Klimagipfel Kopenhagen:Wissen ja, handeln nein

Der Klimagipfel in Kopenhagen bringt Umweltthemen in die Schlagzeilen zurück.. Den meisten Menschen ist bewusst, dass sie sich klimaschädlich verhalten - und dabei gegen die eigenen Interessen handeln. Dennoch pflegen sie ihre Ignoranz. Warum?

Andrian Kreye

Es fällt nicht leicht, den Klimawandel als Bedrohung zu empfinden, wenn man in einer jener Gegenden lebt, die letztlich von ihm profitieren. In München zum Beispiel. Selten ist die Stadt so idyllisch wie an einem lauen Dezemberabend, wenn die Menschen in Straßencafés sitzen und das Mondlicht die Silhouetten der Barockkirchen in den wolkenlosen Himmel zeichnet. Und doch beschleicht einen am Vorabend der 15. UN-Klimakonferenz in Kopenhagen das Gefühl, als Statist in jenen ersten zehn Minuten eines Katastrophenfilmes gelandet zu sein, in denen das Leben so besonders perfekt und in Ordnung ist, damit die Katastrophe im zweiten Akt dann besonders heftig wirkt.

Verkehr, AP

Man könnte das Auto auch mal stehen lassen - aber nicht gerade heute.

(Foto: Foto: AP)

Die Naturwissenschaften haben längst ihre Pflicht getan. Sie haben das Problem der Bedrohung durch den Klimawandel entdeckt und analysiert, jetzt können sie nur noch technische Hilfestellung leisten. Die Politik stößt an ihre Grenzen, weil sie nicht über die internationalen Institutionen verfügt, die über alle regionalen Interessen hinweg die globale Bedrohung bekämpfen können. Nun wird ein dritter Weg debattiert. Nicht in Kopenhagen, sondern an den Universitäten der westlichen Welt. Weder die Naturwissenschaften noch die Politik, sondern die Sozialwissenschaften könnten den Klimawandel effektiv bremsen. Der Ansatz ist nicht neu. Seit den achtziger Jahren gibt es Forschungen in diese Richtung. Doch was als Nebenaspekt untersucht wurde, rückt nun zunehmend ins Zentrum der Überlegungen. Es liegt also an - uns.

Wir Deutschen, so scheint es, haben uns da nichts vorzuwerfen. Im vergangenen Jahr veröffentlichten das Bundesumweltamt und das Bundesumweltministerium die jüngsten Ergebnisse ihrer gemeinsamen Studie zum Umweltbewusstsein der Bundesbürger. Demnach ist 91 Prozent der Deutschen der Umweltschutz wichtig. Doch vom Bewusstsein zum Handeln ist es ein weiter Weg. So heißt es in der Studie: "Insgesamt zeigt sich eine deutliche Disparität zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten." Lediglich bei der Mülltrennung und beim Kauf energiesparender Haushaltsgeräte zeigten sich die Deutschen aktiv engagiert.

Es hilft dabei auch nicht, dass sich die Debatte um den privaten Kampf längst ideologisiert hat. Auf der einen, auf der linken Seite stehen die Prediger des grünen Verzichts. Auf der marktliberalen Seite stehen die Propagandisten des grünen Konsums. Der grüne Verzicht ist aber vor allem individueller Aktionismus, der sich auf die utopische Hoffnung stützt, dass man als Pionier den Weg für einen radikalen Bewusstseinswandel bereitet, der dann nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch das kollektive Verhalten ändern wird. Die Ideologie vom grünen Konsum geht dagegen davon aus, dass sich lediglich die Produkte und nicht das Verhalten ändern müssen.

Genau diese Kluft zwischen Theorie und Praxis wollen die Sozialwissenschaften schließen. Dabei erlebte im Kielwasser der Finanzkrise vor allem das relativ junge Forschungsfeld der Verhaltensökonomie einen enormen Aufschwung. Weil die ökonomischen und mathematischen Modelle das Scheitern der Märkte nicht mehr fassen konnten, suchte man bei den Menschen nach den Wurzeln des Problems. Und kam schnell auf den Schluss, dass Extremzustände wie Hysterie, Adrenalinsucht und manische Risikobereitschaft zu den Extremen des Marktes geführt haben.

