Süddeutsche Zeitung

Klimakolumne:Die Hitze trifft nicht alle gleich

An der glühend heißen Westküste Kanadas und der USA flüchten die einen ins Hotelzimmer, die anderen in Notunterkünfte - was das über die Zukunft aussagt.

Von Pia Ratzesberger

Würde man in diesen Tagen die Erde mit einem Teleskop aus dem All beobachten, man bekäme verstörende Bilder zu sehen, die bei allen unterschiedlichen Farben eines gemeinsam haben. Ein kluger Algorithmus würde sie wahrscheinlich im selben Fotoalbum ablegen, versehen mit einem nüchternen Titel wie Extremwetter.

Da wären die aufgeheizten Straßen von Portland, in den USA, wo die Trambahnen stillstanden und die Menschen sich in große Hallen flüchteten, um der Hitze zu entkommen. Da wäre Lytton, ein Dorf im Westen Kanadas, wo die Thermometer die kaum vorstellbare Temperatur von 49,6 Grad Celsius anzeigten, und kurz darauf Flammen schlugen, die ein Haus nach dem anderen niederbrannten. Da wären auch die sandigen Äcker in Madagaskar, wo die Menschen seit Wochen auf Regen warten, gefangen zwischen Staub und Hunger, in der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren.

Drehte man das Fernglas immer weiter, zoomte ran, tauchten immer mehr solcher Bilder auf, aber schon diese drei zeigen mindestens zwei Dinge: Erstens braucht es keine dystopischen Zukunftsszenarien mehr, um der Klimakrise gewahr zu werden. Man muss nicht bis ins Jahr 2050 oder 2060 blicken - die Gegenwart reicht.

Zweitens trifft die Klimakrise schon jetzt die einen viel härter als die anderen, und wenn man genau hinsieht, erkennt man erste, leise Hinweise auf das, was noch alles auf uns zukommen wird.

In der New York Times zum Beispiel war von einem Mann zu lesen, der sich in diesen glühenden Tagen in Toronto in ein Fünf-Sterne-Hotel flüchtete, nach dem sein Ventilator ihm keinen ausreichenden Dienst mehr erwies. Auch von einem Anwalt, der sich in einem klimatisierten Hotelzimmer einquartierte, war die Rede, der es bei mehr als dreißig Grad Zuhause nicht mehr ausgehalten hatte.

Im Kleinen offenbart sich hier ein großer Unterschied, der überall auf der Welt die Zukunft bestimmen wird: Wer Geld hat, kann die Folgen der Klimakrise wegkonsumieren, zumindest in einem gewissen Rahmen, der kann sich nicht nur ein Hotelzimmer leisten, sondern im Zweifel auch einen Umzug, eine andere Wohnung an einem anderen Ort, eine High-Tech-Klimaanlage oder ganz basal: genügend Wasser.

Das ist besonders perfide, weil genau jene Menschen, die durch ihren Lebensstil (viele Flüge, viele Quadratmeter, viel Klimbim) bedeutend mehr Emissionen in die Atmosphäre ballern als weniger Privilegierte, sich aus einer Krise, die sie entscheidend mit verursacht haben, am besten werden herauswinden können.

Die Ökonomin Maja Göpel beschreibt in ihrem Buch "Unsere Welt neu denken", dass Bill Gates, einer der reichsten Menschen der Erde, innerhalb eines Jahres Schätzungen zufolge das Kohlendioxidbudget von 38 Menschen aufbraucht. Jeweils nicht das eines Jahres - sondern das eines ganzen Lebens.

Auf die Ebene der Länder übertragen sieht die Sache nicht sehr anders aus: Viele Staaten, auch Deutschland, wälzen die Kosten für ihren Lebensstil geschickt auf andere ab, schicken ihren Müll auf andere Kontinente, lassen ihr Gemüse dort anbauen oder ihr Tierfutter, aber ignorieren die Folgen wie gerodete Wälder. Dennoch - oder gerade deshalb - haben sie in der Klimakrise bessere Voraussetzungen als die, denen sie die Kosten ihres Handelns ungefragt auferlegen.

Eine globale Klimakrise trifft alle gleich? Sicher nicht, spätestens die Pandemie hat uns bewiesen: In einer Welt der Ungleichheiten wird eine Krise nie alle gleich treffen.

Es braucht also politische Entscheidungen, um die Unterschiede abzumildern. Um zu verhindern, dass die einen sich in kühle Hotels zurückzuziehen, während die anderen in glühend heißen Zimmern darben. Im Kleinen wie im Großen. Passiert das nicht, wird sich die gewaltige Ungleichheit immer noch weiter verstärken, was besorgniserregend ist, und noch ein wenig mehr, wenn man diesen Text liest: Meine Kollegin Marlene Weiß und Kollege Werner Bartens erklären darin, warum Teile der Erde wohl schon früher als gedacht unbewohnbar werden könnten und auch, warum Kanada in diesen Tagen unter solch einer schweren Hitze leidet.

Die einzigen Profiteure des unaushaltbaren Temperaturrekords sind wohl übrigens die Hersteller von Klimaanlagen: In einem Video der BBC erzählt ein Unternehmer, dass er gerade viermal so viele Geräte ausliefere wie in normalen Sommern - wobei der letzte normale Sommer ja auch wirklich schon sehr, sehr lange her ist.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, trotz allem.

Viele Grüße,

Pia Ratzesberger

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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