Süddeutsche Zeitung

Klimakonferenz:"Dieser Kampf endet nie"

Seit es Klimakonferenzen gibt, ist Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International, dabei. Ein Gespräch über Frustrationstoleranz und den Einfluss von Wissenschaft auf Politik.

Von Michael Bauchmüller

In Kattowitz geht die Klimakonferenz Nummer 24 in die Schlussrunde, die Verhandlungen sind vertrackt. Doch die Treibhausgas-Emissionen steigen weiter. Das alles mache sie wütend, sagt Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan. Sie hat jede der Konferenzen verfolgt. Regierungen, sagt sie, bräuchten mehr Austausch mit Wissenschaftlern - und weniger mit Managern.

SZ: Frau Morgan, wann war eigentlich Ihre erste Klimakonferenz?

Jennifer Morgan: Das war, noch bevor es die heutigen Klimakonferenzen gab: 1994, in Genf. 1995 war dann die erste Konferenz unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Seither hat es 24 Klimakonferenzen gegeben. Trotzdem haben die Emissionen zuletzt einen neuen Rekord erreicht. Wie fühlt sich das für Sie an?

Natürlich deprimierend. Nein, eigentlich bin ich wütend. Wir wissen schon seit der ersten Klimakonferenz, was auf uns zukommt. Der erste Klimabericht ging an Lyndon B. Johnson, Mitte der Sechzigerahre. Und wenn ich dann sehe, wie die fossilen Interessen der Welt alles verzögert haben, wie sie alles hoch kompliziert gemacht und Druck ausgeübt haben, dann werde ich wütend. Dadurch haben wir unendlich viel Zeit verloren.

Aber auf den Klimakonferenzen verhandeln Regierungen, nicht die Industrie.

Viele Regierungen werden aber immer noch von fossilen Unternehmen und der Landwirtschaft beeinflusst. Die Interessen dieser Unternehmen sind diesen Regierungen offensichtlich wichtiger als die von Mensch und Natur. Welchen Einfluss sie immer noch auf genug Regierungen haben, sehen wir auch hier. Bei UN-Verhandlungen, die ja im Konsens entscheiden, bremst das jeden Fortschritt enorm. Länder wie Saudi-Arabien, aber auch die USA nutzen das strategisch aus. Und andere Staaten halten nicht stark genug dagegen, auch die EU nicht. Das setzt sich hier fort.

Was muss passieren, damit was passiert?

Regierungen müssen mehr an ihre Bürger denken als an Unternehmen. Wir brauchen Wege, um die Rolle von Unternehmen zu beschränken. Etwa in Deutschland, wo Mitarbeiter seit Jahrzehnten durch eine gut geölte Drehtür aus Unternehmen in die Regierung gehen und wieder zurück in Unternehmen wechseln. Oder die Praxis in den USA, wo Unternehmen mit Millionenbeträgen Wahlkämpfe finanzieren. Da brauchen wir einen Systemwechsel. Aber ich spüre, dass sich bei den Bürgern etwas tut.

Woran machen Sie das fest?

An ganz vielem. Es gibt Schüler, die sich für Klimaschutz engagieren, globale Netzwerke, die sich neu bilden. Die Leute werden mutiger. Selbst die Bauern in Deutschland wollen sich die Erderwärmung nicht mehr gefallen lassen.

In Frankreich wollen sich Gelbwesten den Klimaschutz nicht mehr gefallen lassen.

Man kann aus diesen Protesten ganz viel lernen. Klimapolitik muss immer soziale Belange berücksichtigen. Es kann nicht sein, dass die ärmsten Menschen darunter leiden. Das geht auch, wenn man es richtig macht, mit Anreizen oder über das Steuersystem. Letztendlich ist das eine Gerechtigkeitsfrage.

Zuletzt hat der Weltklimarat dringend vor einer Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius gewarnt. Die Konferenz scheint das nicht sehr zu beeindrucken. Warum verpuffen wissenschaftliche Erkenntnisse bei den Regierungen so rasch?

