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Klimapolitik in Deutschland:Warum die Energiewende gerechter werden muss

Deutschland hat viel für den Klimaschutz getan. Doch die Stromrechnungen steigen, die Wirtschaft macht sich zunehmend Sorgen. Union und SPD kündigen nun einen "Energierat" an, um die Energiepolitik zu verbessern. Manche Experten fordern von der großen Koalition aber nicht weniger als einen kompletten Neustart in der Ökostromförderung.

Von Markus C. Schulte von Drach

Alles ist Energie, und Energie ist alles. Das mag esoterisch klingen. Seit Albert Einstein wissen wir aber, dass selbst Materie und Energie äquivalent sind. Der Satz ist demnach eine physikalische Erkenntnis. Er gilt aber fast genauso für unseren Alltag.

Unsere Gesellschaft, unser Wohlstand, sogar unser Leben hängen von Energie ab. Und zwar stärker, als uns das gemeinhin bewusst ist. Wir müssen uns nur einmal vorstellen, was ohne die riesigen Mengen von Energie geschehen würde, die wir täglich verbrauchen. Heizungen, Kühlschränke, Computer, Klimaanlagen, Autos, Züge und Flugzeuge wären lahmgelegt. Und es lässt sich auch kaum noch etwas finden, mit dem wir arbeiten, uns vergnügen oder mit dem wir uns bekleiden, das nicht mit stromverbrauchenden Maschinen gefertigt wurde. In alles ist direkt oder indirekt Strom geflossen.

Auf der anderen Seite mehren sich die Anzeichen dafür, dass wir durch den dafür notwendigen Einsatz fossiler Brennstoffe das Klima verändern. Millionen von Menschen werden in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten darunter leiden. Überschwemmungen und Stürme, die an Heftigkeit zunehmen, Dürren und Hitzewellen, die immer häufiger auftreten - das trifft auch die Industrienationen. Und die Menschheit muss mit neuen Konflikten, Kriegen und Flüchtlingsströmen rechnen.

Vor diesem Hintergrund wird die große Bedeutung deutlich, die eine Wende weg von fossilen Energieträgern und hin zu erneuerbaren Energien hat. Auch in den jüngsten Verhandlungen zur großen Koalition haben Union und SPD das betont.

Auf dem Weg in die Energieversorgung der Zukunft hat Deutschland schon viel geleistet. Zahlen des Umweltbundeamtes zufolge ist der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid in Deutschland zwischen 1990 und 2011 um 23 Prozent gesunken, während das Bruttoinlandsprodukt um 31 Prozent gewachsen ist.

Die Abnahme der Treibhausgase geht zwar auch auf das Ende vieler energieintensiver Betriebe in der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung zurück. Doch es sind vor allem zwei weitreichende Wenden in der Energiepolitik, die Deutschland zu einem internationalen Vorreiter in Sachen Klimaschutz gemacht haben.

Die erste Energiewende

Die Ökosteuer

Der erste Schritt der ersten Energiewende war die Einführung der Ökosteuer unter Rot-Grün 1999. Die besondere Besteuerung des Kohle-, Gas-, Benzin- und Stromverbrauchs sollte energieintensive Produktion teurer und die Arbeit (relativ) billiger machen. Arbeitsplätze, die verloren gehen würden, sollten durch neue Stellen ausgeglichen werden, Stellen, die in weniger Energie verbrauchenden Wirtschaftszweigen entstehen sollten. Und die Verbraucher sollten zum Energiesparen motiviert werden.

Angesichts der mangelnden Bereitschaft anderer Staaten, ähnliche Konzepte umzusetzen, wurde allerdings befürchtet, dass die Ökosteuer in der ursprünglich geplanten Form die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen und Arbeitsplätze zu stark gefährden würde. Statt die Idee ganz aufzugeben, wurde die Steuer deshalb nur zum Teil umgesetzt. Private Haushalte müssen die Ökosteuer voll zahlen. Das produzierende Gewerbe dagegen wird pauschal entlastet. Diese Unternehmen sind von der Erhöhung der Mineralölsteuer befreit, die neue Stromsteuer müssen Großverbraucher nur zum Teil zahlen. Mit den Einnahmen wurden und werden die Lohnkosten für die Arbeitgeber und die Rentenversicherungsabzüge der Arbeitnehmer verringert. Dem Namen Ökosteuer wurde die Steuer insofern gerecht, als dass der Energieverbrauch in Privathaushalten und Dienstleistungsunternehmen positiv beeinflusst wurde.

Das EEG

Der zweite wichtige Schritt war das "Erneuerbare-Energien-Gesetz", das ebenfalls Rot-Grün in einer ersten Fassung 2000 und dann in einer wirksameren Version 2004 einführte. Das "EEG" legte fest, dass klimafreundliche Technologien zur Energieerzeugung - also vor allem Wind- und Wasserkraft sowie Sonnen- und Bioenergie - intensiv gefördert werden. Betreiber solcher Anlagen können ihren Strom zu garantierten und relativ hohen Abnahmepreisen ins Stromnetz einspeisen. Und zwar für einen Zeitraum von 20 Jahren. Tatsächlich ist seitdem die Energiemenge, die etwa mit Windkraft- und Photovoltaikanlagen produziert wird, um das Zigfache gestiegen.

