Klimaforschung:Wolken, die keiner versteht

Sie sind manchmal wunderschön, manchmal bedrohlich und vor allem sind Wolken die großen Unbekannten in den Klimaprognosen. SZ Wissen erklärt, warum.

Rainer Stadler

Diese Riesen sind kaum in den Griff zu bekommen. 500.000 Tonnen Wasser können Wolken speichern und die Energie von vierzehn Atombomben. Im Inneren wirbeln Milliarden winziger Tröpfchen, Graupel, Eiskristalle, Schneeflocken zur gleichen Zeit, von Turbulenzen auf bis zu 250 Stundenkilometer beschleunigt - ein gewaltiges Chaos.

Klimaforschung: Viel mehr als Wasser und Luft: Für Forscher verbergen sich in den luftigen Himmelsgebirgen viele Fragen.

Viel mehr als Wasser und Luft: Für Forscher verbergen sich in den luftigen Himmelsgebirgen viele Fragen.

(Foto: Foto: AP)

Die Meteorologen haben alle Mühe, Wolken und Niederschläge auch nur für den folgenden Tag zu prognostizieren. Umso verwegener erscheint das Ansinnen der Klimaforscher: Sie wollen herausfinden, wie sich die Wolkenbedeckung rund um den Globus entwickeln wird, und zwar nicht morgen oder übermorgen, sondern in den kommenden Jahren und Jahrzehnten.

Wolken sind die große Unbekannte in den Klimamodellen. Zwar bezweifelt kaum ein Experte, dass sich die Erde erwärmt - doch in welchem Maße? Schon vor 15 Jahren stellten amerikanische Klimaexperten fest, dass ihre Prognosen zur globalen Erwärmung zwischen 1,9 und 5,4 Grad schwankten - je nachdem, welche Wolkenbedeckung sie in ihre Computerprogramme einspeisten.

Die Prognosen schwanken noch heute, weil bislang niemand genau weiß, ob und in welchem Maße Wolken die Erderwärmung abmildern oder verstärken. Während Haufenwolken die Sonnenstrahlen reflektieren und verhindern können, dass sich die Erde aufheizt, leiten die höher gelegenen Eiswolken, genannt Zirren oder Schleierwolken, zugleich auch Infrarotstrahlen von der Erde zurück und können so die Oberfläche erwärmen.

Die meisten Modelle simulieren Wolken nur unzureichend: Allein aus Temperatur und Luftfeuchtigkeit errechnen die Computer, ob an einem bestimmten Ort der Atmosphäre Zirren oder Haufenwolken schweben. Dabei ist seit Langem klar, dass Wolken sich nur bilden, wenn in der Luft genügend kleine Partikel herumschwirren, an denen der Wasserdampf kondensieren kann: sogenannte Aerosole wie Wüstensand, Pollen, Rußteilchen oder Salzkristalle.

Dass der Mensch den Kreislauf durch Emissionen aus Industrie, Verkehr und Landwirtschaft beeinflusst, liegt also auf der Hand. Doch im Detail ist die Rolle der Aerosole beim Entstehen verschiedener Wolkenarten noch zu wenig verstanden, als dass Klimaexperten es am Computer modellieren könnten.

Wenn die Forscher das Klima und den Beitrag der Menschheit für die nächsten 50 oder 100 Jahren präzise vorhersagen wollen, müssen sie das komplexe Treiben von Grund auf verstehen lernen. Genau daran arbeiten die Atmosphärenforscher vom Karlsruher Forschungszentrum in einer Wolkenkammer: In einen Kessel von vier Metern Durchmesser und sieben Metern Höhe leiten sie Wasserdampf. Mit flüssigem Stickstoff wird die Anlage gekühlt, im Extremfall auf 80 Grad unter Null. Dann saugen Pumpen die Luft aus der Wolkenkammer, sodass der Druck abfällt.

Nichts anderes passiert in freier Natur, wenn feuchte Luftmassen aufsteigen, in der Höhe sich ausdehnen und deshalb abkühlen. Irgendwann ist die Luft so mit Feuchtigkeit übersättigt, dass der Wasserdampf an den Aerosolen kondensiert. Es entstehen Wolkentropfen und Eiskristalle von wenigen Mikrometern Größe, die Grundbestandteile jeder Wolke.

Die künstlichen Gebilde im Karlsruher Kessel haben den Vorteil, dass sie unabhängig von Wind und Wetter gedeihen. In seinen Laborwolken kann der Physiker Ottmar Möhler genau messen, welche Temperatur und welche Feuchtigkeit die Luft erreichen muss, damit bestimmte Aerosole zu Eiskristallen mutieren.

Wolken, die keiner versteht

Bisher hat sich gezeigt, dass dies am ehesten bei ägyptischem Wüstensand und Straßenstaub von amerikanischen Highways der Fall ist. Schwefelsäuretröpfchen aus Industrieanlagen oder Rußteilchen aus Flugzeugmotoren benötigen deutlich tiefere Temperaturen oder mehr Feuchtigkeit, um Wolken zu bilden. Möhler hofft, "dass wir irgendwann für jeden Aerosoltyp wissen, wie viel davon in der Atmosphäre herumfliegt und wie er mit seiner Umwelt interagiert."

