Klimagipfel in Kopenhagen:"Wir sparen zwei Jahre"

Die Finanzkrise hilft der Klimapolitik: Fatih Birol von der Internationalen Energieagentur über positive Effekte der Krise auf den Energiesektor und die Ziele des Klimagipfels.

Christopher Schrader

Vor gut einer Woche hat in Bangkok das letzte Vorbereitungstreffen vor dem Klimagipfel in Kopenhagen begonnen. Um die Deligierten anzuspornen, hat die Internationale Energieagentur heute ein Kapitel ihres Weltenergiereports vorab in der thailändischen Hauptstadt veröffentlicht. Im Interview spricht ihr Chefökonom Fatih Birol über die Zahlen des Berichts.

SZ: Was sollten die Delegierten in Bangkok nach Meinung Ihrer Agentur unbedingt wissen?

Fatih Birol: Erstens, dass die Ziele der Industriestaaten ehrgeiziger sein müssen als bisher. Und zweitens, dass ihnen die Weltfinanzkrise eine große Gelegenheit zur Reform der Energiewirtschaft beschert hat.

SZ: Die Finanzkrise, so sagen viele, erschwert Investitionen in grüne Technik.

Birol: Die Krise hat zwei Effekte, und beide machen es tatsächlich leichter, den Energiesektor in Zukunft anders zu steuern und das Klimaziel zu erreichen, auf das sich fast die ganze Welt geeinigt hat: Die Temperaturen sollen um nicht mehr als zwei Grad über die Werte vor der Industrialisierung steigen.

SZ: Was sind die beiden Effekte?

Birol: Erstens: Nach unseren Schätzungen wird der CO2-Ausstoß in diesem Jahr um drei Prozent sinken, weil weniger fossile Brennstoffe genutzt worden sind. In den vergangenen Jahren sind die Emissionen meist um drei Prozent gestiegen.

SZ: Das heißt, die Welt fällt zurück auf das Niveau von 2007?

Birol: Das hängt noch von den genauen Zahlen für 2008 ab. Aber im Prinzip sparen wir zwei Jahre. Der zweite Effekt der Krise ist aber sogar noch wichtiger: In den 18 Monaten der Rezession sind viele Investitionen in neue Kohlekraftwerke und andere Anlagen sowie in wenig effiziente Autos gestoppt worden. Wenn die Investoren jetzt ein positives Signal aus Kopenhagen bekommen, können sie ihr Geld in moderne, energiesparende Technik umlenken. Die Finanzkrise hat eine einmalige Gelegenheit geschaffen, den Kurs der Entwicklung zu ändern.

SZ: Welches Signal sollte in Kopenhagen denn beschlossen werden?

Birol: Die Industriestaaten müssen große Einschnitte im einheimischen Energieverbrauch und den damit verbundenen Emissionen machen. Fangen wir mit den USA an: Nach unseren Berechnungen sollten sie den CO2-Ausstoß bis 2020 um 18 Prozent unter das Niveau von 2005 drücken und zwar allein im Binnenmarkt. Das Waxman-Markley-Gesetz sieht dagegen Reduktionen von 17 Prozent vor, die im Land und durch internationale Offsets erreicht werden können.

SZ: Also durch Aufforstungsprojekte in Afrika oder Solaranlagen in Asien?

Birol: Genau. Wenn Industrieländer woanders CO2 einsparen, bekommen sie Gutschriften auf ihre heimischen Emissionen.

SZ: Der internationale Vergleichmaßstab für Treibhausgase ist aber nicht das Jahr 2005, sondern 1990.

Birol: Ja, weil das im Kyoto-Protokoll so festgelegt wurde. Die USA haben es aber nicht ratifiziert. Gemessen an 1990 müssten die USA 2020 um drei Prozent reduzieren. Sie lagen im Jahr 2005 aber 19 Prozent über den Werten von 1990. Lassen sie mich noch Japan nachreichen: Das Land sollte seine einheimischen Emissionen im Jahr 2020 um zehn Prozent unter die Werte von 1990 drücken.

SZ: Die neue japanische Regierung hat eine Reduktion um 25 Prozent angekündigt.

Birol: Das ist kein Widerspruch zu unserer Forderung, weil die 25 Prozent internationale Projekte enthalten.