Während aber die Produktion der Anlagen aufgrund der fortschreitenden technischen Entwicklung immer günstiger geworden ist, sind die Strompreise für die Verbraucher gestiegen. Denn die Förderung der Anlagen wird auf die Stromkunden umgelegt. Unternehmen können mit dem Hinweis auf den internationalen Wettbewerb eine Befreiung von der Umlage beantragen - derzeit gilt eine solche für mehr als 1700 Unternehmen oder Unternehmensteile.

Je mehr Ökostrom-Anlagen ans Netz gehen, desto teurer wird der Strom durch die Subventionierung. Und zwar immer noch, obwohl die finanzielle Unterstützung für neue Anlagen inzwischen verringert wurde. Der Anteil an den Stromkosten, den durchschnittliche Haushalte aufgrund der Umlage nach dem EEG zahlen müssen, liegt zum Beispiel den Berechnungen von Verivox zufolge bei etwa 20 Prozent. Und im kommenden Jahr wird die Umlage von derzeit 5,28 Cent pro Kilowattstunde erneut deutlich steigen, auf 6,24 Cent.

Viele Deutsche können sich diese Investition in Klimaschutzmaßnahmen zwar leisten. Und jene, die in die Erneuerbaren investieren, machen damit bisher gute Profite. Aber die sozial schwächeren Schichten kommt die Energiewende zunehmend teurer zu stehen.

Die steigenden Preise hängen auch mit der zweiten Energiewende zusammen, zu der es 2011 unter Schwarz-Gelb kam. Anlass war der Super-GAU im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011. Schon im Juni beschloss der Bundestag daraufhin das Atomstrom-Ausstiegsgesetz, demzufolge in Deutschland bis 2022 sämtliche Kernkraftwerke abgeschaltet sein sollen.

Zugleich legte die Regierung fest, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2050 auf 80 Prozent steigen soll. Die Kosten dafür wurden kaum diskutiert. Dasselbe galt für das Problem der "Reservehaltung" der Stromproduktion durch konventionelle Kraftwerke: Da Windkraft- und Solaranlagen Energie in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen produzieren, kann es zu starken Schwankungen der bereitgestellten Strommengen kommen. Um zu verhindern, dass es zu Stromausfällen kommt, müssen zum Beispiel konventionelle Kraftwerke, also Kohle- oder Gaskraftwerke, einspringen.

Als reine Lückenbüßer bei zunehmender Ökostrom-Versorgung rentiert sich der Betrieb solcher Anlagen aber irgendwann nicht mehr. Und um alle Regionen immer mit ausreichend Strom versorgen zu können, müssen die Stromnetze obendrein für viel Geld ausgebaut werden.

Gegen die steigenden Kosten der gegenwärtigen Energiewende gibt es deshalb seit einiger Zeit zunehmend Proteste, die sich auch auf die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD auswirkten. Viele Fachleute fordern allerdings deutlich weiter gehende Veränderungen des EEG als sie sich zuletzt in Berlin abzeichneten.

Energiewende - sozial- und wirtschaftsverträglich

Nun bestreitet kaum jemand, dass die erneuerbaren Energien als Maßnahme zum Schutz des Klimas weiter gefördert werden müssen. Und eine hundertprozentige Versorgung mit Ökostrom in der Zukunft ist wünschenswert. Doch auf dem Weg dorthin müssen zwei Faktoren dringend berücksichtig werden:

  • Auch die sozial Schwächeren müssen sich weiterhin eine angemessene Energieversorgung leisten können.
  • Und die Wirtschaft darf im internationalen Wettbewerb keine Nachteile erleiden. Denn ohne eine funktionierende Wirtschaft gibt es auch keinen funktionierenden Klimaschutz.

Zwar hat die heimische Wirtschaft von den zunehmend energiesparenden Produktionsweisen und der inzwischen günstigen Herstellung von Ökostrom-Anlagen profitiert. Aber die Technik ist jetzt so billig, dass sich auch Unternehmen in weniger entwickelten Regionen der Welt ihren Einsatz leisten können. Von den Erfahrungen Deutschlands können demnach nun andere Staaten profitieren. Es handelt sich um eine bedeutende Entwicklungshilfeleistung Deutschlands. Es wäre paradox, wenn nun ausgerechnet deutsche Unternehmen dadurch Nachteile hätten.

Das gilt umso mehr, als die Menge an Treibhausgasen, die die Menschheit in die Atmosphäre bläst, jedes Jahr weiter zunimmt - trotz aller Bemühungen Deutschlands und der EU. Selbst wenn die deutsche Industrie von heute auf morgen ihren Betrieb komplett einstellen würde, fiele nur ein Bruchteil der schädlichen Emissionen weg. So lagen die Emissionen 2012 in Deutschland bei etwa 931 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Weltweit war allein die Menge an ausgestoßenem Kohlendioxid der Internationalen Energieagentur IEA zufolge deutlich mehr als 30-mal so groß.

