Klimagipfel Kopenhagen:"Das konnte nicht klappen"

Menschen versuchen, besser wegzukommen als andere. Verhaltensforscher wissen das und sahen das Scheitern des Klimagipfels voraus.

Patrick Illinger

Das eine wollen, das andere tun. Was widersprüchlich handelnden Zeitgenossen übel ausgelegt wird, scheint tatsächlich eine allzu menschliche Eigenschaft zu sein. Das zeigen zum Beispiel Experimente von Manfred Milinski. Seit Jahren erforscht der Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, ob und wie Menschen miteinander kooperieren, wenn sie die Chance bekommen, gemeinsam Vorteile für die ganze Gruppe und jeden Einzelnen zu erzielen. In Spielsituationen im Labor simuliert Milinski damit menschliches Verhalten in der Realität. Um ein lohnendes Ziel zu erreichen, müssen die Probanden freiwillig kleine Opfer bringen - und das macht die Sache sehr vertrackt. Schon Gruppen mit nur sechs Mitspielern und einfachsten Aufgabenstellungen schaffen es kaum, im Sinne eines höheren Ziels zu kooperieren.

Yvo de Boer, AFP

Viel Stress, wenig Ergebnis: Der Chef des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boe, war nicht der einzige, der Gesten der Zermürbung und Enttäuschung zeigte.

(Foto: Foto: AFP)

Betrachtet man Manfred Milinskis Versuchsergebnisse, erscheint das Scheitern der Klimaverhandlungen in Kopenhagen plötzlich unausweichlich. War das kollektive Versagen also die zwingende Folge urmenschlichen Verhaltens, das im Labor längst erforscht ist?

"Zwei Dinge zeigen unsere Kooperations-Experimente mit erstaunlicher Regelmäßigkeit", sagt Manfred Milinski. "Erstens versuchen die meisten Menschen weniger als ihren fairen Anteil beizutragen, und zweitens auch noch möglichst weniger als die Mitspieler einzubezahlen."

In einem seiner Experimente arbeitete Milinski mit Studenten, um Klimaverhandlungen zu simulieren. Sechs Spieler erhielten je 40 Euro Startkapital. Das Ziel war, in zehn Spielrunden ein gemeinsames "Klimakonto" mit mindestens 120 Euro zu füllen. Dabei konnte jeder Spieler pro Runde null, zwei oder vier Euro beitragen. Kam das Geld nach zehn Runden zusammen, wurde eine Zeitungsanzeige bezahlt, die Werbung für Klimaschutz machte - und die Probanden durften ihr verbliebenes Kapital (im Idealfall fairerweise jeder 20 Euro) behalten. Kam das Geld nicht zusammen, entfiel die Zeitungsanzeige, und es wurde gelost: Mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit gingen alle Spieler leer aus. Mit nur zehn Prozent Wahrscheinlichkeit durften die Spieler ihr restliches Kapital behalten, obwohl das Klimakonto nicht voll geworden war.

Im Verlauf dieser Spiele beobachtete Milinski eine hartnäckige Dynamik. In der ersten Runde zahlten altruistisch orientierte Spieler meist ihren fairen Anteil von zwei Euro ein, stellten dann aber fest, dass andere Mitspieler dies unterließen und stoppten ihrerseits die Zahlungen. Etwa nach der Hälfte der Spielrunden wurde den Teilnehmern klar, dass das Ziel von 120 Euro im Klimapot in Gefahr war. Jetzt bemühten sie sich erkennbar, das Ruder herumzureißen. Aber nur in etwa der Hälfte dieser Versuche kam der Zielbetrag noch zusammen.

Pokern um das Erbe

"Dabei war allen Spielern sonnenklar, worum es ging, und alle Spieler wollten das Ziel erreichen", sagt Milinski. Das sei aus Berichten hervorgegangen, in denen die Spieler ihre Strategie erklärten. Im Übrigen beklagten sich fast alle nach gescheiterten Versuchsrunden über das Unvermögen der anderen.

Doch liegt es offenbar in der Natur des Menschen, weniger als die im eben beschriebenen Spiel durchschnittlich notwendigen zwei Euro pro Spielrunde einzubezahlen. Mit wenigen überraschenden Ausnahmen versucht jeder einzelne Teilnehmer, besser wegzukommen als andere, auch wenn dabei das gemeinsame Wohlergehen auf dem Spiel steht.

Die Ökonomie kennt die Problematik als "tragedy of the commons", zu Deutsch etwa die Tragödie um Gemeinschaftsgüter. Die Situation ist vergleichbar mit einer Erbschaft, die nicht unter den Erben aufgeteilt wird, sondern auf ein gemeinsames Konto fließt, auf das jeder Erbe mit einer Kreditkarte Zugriff hat. In so einer Situation ist leicht vorstellbar, wie die Erben versuchen, möglichst viel des Gemeinschaftskapitals zu verschleudern, bevor es die anderen tun.

Die Klimakonferenz von Kopenhagen war zwar kein Spiel, und an sich gab es auch kein Erbe zu verteilen. Dennoch passt das Bild. Die Spieler waren die Staaten der Erde, und das zu verteilende Gemeinschaftsgut war die Menge an Treibhausgas, die jede Nation in den kommenden Jahrzehnten noch in die Atmosphäre blasen darf. Emissions-Reduktionen werden als kurzfristige Opfer der einheimischen Wirtschaft verstanden. Doch im Raum steht auch das große gemeinsame Ziel, die Vermeidung gewaltiger Schäden durch den Klimawandel.

Hohe Zahl von Verhandelnden schadet der Kooperation

Die Situation gleicht also einem Experiment von Manfred Milinski. Nur dass einige Elemente die Angelegenheit noch komplizieren. Manche Spieler sind reicher als andere, was aber offenbar ihre Opferbereitschaft nicht erhöht. Zudem ist unklar, wie groß ein fairer Beitrag zur Senkung des weltweiten CO2-Ausstoßes ist. Müssen Schwellenländer ihre Industrialisierung bremsen, während (oder gar weil) andere Nationen diese bereits hinter sich haben?

Hinzu kam die hohe Zahl verhandelnder Partner, laut Manfred Milinski weit jenseits einer konstruktiven Größe. Frühere Erkenntnisse haben gezeigt, dass bei Zahlen ab 15 bis 20 Verhandlungspartnern die Bereitschaft zu kooperieren rapide abnimmt. Dass die Belohnung für heute zu erbringende Abgasreduktionen erst in Jahrzehnten (in Form eines erträglichen Weltklimas) zu erwarten ist, dürfte die Bereitschaft der Verhandlungspartner in Kopenhagen auch nicht verstärkt haben. "Das konnte nicht klappen", resümiert Manfred Milinski.

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