Als der Hammer gefallen ist, setzt Manuel Pulgar-Vidal sein breitestes Lächeln auf und blickt einmal durch den riesenhaften Saal. Die Erleichterung ist ihm anzusehen. "Ich habe in den letzten zwei Tagen viel gelernt", sagt er dann. "Mehr als in der Zeit vor den zwei Tagen." Für einen 52-Jährigen ist das ein starker Satz. Er könnte aber stimmen.
Gelernt hat er etwa, dass 194 Staaten mit unterschiedlichen Interessen ein ziemlicher Sack Flöhe sind. Erst recht, wenn man sie zu einem gemeinsamen Deal beim Klimaschutz bringen will. Und gelernt hat er auch, dass der beste Wille nicht reicht, wenn sich am Ende einer dieser Staaten schlecht behandelt fühlt. Und schließlich, dass Durchbruch und völliges Scheitern bei so einer Klimakonferenz verdammt nah beieinander liegen können. Auch in dieser Nacht beim Klimagipfel in Lima.
Zwei Wochen lang hatten die Staaten verhandelt, insbesondere über ein einzelnes Dokument. Es sollte klären, wie sich die vielen verschiedenen Klimaschutz-Pläne der Staaten vergleichen lassen. Bis März nämlich sollen sie darlegen, wie sie die Emissionen mindern wollen und was sie dazu beitragen wollen, die Folgen des Klimawandels für die Ärmsten zu lindern. Diese Pläne sollen Bausteine eines neuen Klimaabkommens sein - doch sie bergen einigen Sprengstoff.
Nur wenn es gemeinsame Vorgaben für die Klimaschutzpläne gibt, lassen sie sich untereinander vergleichen. Nur dann auch lässt sich feststellen, ob die Beiträge der einzelnen Staaten ausreichen, um die Erderwärmung in den Griff zu bekommen. Die Vereinbarung von Lima sieht dafür Informationspflichten vor, aber auch einen Report, der die Effekte der nationalen Pläne für den Klimaschutz untersucht.
Die Abmachungen von Lima bilden ein Fundament für das Klimaabkommen, das im kommenden Jahr in Paris ausgehandelt werden soll - zusammen mit einem 37-seitigen Papier mit Eckpunkten für das künftige Abkommen. Zu unterschiedlichen Fragen, die der Vertrag lösen soll, listet es verschiedene Varianten auf - von sehr ehrgeizig bis sehr schwach.
In der Sackgasse
Doch am Samstagmorgen sieht es gar nicht mehr gut aus für das Fundament. Die ganze Nacht über haben sich die Delegationen mit einem neuen Entwurf für den Abschlusstext befasst, jetzt schlägt die Stunde der Abrechnung. Nacheinander legt mal eine Delegation Widerspruch ein, während die nächste sich zufrieden zeigt. "Wir sind in der Sackgasse", meldet sich etwa der chinesische Delegierte zu Wort. "Leider haben wir festgestellt, dass wir hier ziemlich unterschiedliche Sichtweisen haben."
Kurz darauf ist US-Unterhändler Todd Stern dran, er findet den Entwurf eigentlich ganz gut. "Lasst uns nicht wegwerfen, was wir bisher erreicht haben", ruft er. "Der Erfolg von Lima steht auf dem Spiel, der Erfolg von Paris und selbst der Klimakonvention als Ganzes." Soweit ist es gekommen bis zum Samstag. Da wird es auch Pulgar-Vidal ganz schummrig.
Stundenlang sucht er anschließend das Gespräch mit den Delegationen, lotet Kompromissmöglichkeiten aus. Hier wird ein Wort gestrichen, da neu eingefügt. Die Materie ist heikel: Es geht längst nicht mehr nur um die Vorbereitungen des Paris-Abkommens. Sondern auch um die Frage, ob das Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern neu tariert werden muss. Bisher nämlich liegt die Hauptlast bei den Industrieländern, aufstrebende Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien dagegen gehen als Entwicklungsländer durch - und mussten entsprechend weniger für den Klimaschutz tun. Europäer und Amerikaner wollen darüber schon in Lima diskutieren, die Schwellenländer dagegen nicht.
Schließlich wird sich kein Wort mehr im Dokument finden, dass die alte Ordnung in Frage stellt. Am Ende - das ist mehr als 30 Stunden nach dem eigentlich geplanten Ende der Konferenz. In Deutschland wird zu dem Zeitpunkt schon die dritte Adventskerze angezündet.
Der WWF spricht von einem "Rückschlag"
Umweltschützer sind am Ende herb enttäuscht von dem Ergebnis. "In Lima sollten die Fundamente für den Weltklimavertrag von Paris 2015 gelegt werden", sagt Martin Kaiser, Klimaexperte bei Greenpeace. "Doch es wurde nicht einmal die Baugrube fertig gestellt." Die Umweltstiftung WWF spricht gar von einem "Rückschlag". "Leider schreitet der Klimawandel viel schneller voran als die Politik", sagt WWF-Klimaexpertin Regine Günther.
Die meisten Regierungen hingegen sind froh, dass am Ende überhaupt etwas herausgekommen ist. "Manches hätten wir uns anders gewünscht, aber das Ergebnis ist gut", sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth, der die Verhandlungen führte. Allerdings gebe die Konferenz "einen Vorgeschmack darauf, dass der Weg nach Paris kein Spaziergang wird". Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte den Gipfel bereits am Freitag verlassen.
Auch Perus Minister Pulgar-Vidal kann gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Lange hält er den kleinen Holzhammer noch in der Hand, mit dem er eben per Hammerschlag die Entscheidung besiegelt hatte. Dann sagt er: "Den möchte ich gern behalten." Als Andenken: an zwei Tage im Dezember.