Seit 1958 misst ein Observatorium auf dem Gipfel des Mauna-Loa-Vulkans auf der Insel Hawaii die globalen CO₂-Werte. Von Jahr zu Jahr kletterten diese nach oben – von 313 ppm („parts per million“, also Teilchen pro Millionen) auf heute 424 ppm. Das ist erwartbar, haben die Menschen doch immer mehr CO₂ ausgestoßen. Doch als Mitarbeiter der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA der USA in diesem Jahr die Zahlen für 2023 finalisierten, stellten sie etwas Überraschendes fest: den höchsten CO₂-Anstieg innerhalb eines Jahres. Mit 3,37 ppm lag er fast ein ppm über dem Durchschnittswert der Jahre 2013 bis 2022.
Dieser Rekordanstieg hätte sich leicht erklären lassen, wenn die Länder deutlich mehr Öl, Gas und Kohle verbrannt und damit mehr Kohlendioxid ausgestoßen hätten. Haben sie aber nicht. Mit 0,6 Prozent legten die fossilen CO₂-Emissionen gegenüber dem Vorjahr nur vergleichsweise wenig zu. Etwas anderes hatte den CO₂-Wert also in die Höhe getrieben – und wenn das nicht die Menschen gewesen sind, musste es die Natur gewesen sein. Was ist da los?
Ozeane und Landökosysteme leisten seit Langem eine unschätzbare Dienstleistung: Wälder, Moore und Meeresplankton nehmen jedes Jahr mehr als die Hälfte des Kohlendioxids auf, das der Mensch ausstößt. Ohne sie wäre es noch viel heißer auf der Welt.
Und obwohl die CO₂-Emissionen immer weiter angestiegen sind, konnte die Natur Schritt halten. Bei den Wäldern ist das am einfachsten zu erklären: Kohlendioxid wirkt wie eine Wachstumsspritze; je mehr davon in die Luft gelangt, desto mehr Biomasse baut sich auf. Zudem gelangt mehr Stickstoff in die Umwelt, der ebenfalls wie Dünger wirkt. Doch seit einigen Jahren schwächeln die natürlichen Klimaschützer und nehmen nicht mehr im gleichen Maße CO₂ auf wie bislang. Das liegt an den negativen Begleiterscheinungen des Klimawandels. Dem Global Carbon Budget 2024 Report zufolge haben Dürren, Hitzewellen, Brände und Stürme die Landsenke im vergangenen Jahrzehnt bereits um 27 Prozent geschwächt, den Ozean um sechs Prozent. „Wir bekommen jetzt schon die Quittung vom Klimawandel“, sagt die Geografin Julia Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
„Wir stellten fest, dass Pflanzen und Böden im vergangenen Jahr fast gar kein CO₂ absorbierten“
Besonders auf der Nordhalbkugel: Dort nimmt die CO₂-Aufnahmefähigkeit der Landsysteme bereits seit acht Jahren ab. Manche Ökosysteme oder ganze Biome sind sogar schon umgeschlagen – von CO₂-Senken in CO₂-Quellen. Beispiel deutscher Wald: Bis zum Jahr 2017 haben die Bäume hierzulande immer mehr CO₂ aufgenommen. Dann kamen die Dürrejahre, seither setzt der Wald CO₂ frei. Erst schwächten Hitze und Trockenheit Wälder wie im Harz, Sauerland oder in Thüringen, dann gaben ihnen Stürme und Borkenkäfer den Rest. Am härtesten hat es die Fichten getroffen. „Gerade viele dieser Bestände, die eigentlich noch einige Jahre mit ordentlichem Zuwachs gehabt hätten, sind in den vergangenen Jahren verloren gegangen“, sagt Andreas Bolte, der Leiter des Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Eberswalde. „Weil die Fichtenwälder langsam in die Jahre kommen, hätte es aber auch ohne die Waldschäden bald eine Abnahme in der Kohlenstoffspeicherung gegeben.“
Einen besonders starken Einbruch der globalen Landsenken gab es 2023. Nur noch 0,44 Milliarden Tonnen Kohlenstoff nahmen sie insgesamt auf – der niedrigste Wert seit 20 Jahren, konstatierte ein internationales Forscherteam. „Wir stellten fest, dass Pflanzen und Böden im vergangenen Jahr fast gar kein CO₂ absorbierten“, kommentiert der Physiker und Mitautor Philippe Ciais von der Universität Paris-Saclay. Die britische Tageszeitung The Guardian schrieb daraufhin von einem „Kollaps der Kohlenstoffsenken“. Sind wir also in Zukunft auf uns allein gestellt beim Kampf gegen den Klimawandel? Lässt die Natur uns jetzt im Stich?
Ganz so düster sieht es noch nicht aus. Vergleichsweise gut stehen die Ozeane da: Ihr Beitrag zur CO₂-Senke ist über die Jahre ziemlich konstant geblieben, und weil sie träger auf den Klimawandel reagieren, dürfte das auch erst einmal so bleiben. Und auch wenn die Landsenken 2023 geschwächelt haben, so ist das in einzelnen Jahren nichts Ungewöhnliches. Auch 1980, 1983, 1987, 1998 und 2002 nahmen die Landsenken kaum CO₂ auf. Meist erklärte sich das mit natürlichen Schwankungen im Klimasystem: dem Übergang von La-Niña- zu El-Niño-Bedingungen im tropischen Pazifik. So war es auch 2023: Teile der Tropen erlebten Dürren, Wälder trockneten aus und die saisonalen Landnutzungsfeuer gerieten im Amazonas-Regenwald außer Kontrolle.