Klimaforschung: Cumulonimbus (Gewitterwolken) sind vertikale Quellwolken, die den Boden kühlen.

Cumulonimbus (Gewitterwolken) sind vertikale Quellwolken, die den Boden kühlen.

(Foto: Foto: dpa)

Dann sollten sich Wahrscheinlichkeit, Art, Dicke und Höhe einer Wolke genauer vorhersagen lassen, und damit der Beitrag der Wolkendecken zum Strahlungshaushalt der Erde. Durchschnittlich 60 Prozent unseres Planeten sind von Wolken überzogen. Die einen kühlen, die anderen wärmen. Letzterer Effekt wird besonders nachts spürbar: Ist der Himmel bedeckt, sinken die Temperaturen weniger, als wenn die Sterne funkeln.

Auch von den Niederschlägen, welche die Erdoberfläche kühlen, weiß man bislang nur grob, wie sie entstehen: Turbulenzen wirbeln die kleinen Tröpfchen in der Wolke durcheinander, die treffen auf andere Tröpfchen und verschmelzen mit ihnen. Irgendwann ist ein Tropfen so schwer, dass er zu Boden fällt.

Doch wie lang der Prozess vom Hundertstelmillimeter kleinen Wolkenzum Regentropfen dauert, ist ein Rätsel. Der Prozess sei "mathematisch einfach nicht in den Griff zu kriegen", hadert der Mainzer Meteorologe und Physiker Stephan Borrmann. Ebenso wie die Turbulenzen: Offenbar können sie die Tröpfchen in der Wolke auch verkleinern, indem sie trockene Luft zuführen. Es gibt keine Gleichungen, mit denen sich Winde in den Wolken angemessen beschreiben lassen.

Dreckschwaden unterdrücken den Regenfall

Und ebenso wenig berechenbar ist der Einfluss des Menschen auf den Niederschlag. Nur grundsätzlich haben die Forscher in den vergangenen Jahren gelernt, wie Luftverschmutzung und Regen zusammenhängen: Dreckige Luft in einer Wolke bedeutet, dass sich der Wasserdampf auf mehr Aerosole verteilt. Folglich sind die einzelnen Tröpfchen deutlich kleiner - und damit zu leicht, um aus dem Windkanal der Wolke zu entkommen.

Satellitenmessungen über der australischen Stadt Adelaide ergaben, dass die Dreckschwaden aus den Schloten der Öl und Blei verarbeitenden Industrie den Regenfall von zweieinhalb Kilometer hohen Wolken unterdrückten.

Derselbe Effekt ließ sich über dem Zentrum der Vier-Millionen-Stadt Sydney beobachten. Die Folgerung lag nahe, dass über besonders verschmutzten Regionen der Erde weniger Regen fallen müsse. Doch dies bestätigte sich nicht.

Nun wird spekuliert, dass der unterdrückte Regen nur kurzzeitig in der Wolke bleibt, die weiterwächst und mit Verzögerung noch heftigeren Regen bringt. Oder dass der Wind die Wolke zum nächsten Regengebiet bläst, wo die Niederschläge dann umso kräftiger ausfallen. Vielleicht sind aber auch beide Theorien falsch.

Wolken, die keiner versteht

Klimaforschung: Mit der "Geophysika", einem umgebauten russischen Spionageflugzeug, untersuchen Wissenschaftler das Innenleben der Wolken.

Mit der "Geophysika", einem umgebauten russischen Spionageflugzeug, untersuchen Wissenschaftler das Innenleben der Wolken.

(Foto: Foto: Stephan Borrmann/Universität Mainz)

Als wäre die Angelegenheit nicht schon kompliziert genug, haben die Forscher darüber hinaus mit deutlichen regionalen Unterschieden zu kämpfen: Die Regensituation in den Tropenregionen von Afrika ist zum Beispiel völlig ungeklärt. Auf dem ganzen Kontinent existieren nur zehn Bodenmessstationen.

Während eines Forschungsaufenthalts in Burkina Faso beeindruckten den Meteorologen Borrmann besonders die sogenannten Squall Lines, regelrechte Wolkenlawinen, die extreme Regenfälle mit sich bringen, bis zu 100 Millimeter pro Stunde. In Borrmanns Heimatstadt Mainz fallen 600 Millimeter im Jahr. "Fragen Sie mich nicht, wie diese Squall Lines entstehen", sagt Borrmann.

Von Satellitenbildern weiß er nur, dass die Regengebiete innerhalb von vier Stunden "von der Größe Münchens auf die Größe Frankreichs wachsen" können. Trotz dieser biblischen Güsse hat der Niederschlag in Afrika über die vergangenen 30 Jahre dramatisch abgenommen. Was passiert da? Steckt der Mensch dahinter? Borrmann zuckt mit den Schultern.

