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Klima:Es bleibt womöglich weniger Zeit, um den Klimawandel zu bremsen

Forscher zeigen, dass die Temperaturen in der Atmosphäre schon viel früher anstiegen als gedacht. Eine beunruhigende Nachricht für den Kampf gegen die Erderwärmung.

Von Marlene Weiß

Gemessen an ihrer Bedeutung für die Menschheit sind die 2015 in Paris vereinbarten Klimaziele recht vage. Auf zwei Grad Celsius soll die globale Erwärmung begrenzt werden, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad. Aber im Vergleich wozu? "Vorindustrielles Niveau", heißt es dazu im Vertrag. Was das bedeutet, steht dort nicht. Im Fachmagazin Nature Climate Change zeigen Wissenschaftler nun: Die Erde könnte der Zwei-Grad-Grenze bereits näher sein als gedacht - weil die globale Erwärmung schon sehr früh begann.

Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts werden die Temperaturen einigermaßen zuverlässig erfasst, deshalb wird als Referenz oft der Zeitraum von 1861 bis 1880 genannt. Aber die Dampfmaschine wurde schon im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt. Und damals wurde eifrig Kohle verfeuert. Ablagerungen in Eis-Bohrkernen zeigen, dass die Treibhausgase in der Erdatmosphäre etwa seit 1750 zunehmen. Nur welche Auswirkungen das auf die Temperaturen hatte, ist nicht genau bekannt.

Anhand von Klima-Simulationen errechneten die Forscher um Andrew Schurer von der University of Edinburgh nun, dass die globale Durchschnittstemperatur im Zeitraum von 1400 bis 1800 um 0,03 bis 0,19 Grad niedriger lag als am Ende des 19. Jahrhunderts. Entsprechend näher würde die Zwei-Grad-Grenze rücken - vom 1,5-Grad-Ziel ganz zu schweigen, das ohnehin schon praktisch nicht mehr einzuhalten ist. Nun mag das eher eine technische Frage sein; der Klimawandel wird nicht schlimmer, bloß weil es irgendwann kälter war als angenommen.

Aber die Arbeit zeige, dass es auf die Definition ankommt, sagt Jacob Schewe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: "Das ist vielen Beteiligten außerhalb der Wissenschaft vielleicht nicht bewusst, oder es herrschen unterschiedliche Vorstellungen darüber." Darum sei es wichtig zu fragen: Worauf haben wir uns eigentlich genau geeinigt? Spätestens, wenn es um die Berechnung der einzelnen Beiträge geht.

Und da macht ein Fünftelgrad tatsächlich einen drastischen Unterschied; auch das haben die Forscher um Schurer gezeigt. Rechnet man die zwei Grad im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts, bleibt den Menschen demnach seit dem Jahr 2011 ein Emissionsbudget von gut 300 Gigatonnen CO₂. Sollte das Ziel jedoch 0,2 Grad näher liegen, wären es volle 40 Prozent weniger.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2017
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