Leider ist das so. In einer Welt der Fake News, mit Regierungen, die solche Fake News über soziale Medien verbreiten, wird es immer schwieriger, mit wissenschaftlichen Fakten zu arbeiten. Es bräuchte einen viel direkteren Austausch zwischen Regierungen und Wissenschaftlern. Was spräche zum Beispiel dagegen, Wissenschaftler des Weltklimarats einmal in das deutsche Kabinett einzuladen? Dann würde Deutschland vielleicht nicht so eine traurige Rolle hier spielen.

Was meinen Sie?

Deutschland ist eine herbe Enttäuschung. Viele Staaten glauben Deutschland nicht mehr, dass es wirklich seine Ziele erreichen will. Manche Schwellenländer sagen schon jetzt: Wenn die Deutschen es nicht schaffen, warum sollen wir uns dann anstrengen? Der grüne Teil der Energiewende war gut, aber der braune Teil, mit dem Kohleausstieg, ist ein Desaster. Das merken viele Länder.

Aber verglichen mit Donald Trump in den USA oder dem Populisten Jair Bolsonaro in Brasilien wirkt Deutschland immer noch wie ein Musterschüler. Machen Sie sich keine Sorgen, dass der Multilateralismus insgesamt unter die Räder kommt, und damit auch der Klimaschutz?

Wir wissen noch nicht, was Bolsonaro macht. Wir wissen nicht, ob er aus dem Pariser Abkommen aussteigt. Bisher haben fast alle Staaten daran festgehalten, selbst 19 Staaten innerhalb der G-20-Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer. Viele haben noch Vertrauen in dieses Abkommen oder fühlen sich verpflichtet.

Klingt schön. Trotzdem nutzt das alles nichts, wenn Emissionen und Temperaturen weiter steigen. Was muss in Kattowitz herauskommen, damit sie sinken?

Optimal wäre, wenn jedes Land hier sagt: Wir tun mehr. Wenn auch jedes Unternehmen sagt: Wir haben verstanden, wir machen mehr. Aber ich fürchte, das ist schwierig zu erreichen. Mindestens müsste aber ein Signal herauskommen, dass die Länder bereit sind, mehr zu tun.

Sie sind ja schon mit wenig zufrieden.

Nein, aber wir müssen realistisch bleiben. Natürlich wünsche ich mir vieles viel schneller. Seit vielen Jahren schon. Aber diese Verhandlungen sind ein Prozess, in dem wir Schritt für Schritt vorankommen. Wir brauchen jetzt hier in Kattowitz ein gutes Regelwerk, mit dem wir die Zusagen der Länder kontrollieren können. Im kommenden Jahr wird es ein Treffen der Vereinten Nationen in New York zum Klimaschutz geben. Wenn alle wichtigen Staaten versprechen, dort neue, höhere Ziele vorzulegen, dann wäre schon viel erreicht.

Wann ist der Augenblick gekommen, wo Greenpeace sagt: Diese Konferenzen bringen nichts mehr?

Greenpeace steht für internationale Zusammenarbeit, insbesondere beim Schutz des Klimas. Für diese Aufgabe gibt es nur eine internationale Lösung. Wenn das nicht mehr unter dem Dach der Vereinten Nationen verhandelt würde, wer verliert? Die ärmsten Länder. Aber wir werden uns weniger engagieren, wenn wir hier nicht mehr vorankommen. Oder wir werden darauf hinarbeiten, dass sich Gruppen williger Staaten zusammenschließen und vorangehen, vielleicht sogar zusammen mit Bundesstaaten, Regionen oder Städten. Das lässt das Pariser Abkommen zu. Und diese Willigen gibt es, sogar in den USA.

Sie geben nie die Hoffnung auf, was?

Stimmt, das wäre für mich undenkbar. Jedes Zehntel Grad macht einen Unterschied. Und deswegen muss man um jedes Zehntel Grad kämpfen, das sich vermeiden lässt. Dieser Kampf endet nie.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2018
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