SZ: Was muss Europa tun?

Birol: Die Europäische Union hat sich vorgenommen, 2020 um 20 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990, und hatte 2005 minus drei Prozent erreicht. Nach unseren Berechnungen enthält das 20-Prozent-Ziel zwölf Prozent Reduktion im Binnenmarkt und acht Prozent internationale Offsets. Die IEA hält aber 23 Prozent allein im Binnenmarkt für nötig, das ist fast das Doppelte.

SZ: Ist das nötig oder auch möglich?

Birol: Das ist möglich, aber es hat seinen Preis. Um die Ziele zu erreichen, müssen die OECD-Länder den Emissionshandel nutzen. Nach unseren Daten sollte im Jahr 2020 der Ausstoß einer Tonne CO2 50 Dollar und zehn Jahre danach 110 Dollar kosten. Das ist der Preis, den die Umstellung des Energiesektors kostet.

China - Spitzenreiter der Klimapolitik?

SZ: Auf die drei großen Industrieregionen der OECD kommen also deutliche Veränderungen zu. Was ist mit China?

Birol: China hat einige politische Programme beschlossen, um den CO2-Ausstoß im Land zu senken: Es will zum Beispiel den Anteil der erneuerbaren Energien und der Kernkraft bei der Stromerzeugung vergrößern und die Regeln für den Energieverbrauch in Gebäuden verschärfen. Wenn das Land seine Ziele erreicht - und in der Vergangenheit hat die Führung immer ihre Ziele erreicht - dann stößt es im Jahr 2020 eine Gigatonne, also eine Milliarde Tonnen, weniger CO2 aus als ohne diese Maßnahmen. Das wäre die größte Reduktion irgendwo auf der Welt, die insgesamt 2020 um 3,8 Gigatonnen weniger Kohlendioxid freisetzen muss. China hätte einen Spitzenplatz beim Kampf gegen den Klimawandel.

SZ: Mit anderen Worten: China macht schon alles richtig und die Industrieländer müssen sich anstrengen?

Birol: Vor allem im Energiesektor muss sich vieles ändern. Zunächst darf der Verbrauch an Öl, Gas und Kohle nur noch bis 2020 steigen und muss danach fallen. Außerdem darf Strom 2030 nicht mehr wie heute zu mehr als zwei Dritteln aus fossilen Brennstoffen entstehen, sondern nur noch zu 40 Prozent. Erneuerbare machen dann 37 Prozent aus, die Kernenergie 18 Prozent und fünf Prozent kommt von Kraftwerken, in denen das Kohlendioxid eingefangen und gespeichert wird. Schließlich die Autoindustrie: Heute haben mehr als 95 Prozent der Neuwagen einen Verbrennungsmotor, 2030 dürfen es nur noch 40 Prozent sein. Hybrid- und Elektromotoren sind dann die Mehrheit.

SZ: Das erfordert gewaltige Investionen in den Energiesektor.

Birol: Wir rechnen mit 10 Billionen Dollar für den Zeitraum von 2010 bis 2030. Das klingt nach sehr viel, aber zum Beispiel im Jahr 2020 entspricht die nötige Summe einem halben Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts.

SZ: Trotzdem: Wer soll das bezahlen?

Birol: Von den zehn Billionen entfallen 8,6 Billionen auf die Anschaffung von energiesparenden Autos, Computern oder Industrieanlagen. Aber dem stehen auch große Einsparungen bei den Energiekosten gegenüber. Sie machen 8,6 Billionen für den gleichen Zeitraum aus.

SZ: Investitionen und Erträge wiegen sich also auf.

Birol: Ja und danach machen wir sogar Gewinn. Wenn man die Einsparungen über die gesamte Lebensdauer der neuen Geräte und Anlagen rechnet, also über 2030 hinaus, sinken die Verbrauchskosten sogar um 17 Billionen Dollar. Das ist ein großer Investitionsanreiz.

SZ: Und diesen Weg muss die Welt in Kopenhagen einschlagen?

Birol: Wir brauchen das Signal für eine andere Zukunft, bevor die jetzt verschobenen, großen Investionen nachgeholt werden. Nach unseren Berechnungen steigt die Gesamtsumme der Kosten um 500 Milliarden Dollar mit jedem Jahr, um das sich das Abkommen verzögert.

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