Komplizierte Strahlungsbilanz

Nicht weniger kompliziert stellt sich die Strahlungsbilanz der Wolken dar. Auch dabei sind die Aerosole von zentraler Bedeutung, wie der Karlsruher Physiker Möhler anhand eines einfachen Experiments verdeutlicht: Er haucht in einen kleinen Zylinder und schließt den Deckel. Entfernt er die Luft mit einer Handpumpe aus dem Behälter, sinkt der Druck, und es bildet sich eine kleine Wolke. Sogar kleine Wassertröpfchen werden sichtbar.

Dann wiederholt Möhler sein Experiment, nur hält er eine Flamme unter die Öffnung, bevor er den Behälter schließt. So gelangen Rußpartikel ins Innere. Die Wolke, die nun entsteht, ist wesentlich weißer und dichter als die erste. Leicht einzusehen, dass diese Wolke mehr Sonnenlicht reflektieren würde als die rußfreie Wolke. Heißt das am Ende, dass Abgase dichtere Wolken entstehen lassen, die das Klima der Erde kühlen?

Der gegenteilige Effekt wird den reinen Eiswolken nachgesagt, die sich meist in Höhen von fünf bis 15 Kilometern bilden. Dabei leiten sie nicht nur Infrarotstrahlen zur Erde zurück, sondern schirmen die Erde auch vom Sonnenlicht ab - je nach Wolkendichte. Und die hängt wiederum vom vorherrschenden Aerosoltyp ab. Der bestimmt, wie stark das einzelne Eiskristall der Wolke reflektiert, weshalb Möhler die Kristalle für jeden Aerosoltyp erfasst.

Aber auch die unterschiedliche Zahl der Kristalle, die jedes Aerosol hervorbringt, beeinflusst die Dichte der Eiswolke. Bei Ruß bilden zehn Prozent der Partikel Eiskristalle, bei ägyptischem Wüstensand sind es 40 Prozent, bei Straßenstaub aus den USA sogar 70 Prozent - warum auch immer.

Wolken, die keiner versteht

Klimaforschung: Die Regensituation in den Tropenregionen von Afrika ist völlig ungeklärt.

Die Regensituation in den Tropenregionen von Afrika ist völlig ungeklärt.

(Foto: Foto: AFP)

Um die Strahlungsbilanz von Eiswolken vorherzusagen, müssten die Wissenschaftler also genau wissen, wo in der Atmosphäre sich welche Aerosole befinden und natürlich wie viele. "Das ist eine Wissenschaft für sich", sagt Ottmar Möhler. Wer sich damit befasst, lernt zum Beispiel, dass sehr viel Sand in der Luft aus der Sahara stammt oder aus der Atacama-Wüste in Chile, aber auch aus der weniger bekannten Bodele-Senke im Tschad.

Eine Gesamtbilanz aller Aerosole - natürlicher Art oder menschlich erzeugt - liegt allerdings noch in weiter Ferne und würde allein auch nicht helfen. Denn die Gestalt der Erdoberfläche beeinflusst ebenfalls die Strahlungsbilanz einer Wolke. Eine weiße Wolke über einem Schneefeld ist klimaneutral, weil der Schnee ähnlich viel Sonnenstrahlung reflektiert. Kühlend wirkt die Wolke jedoch, wenn sie über einer dunklen Fläche schwebt, die viel Sonnenstrahlung absorbiert und die Erde erwärmt.

Vergebliche Manipulationsversuche

Wie wenig die Menschen von Wolken verstehen, zeigt sich nicht zuletzt in ihren Manipulationsversuchen: Seit Jahrzehnten impfen sie Wolken mit künstlichen Aerosolen, vorzugsweise Silberiodid, um sie zum Abregnen zu bringen.

Erst kürzlich wollten die Chinesen den Trick vor den Toren Pekings anwenden, um zu verhindern, dass die Eröffnung der Olympischen Spiele unter verhangenem Himmel stattfindet. "Reine Geldverschwendung", sagt Borrmann, "wir wissen längst, dass sich geimpfte Wolken genauso verhalten wie ungeimpfte." Zum Glück für die Chinesen war das Wetter gnädig.

Aussichtsreicher ist da schon ein Projekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR). Physiker dort haben erkannt, wie man der Bildung einer bestimmten Art von Wolken vorbeugen kann: jener, die sich zeigen, wenn die ersten Flugzeuge am klaren Morgenhimmel Kondensstreifen hinterlassen.

Manchmal lösen sich die Streifen sofort auf, manchmal werden sie breiter, sodass am Nachmittag ein Wolkenschleier den Himmel überzieht. Dieser Schleier habe "mit Sicherheit einen erwärmenden Effekt" auf die Erdoberfläche, sagt der DLR-Atmosphärenphysiker Robert Sausen.

Man weiß aber, dass sich Kondensstreifen nur in einem wenige 100 Meter hohen Korridor der Atmosphäre bilden. Dessen Höhe hängt von der Feuchtigkeit in der Atmosphäre ab. Der klimaschädliche Effekt ließe sich also verhindern, wenn die Flugzeuge höher oder niedriger flögen. Deshalb entwerfen die Forscher zurzeit eine neue Flugroutenplanung, die auch die Wetterlage berücksichtigt. Einen Teil seines selbst gemachten Wolkenproblems wird der Mensch also vielleicht in einigen Jahren lösen können.

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