Klimakrise:Streit über Deals mit „Klimaklebern“

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Festgeklebt auf der Straße: „Auch robuste Blockadeaktionen fallen unter das Versammlungsrecht.“ (Foto: Nadine Weigel/dpa)

Die Klimagruppe Letzte Generation fordert von Städten ultimativ Unterstützung für ihre Ziele. Das sorgt für böse Reaktionen. Viele Politiker lehnen Deals ab. Viele Bürger sehen das anders.

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Berlin/Hamburg (dpa) - Die Klimagruppe Letzte Generation macht wieder einmal eine große Welle. In Briefen hat sie diversen Städten Ultimaten gestellt. Wer weitere Straßenblockaden vermeiden will, soll sich öffentlich hinter ihre Ziele für eine radikale Klimawende stellen.

Einige wiesen das empört zurück, darunter Berlin und Köln. Dort klebten sich am Freitag wieder Aktivisten auf Hauptstraßen fest und verursachten lange Staus. Auch in Hamburg hat die Gruppe mit „maximaler Störung der öffentlichen Ordnung“ gedroht. Andere Städte verhandelten mit den jungen Leuten und erreichten einen Proteststopp.

Darf man das? Oder macht sich der Staat erpressbar? „Bei einer Erpressung müsste man ja etwas tun, was einem widerstrebt, was der eigenen Position widerstrebt oder zum eigenen Schaden führt, und all das ist hier nicht der Fall“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) Anfang März in der ARD. „Wir haben hier einen gemeinsamen Nenner, und der heißt Klimaschutz.“

Onay war der erste, der einen Deal mit der Letzten Generation einging und ihre Forderungen öffentlich unterstützte, darunter einen „Gesellschaftsrat“, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit. Nun hat die Stadt wieder Ruhe vor den „Klimaklebern“. Marburg und Tübingen folgten. Auch für Greifswald kündigte die Gruppe nach Zusagen der Stadtoberen am Freitag einen Verzicht auf Proteste an.

„Protest für das Gemeinwohl“

Erstmals sitzen die Aktivisten nicht nur bei Sturm, Regen oder Sonnenschein mit festgeklebten Händen an Kreuzungen oder Autobahnauffahrten, sondern am Tisch politischer Entscheider. „Es ist erfreulich, dass immer mehr Politiker:innen, unabhängig von der Bewertung unserer Protestform, verstehen, dass unsere inhaltlichen Anliegen von existenzieller Wichtigkeit sind und wir für das Gemeinwohl protestieren“, schrieb die Gruppe auf Twitter.

Klar ist, dass viele von den Störungen der Letzten Generation inzwischen maximal genervt sind - auch viele, die Klimaschutz wichtig finden. Eine Farbattacke auf das Grundgesetz-Kunstwerk in Berlin brachte ihnen sogar einen Vergleich mit den Taliban ein. Wenn sie für Ende April zu „Widerstand in Berlin“ aufrufen, ächzen manche schon jetzt. Im neuesten ZDF-„Politbarometer“ lehnten 80 Prozent der Befragten illegale Aktionen der Gruppe wie die Blockade von Hauptverkehrsadern ab. Vereinbarungen von Kommunen für ein Ende solcher Proteste halten hingegen 55 Prozent der Befragten für richtig, 41 Prozent für nicht richtig.

Lässt sich die Politik erpressen?

Zu den prominenten Gegnern gehört nicht nur Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, widerspricht. „Regelmäßig handelt es sich bei dem Vorgehen um Straftaten wie Nötigung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigungen“, sagte Landsberg der Deutschen Presse-Agentur. Es sei „nicht üblich, dass man Straftäterinnen oder Straftätern durch politische Zusagen entgegenkommt“.

Also, lässt sich die Politik erpressen? Der Erfurter Rechtsprofessor Tim Wihl winkt ab. Um Erpressung handele es sich nicht, weil dies eine Geldforderung voraussetze, sagte Wihl der dpa. Auch eine Nötigung der Stadtoberen sieht er nicht in den Straßenblockaden oder der Drohung damit. Zum einen sei der ausgeübte Druck nicht so groß, dass Oberbürgermeister sich beugen müssten. „Das ist immer noch eine freie Entscheidung“, sagte Wihl. Zum anderen sei es „fraglich, ob das Mittel verwerflich ist“. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1980er und 1990er Jahren sei klar: „Auch robuste Blockadeaktionen fallen unter das Versammlungsrecht.“

Wenn ein Unternehmen bei bestimmten politischen Rahmenbedingungen mit der Schließung eines Werks drohe, denke auch niemand an Nötigung, meinte Wihl. „Das ist für Bürgermeister unangenehm, und sie würden sich wohl mit dem Unternehmen treffen. Ähnlich ist es bei großen Demonstrationen: Sie bauen Druck auf, sich zu treffen. Nichts anderes ist es bei den Blockaden der Letzten Generation.“

Verfassungsrechtliche Diskussion

Andere Juristen sehen das sehr anders - so etwa die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Ich glaube, man kann sich nicht hinstellen und sagen, wenn ich nicht das bekomme, was ich möchte, dann klebe ich mich fest“, sagte Reker im Deutschlandfunk. „Das ist für mich eine Nötigung, der ich nicht nachgeben kann.“ Die Staatsanwaltschaft Hamburg wertete den Brief der Aktivisten an die Stadt als mögliche Nötigung von Verfassungsorganen. Gerichte im ganzen Land haben „Klimakleber“ inzwischen wegen Nötigung verurteilt. Wihl sagt: Abwarten. Das letzte Wort habe Karlsruhe.

Eine ähnliche verfassungsrechtliche Diskussion gibt es über die zentrale Forderung der Letzten Generation nach einem „Gesellschaftsrat“. Dieser soll im Losverfahren besetzt werden und die Breite der Gesellschaft spiegeln. „Veganer:innen und Autofans diskutieren gemeinsame Lösungen, denn auch sie haben ein geteiltes Interesse: die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten schützen und den Weg dahin sozial gerecht gestalten“, so stellt sich die Gruppe das vor. Der Rat soll Vorschläge machen, „wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei wird“ - also deutlich vor dem geltenden Zieljahr 2045. Und die Regierung soll öffentlich zusagen, diese Maßnahmen als Gesetzesvorhaben ins Parlament einzubringen.

Schon wieder eine Nötigung? Soll hier das gewählte Parlament umgangen und so die verfassungsrechtliche Ordnung ausgehebelt werden? Rechtsexperte Wihl rät zu differenzieren. Die Idee von Bürgerräten als Ergänzung der Parlamentsarbeit gebe es seit langem, in Ländern wie Irland hätten sie zu Konsensentscheidungen beigetragen, etwa bei der gleichgeschlechtlichen Ehe. Verbindliche Vorgaben könne ein solches Gremium aber nicht treffen. „Für ein solches Ersatzparlament müsste man erstmal die Verfassung ändern“, sagte Wihl.

© dpa-infocom, dpa:230317-99-987420/5

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