Wie schwach die Landsenken im Jahr 2023 wirklich waren, lässt sich debattieren. Der Global Carbon Budget 2024 Report kommt mit einer anderen Methode auf einen höheren Wert für die Kohlenstoff-Aufnahme (2,3 Milliarden Tonnen). Das Ergebnis ist immer noch ein deutlicher Einbruch gegenüber den 3,2 Gigatonnen aus dem Jahr zuvor, aber eben kein kompletter Wegfall der Senke.
Klimaforschung:Wie sieht es auf der Erde aus, wenn sie sich um mehr als zwei Grad erwärmt?
Die Welt steuert auf eine Erwärmung um mehr als drei Grad Celsius zu. Schon mehrmals in der Erdgeschichte war es so heiß, sagt Geologin Kasia Sliwinska. Ein Grund zur Entwarnung sei das aber nicht.
Trotzdem lässt sich 2023 nicht als Ausreißer abtun. Denn in der Vergangenheit gab es schon stärkere El-Niño-Jahre, etwa 2015/2016. Damals waren die Landsenken aber nicht schwach. Das legt nahe, dass der Klimawandel die Landökosysteme inzwischen stärker belastet. Nicht nur in den Tropen, sondern auch auf der Nordhalbkugel: Die riesigen Wälder in der kaltgemäßigten Klimazone haben sich inzwischen in eine Kohlenstoffquelle verwandelt. Zwischen 2000 und 2020 verursachten boreale Waldbrände meist einen Kohlenstoff-Ausstoß von 100 bis 300 Millionen Tonnen pro Jahr. 2021 waren es mehr als 450 Millionen Tonnen. Im Jahr 2023 brannten die Wälder Kanadas auf einer so großen Fläche wie nie zuvor beobachtet. Dabei stießen sie eine Menge an CO₂ aus, die der Hälfte der fossilen Jahresemissionen der USA entsprach.
Die Landsenken werden sich regenerieren, doch das kann noch viele Jahre dauern
Eine Erklärung liefern die extrem trockenen und heißen Bedingungen, ideales „Feuerwetter“. Der Hintergrund: Das Jahr 2023 war fast 1,5 Grad Celsius wärmer als im vorindustriellen Zeitraum, ein Temperaturwert, der eigentlich erst zum Ende des Jahrzehnts erwartet wurde. Ganz verstanden ist die Hitzeanomalie bis heute nicht, eine Rolle dürfte der Beginn des El Niño gespielt haben, aber auch eine Minderung der globalen Schiffsemissionen. 2023 ist damit ein Vorgeschmack, wie die Landsenken in Zukunft auf den Klimawandel reagieren werden. „Die Senken werden uns auch in Zukunft erhalten bleiben, aber sie werden nicht mehr so stark wachsen wie bisher“, erklärt Julia Pongratz, die am Global Carbon Budget 2024 Report beteiligt war. „Das führt uns vor Augen, welch unglaublichen Service die natürlichen Systeme geleistet haben.“
Von einem Kollaps der Landsenken könne man erst sprechen, wenn sich diese nicht mehr regenerieren. „Aber das werden sie aller Voraussicht nach wieder tun.“ Und zwar nach einem erneuten Umschwung von El-Niño- auf La-Niña-Bedingungen, womit in diesen Wochen gerechnet wird. Noch aber herrscht im Amazonas-Regenwald eine katastrophale Dürre. Die Wälder und Böden werden dort noch Jahre brauchen, um sich in Teilen aufzurappeln. „Wir gehen davon aus, dass sich auch in diesem Jahr die Landsenken nicht wieder voll erholen.“
Auch in Deutschland dürfte das noch lange dauern. Zwar wachsen auf der insgesamt rund eine Million Hektar großen Schadensfläche wieder Bäume, aber in den ersten 20 Jahren ihres Lebens binden sie relativ wenig Kohlendioxid. Andreas Bolte rechnet damit, dass in den nächsten Jahren weitere Wälder darben werden, die bislang glimpflich davongekommen sind. Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürften die Kohlenstoffvorräte weiter abnehmen. „Wenn man die Bestände aber derweil geschickt umbaut, lässt sich der Vorrat dann wieder aufbauen“, sagt der Forstwissenschaftler.
Das Problem: Für die Klimaziele im Jahr 2030 sind die natürlichen Senken schon eingepreist. Gemeinsam mit Mooren sollen Wälder laut Klimaschutzgesetz bis dahin mindestens 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aufnehmen, um Emissionen aus der Landwirtschaft und Industrie auszugleichen, die sich nicht vermeiden lassen. Um den heimischen Wald kurzfristig wieder in eine Senke zu verwandeln, bliebe nur ein Weg: halb so viel Holz zu schlagen. Bolte rät allerdings davon ab. Denn dann würden die Holzpreise hochschnellen und man eine Möglichkeit verlieren, die Wälder klimaresilient umzubauen. Schließlich brauchen die jungen Wälder Licht. Um ihre Klimaziele trotzdem zu erfüllen, müssten auch andere Länder wie Australien, Frankreich und Tschechien nun eine Schippe beim Klimaschutz drauflegen, um den geringeren Beitrag ihrer Wälder auszugleichen.