Süddeutsche Zeitung

Klimakonferenz:Regeln verzweifelt gesucht

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Von Michael Bauchmüller, Kattowitz

Eigentlich sollte die Klimakonferenz in Kattowitz an diesem Freitag enden. Und dann endlich ein Regelwerk für das Pariser Klimaabkommen auf den Weg bringen. Doch wenn die Verhandler aus 196 Staaten und der EU heute weiterberaten, dann besteht die Grundlage dafür bisher lediglich aus Fragmenten.

In Paris hatten sich die Staaten zwar 2015 darauf geeinigt, künftig detaillierte Pläne für den Klimaschutz vorzulegen. Wie sie sich aber gegenseitig überprüfen, ließen sie offen. Die Regeln sind der Dreh- und Angelpunkt im Klimaschutz: Warum sollten die Staaten sich anstrengen, wenn sie nicht sicher sein können, dass die anderen es auch tun?

Noch in der Nacht waren die Verhandlungen dazu angelaufen. Zuvor hatte Michał Kurtyka, der polnische Präsident der Klimakonferenz, Vorschläge für ein mögliches Ergebnis unterbreitet. Das aber nicht in einem geschlossenen Text, sondern in vielen einzelnen. Das macht die Sache für die Verhandler schwierig. Denn am Ende hängt alles mit allem zusammen. Wer ein bestimmtes Ergebnis in Punkt A haben möchte, muss vielleicht in Punkt B ein Zugeständnis machen. Das fällt schwer, solange es nicht einen Text gibt, der alle Punkte umfasst. Am Morgen des entscheidenden Verhandlungstags wirkt Kattowitz wie eine Großbaustelle, auf der viele Architekten einzelne Zimmer planen, aber keiner das Gebäude.

Hinzu kommt: In den großen Streitpunkten ist eine Einigung immer noch nicht in Sicht. So stehen für die Regeln, nach denen Staaten künftig ihre Anstrengungen im Klimaschutz darlegen müssen, derzeit noch drei Optionen zur Auswahl. Ein Vorschlag sieht nur für die Industriestaaten harte Auflagen vor, während sie für Schwellen- und Entwicklungsländer sehr lax bleiben. Dies käme vor allem China zu Gute. Ein anderer will radikal für alle die gleichen Regeln, mit Ausnahmen für Entwicklungsländer. Dafür treten die USA ein, die aber ohnehin dem Pariser Abkommen den Rücken kehren wollen. Ein dritter beschreibt einen Mittelweg, der unterschiedliche Pflichten je nach Entwicklung der Länder verlangt - dafür streitet die EU. Es könnte einer der zentralen Streitpunkte werden.

Kann die EU die Lücke schließen, die die USA entstehen ließen?

Die EU hatte zuletzt eine alte Allianz wiederbelebt, die "high ambition coalition", eine Art Koalition der Willigen. Zusammen mit Entwicklungsländern und Inselstaaten will sie hier Druck machen. "Das ist ein sehr wichtiges Zeichen", sagt Hubert Weiger, Chef des Umweltverbands BUND. Nun schlage die Stunde Europas: "Die entscheidende Frage ist, ob die EU die Lücke ausgleichen kann, die durch den Rückzug der USA entstanden ist." Auch über diese Frage wird an diesem Freitag verhandelt.

Doch es geht noch um mehr. Etwa um die Frage, wie verlässlich die Industriestaaten künftig Geld zur Verfügung stellen, um ärmere Länder im Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Von 2020 an sollen dafür jährlich 100 Milliarden Dollar fließen, aus privaten und öffentlichen Quellen. Doch die Entwicklungsländer wollen Zusicherungen, dass diese Mittel auch wirklich fließen. Umstritten sind auch noch die so genannten Marktmechanismen: Damit können Länder Klimaschutz im Ausland unterstützen, etwa mit Aufforstungen. Diese Unterstützung können sie sich anschließend auf ihren eigenen Klimaschutz anrechnen lassen. In der Vergangenheit hatten solche Mechanismen dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Das sollen die neuen Vorgaben verhindern. Aber nicht alle Staaten haben daran das gleiche Interesse.

Für andere Fragen lagen bis zur vorigen Nacht noch nicht einmal Verhandlungstexte vor - etwa zu der Frage, ob die Staaten schon in Kattowitz die Bereitschaft erklären, ihre Klimaziele bald nachzubessern. Schon jetzt ist klar, dass mit den bisherigen Zusagen der Staaten das Ziel des Pariser Abkommens nicht erreicht wird: Das soll die Erderwärmung auf allerhöchstens zwei Grad Celsius begrenzen, nach Möglichkeit aber auf 1,5 Grad. Ein Bericht des Weltklimarats hatte erst kürzlich gewarnt, schon jenseits der 1,5 Grad Celsius werde der Klimawandel in vielen Regionen der Welt massiv spürbar werden. Doch umstritten ist vor dem Freitag sogar noch, ob die Staaten diesen Bericht förmlich begrüßen - oder nur "zur Kenntnis nehmen". Vor allem Staaten, die schon jetzt Auswirkungen der Erderwärmung spüren, wollen sich mit Letzterem nicht abspeisen lassen.

Noch am Donnerstag hatte die polnische Präsidentschaft der Konferenz in einer Mitteilung beiläufig erklärt, die Verhandlungen "könnten" diesen Freitag enden. Sie könnten aber auch "für ein paar Tage" verlängert werden - um ein Ergebnis zu erreichen.

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