Im Kampf gegen den Klimawandel sucht die Verhaltensökonomie nach Möglichkeiten, nicht nur einzelne Gruppen, sondern die globale Gesellschaft als solche auf neue Wege zu führen. Verzicht und grüner Konsum werden dabei sicherlich auch eine Rolle spielen. Eigentlicher Fluchtpunkt der Forschungen ist jedoch ein Konsens des gesunden Menschenverstandes. Davon gehen beispielsweise der Verhaltensökonom Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein in ihrem Buch "Nudge - wie man kluge Entscheidungen anstößt" (Econ Verlag, Berlin 2009) aus, das derzeit zum Grundlagenwerk der neuen Sozialwissenschaften avanciert.

Einfache Lösungen sind Domäne der Ideologien

Diesen Konsens haben die Naturwissenschaften längst geschaffen. Kaum ein Wissenschaftler bezweifelt noch die Bedrohung durch den Klimawandel. Warum die meisten Menschen trotzdem gegen die eigenen Interessen handeln, versucht beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler Ben Ho am Center for a Sustainable Future an der Cornell University in Ithaca, New York, herauszufinden.

Ho zieht Thalers und Sunsteins Konzept von der "Architektur der Entscheidungen" heran, um herauszufinden, warum Umweltbewusstsein die meisten Menschen nicht dazu bringt, auch umweltbewusste Entscheidungen zu fällen. Warum ignorieren beispielsweise so viele Menschen die Auswirkungen fossiler Brennstoffe und fahren weiterhin Limousinen und SUVs? Viel schwieriger ist es jedoch, die ideologisierten Reflexe vermeintlich umweltbewussten Handelns in den Griff zu bekommen.

Wer weiß zum Beispiel, dass es viel umweltverträglicher ist, Lammfleisch aus Neuseeland zu importieren als europäisches Lammfleisch zu konsumieren, weil die Produktion dort viel umweltverträglicher ist als in unseren Breiten? Man muss also Wege finden, die Gesellschaft in die richtige Richtung zu schubsen ("to nudge"), auch wenn der Konsens unbequem oder gar unlogisch zu sein scheint.

Ho geht mit seinen Überlegungen weiter als die meisten seiner Kollegen. Die Verhaltensökonomie ist auch nur eine von vielen sozialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen, die sich mit dem umweltbewussten Handeln auseinandersetzen.

Das Center for Research on Environmental Decisions am Earth Institute der New Yorker Columbia University versucht, dem Problem mit Psychologie auf den Grund zu gehen. An der Universität Kiel zog Friedemann Prose schon vor fünfzehn Jahren die Sozialpsychologie hinzu. An der Technischen Universität Dänemark in Lyngby versuchen Mathematiker, mit Hilfe der Spieltheorie den Verhaltensmustern der umweltsündigen Massen auf die Spur zu kommen. Und die University of East Anglia im britischen Norwich bündelt ihre interdisziplinären Studien im Tyndall Centre for Climate Change Research, um "neue Technologien, neue Lebensstile und Wirtschaftsinstrumente" zu finden.

Noch bestätigen viele Forscher erst einmal nur, was man schon länger vermutet. Elke Weber vom Center for Research on Environmental Decisions veröffentlichte beispielsweise vor drei Jahren eine Untersuchung, die erklärt, warum die meisten Menschen die Bedrohung durch den Klimawandel gar nicht als solche empfinden: Weil sich der Klimawandel nur sehr langsam vollzieht, weil er in der Öffentlichkeit oft nur in abstrakten Theorien und Statistiken diskutiert wird und weil er als Gefahr wahrgenommen wird, die noch weit in der Zukunft liegt und zunächst einmal entfernte Weltgegenden wie die Südsee oder die Flussdeltagebiete in Bangladesch oder Louisiana betrifft. Ihr Vorschlag: Die Gefahren so zu kommunizieren, dass die regionalen Auswirkungen deutlich werden. An den Weltuntergang glaubt sowieso keiner.

Auch die Sozialwissenschaften werden keinen einfachen, eindeutigen Weg aufzeigen. Einfache Lösungen sind Domäne der Ideologien. Doch was die Sozialwissenschaften jetzt aufzeigen, ist, dass die Problemlösung eine komplexe Verkettung von ineinandergreifenden Ansätzen sein muss, an deren Ende der Einzelne stehen muss. Das heißt aber, dass die Sozialwissenschaften ihre Erkenntnisse nur umsetzen können, wenn die Politik auf der Grundlage der Naturwissenschaften einen Handlungswillen entwickelt. Und da sind sich die Wissenschaftler aller Sparten einig - viel Zeit bleibt nicht mehr.

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