Niemand zieht daraus den Schluss, es sei besser, von dem Ziel Klimaschutz Abstand zu nehmen. Es muss jedoch intensiv über den Weg nachgedacht werden. Und in einem Punkt sind sich die Fachleute einig. Deutschland benötigt dringend eine Umgestaltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Auf der Suche nach dem neuen EEG

Vorschläge dazu kommen von verschiedenster Seite. So stellte Bundesumweltminister Peter Altmaier Anfang (CDU) 2013 die Idee einer "Strompreisbremse" vor, mit der alle, die vom EEG profitieren, stärker zur Kasse gebeten werden sollten. Außerdem wollte der Minister gemeinsam mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die Schlupflöcher schließen, mit denen etwa Industriebetriebe die EEG-Umlage umgehen. Der Vorschlag scheiterte an Widerstand im Bundesrat.

Weitere Vorschläge kamen unter anderem von der Monopolkommission, dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), dem Öko-Institut und von der Umwelt-Denkfabrik Agora Energiewende des ehemaligen grünen Umweltstaatssekretärs Rainer Baake.

Alle Konzepte stießen aus verschiedenen Gründen auf heftigen Widerstand unterschiedlicher Interessengruppen. Besondere Aufmerksamkeit verdient sicher Baakes "EEG 2.0"-Konzept. Obwohl einer der "Väter" des ursprünglichen EEG, fordert er nun, das Gesetz radikal zu vereinfachen. Gefördert werden sollten zum Beispiel nur noch solche Anlagen, die tatsächlich kostengünstigen alternativen Strom produzieren. Das wären vor allem Windkraftanlagen an Land und Photovoltaikanlagen. Damit wären Baake zufolge die Stromkosten nicht höher, als wenn Kohle- und Gaskraftwerke gebaut würden. Und die Förderung ließe sich beschränken auf acht bis neun Cent pro Kilowattstunde (Derzeit liegt die Förderung von Photovoltaik bei etwa zehn bis 14 Cent). Biogas sowie Erdwärme sollten dagegen nur noch eingeschränkt gefördert werden, mit dem Ziel, vor allem Schwankungen in der Stromversorgung ausgleichen zu können.

Noch grundsätzlichere Veränderungen des Gesetzes haben der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer und Günther Bachmann, Generalsekretär des deutschen Nachhaltigkeitsrates, gefordert. Denn: "Es geht um den sozialen Frieden bei der Verteilung von Lasten und Chancen für Unternehmen, Regionen, Menschen in Berufen und Ausbildung", heißt es in einem Brandbrief "an alle, die jetzt politische Verantwortung tragen". Töpfer und Bachmann wollen einen kompletten Neustart der Ökostromförderung nach einem radikalen Kostenschnitt. Die garantierte Förderung für zwanzig Jahre habe sich inzwischen zu einer Altlast summiert, die beseitigt werden müsse, da sie einer grundlegenden Erneuerung der Energiewendepolitik im Weg stehe. Deshalb sollte ihrer Meinung nach die EEG-Umlage in einen Altschuldenfonds übertragen werden. So wären es alle Steuerzahler gemeinsam, die die wachsenden Kosten übernehmen würden, und nicht mehr nur die Verbraucher.

"Energierat" oder "Ethikkommission Energiewende"?

Es liegt demnach eine Reihe von mehr oder weniger weitgehenden Vorschlägen für ein neues EEG vor. Im Entwurf des Koalitionsvertrags von Union und SPD heißt es nun, angestrebt werde eine grundlegende Reform, die bis Ostern 2014 vorgelegt und im Sommer verabschiedet werden soll. Für die Förderung der verschiedenen Technologien haben die Parteien einen groben Rahmen festgelegt. Fernziel ist es, im Jahre 2035 bis zu 60 Prozent des Stroms über erneuerbare Energien zu produzieren. Dabei soll ein "Forum Energiewende" die Bundesregierung und das Parlament beraten. Dieser "Energierat" soll einen Dialog zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und gesellschaftlich relevanten Gruppen gewährleisten.

Das Ziel, zugleich das Klima zu schützen, die soziale Gerechtigkeit zu wahren und die Wirtschaft nicht zu schädigen, stellt aber eine so gewaltige und zugleich wichtige Herausforderung dar, dass Lutz Wicke vom Institut für Umweltmanagement der Europäischen Wirtschaftshochschule in Berlin der zukünftigen Regierung dringend empfiehlt, darüber hinauszugehen. Statt eines "Energierats" wirbt er für die Einrichtung einer Kommission ähnlich wie es sie 2011 nach dem Super-GAU von Fukushima-1 gab, die "Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung". Nun wäre es Zeit für eine "Ethikkommission Energiewende", so Wicke. Eine Kommission, die alle technischen und ethischen Aspekte der Energiewende prüft und nicht nur berät, sondern selbst konkrete Vorschläge erarbeitet.

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