr viele Annahmen ein, die oft nicht transparent gemacht werden, etwa zum Umfang, in dem künftig CO₂ aus der Atmosphäre zurückgeholt werden kann. Die Forscherinnen und Forscher um Sognnæs haben sieben verschiedene sogenannte "Integrated Assessment"-Modelle betrachtet. Solche Modelle beziehen auch die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Energiesystem, Natur und Klimaentwicklung mit ein. Diese Modelle hat das Team mit verschiedenen Annahmen dafür gefüttert, wie sich die Emissionen nach 2030 entwickeln könnten.

Die gute Nachricht: Alle betrachteten Szenarien bleiben im Mittel unterhalb von drei Grad Erwärmung. Die schlechte: Selbst das optimistischste Szenario landet bei 2,2 Grad Erwärmung, die Zwei-Grad-Grenze dürfte demnach überschritten werden, wenn die bisherigen Ziele für 2030 nicht nachgeschärft werden. Die Studie zeigt also erneut, dass die kommenden Jahre entscheidend werden, wenn wenigstens diese Grenze gehalten werden soll - und dass es auf die Details von Modellen und Annahmen ankommt, wenn man die Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts abschätzen möchte.

Damit decken sich die Aussagen im Wesentlichen mit den bisherigen Ergebnissen. Grob kann man die einigermaßen realistischen Entwicklungsmöglichkeiten in drei Gruppen einteilen: Im besten Fall halten die Staaten sogar die langfristigen Zusagen für CO₂-Neutralität bis zum Jahr 2050, 2060 oder 2070 ein. Dann wäre mit etwa 1,8 Grad Erwärmung zu rechnen. Werden nur die Ziele für 2030 eingehalten, dürfte die Erwärmung bei mehr als zwei Grad liegen. Im dritten Fall, wenn es ohne weitere Ambitionen bei den aktuellen Maßnahmen bleibt, müsste man mit knapp unter drei Grad rechnen, jeweils im Mittel, selbstverständlich gibt es immer beträchtliche Unsicherheiten nach oben und unten.

"Alle diese Szenarien sind möglich", sagt Klaus Hubacek von der Universität Groningen. "Sie hängen von den politischen Entscheidungen ab, die wir treffen." In Anbetracht aktueller Entscheidungen - etwa anhaltende Subventionen für fossile Brennstoffe und Investitionen in deren Infrastruktur und Förderung - scheine man sich aber eher auf das obere Ende der Modellszenarien zuzubewegen.

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