Süddeutsche Zeitung

Kivu-See:Zeitbombe unter Wasser

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Giftiges Gas aus der Tiefe des Kivu-Sees zwischen Ruanda und dem Kongo bedroht Hunderttausende Anwohner. Jetzt soll daraus Strom gewonnen werden.

Moritz Koch

Wenn der See zu brodeln beginnt, ist die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Ein giftiges Gemisch aus Methan und Kohlendioxid, das sich über Tausende Jahre in den Tiefen angestaut hat, bahnt sich dann seinen Weg an die Oberfläche. In meterhohen Fontänen peitscht es in die Luft und trägt den Tod ans Ufer. Hunderttausende Menschen sterben in den umliegenden Städten und Dörfern, weil die schweren Gase aus dem Wasser die Atemluft verdrängen.

Diese Katastrophe am Kivu-See zwischen Ruanda und dem Kongo ist bisher nur eine düstere Prognose. Doch die Gefahr ist real. Tief unter der Oberfläche sind etwa 250 Milliarden Kubikmeter Kohlendioxid und bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Methan im Wasser gelöst - und die Konzentration steigt. Wenn die Sättigungsgrenze des Wassers überschritten wird, droht das Gas emporzusteigen und das Leben an Land zu ersticken.

Der Kivu-See liegt auf knapp 1500 Metern Höhe und ist nahezu 500 Meter tief. Seine Oberfläche ist mit 2400 Quadratkilometern fast so groß wie das Saarland. Noch ist die Gaskonzentration zu gering, um von sich aus eine Katastrophe auszulösen. Frühestens in 100 Jahren wird das Wasser seine Sättigungsgrenze erreicht haben, schätzen Wissenschaftler.

Vulkan neben Gas-See - eine explosive Mischung

Dennoch besteht Grund zur Sorge. 15 Kilometer vom nördlichen Kivu-Ufer entfernt türmt sich der Nyiragongo-Vulkan auf. Seine jüngste Eruption liegt fünf Jahre zurück, und er bleibt aktiv. Ein heftiger Ausbruch könnte glühendes Gestein in den See schleudern und so den tödlichen Gasaustritt in Gang setzen. Auch eine Eruption aus kleineren Kratern, die erst kürzlich auf dem Grund des Sees entdeckt wurden, oder ein schweres Erdbeben könnten die Katastrophe auslösen.

Ruandas Regierung kennt die Gefahr. Dennoch betrachtet sie den Kivu-See eher als eine Schatzkammer denn als Zeitbombe. Das Methan aus der Tiefe will sie als Energiequelle nutzen, um die chronische Stromknappheit des Landes zu beenden.

Gleichzeitig dürfte eine wissenschaftlich kontrollierte Förderung das Risiko einer Gaseruption mindern. "Zwei der dringendsten Probleme des Landes könnten auf einen Schlag gelöst werden", sagt Klaus Tietze, ein deutscher Physiker, der den Kivu seit den siebziger Jahren erforscht. Er schätzt die Gasreserven auf einen Wert von etwa zehn Milliarden Euro.

Warum sich die Gase im See aufstauen, ist inzwischen weitgehend geklärt. Wissenschaftler nehmen an, dass Bakterien das Methan bilden. Das für die Energiegewinnung uninteressante Kohlendioxid wird durch vulkanische Aktivitäten frei. Beide Gase sammeln sich in tiefen Wasserschichten. Unter dem dort herrschenden Druck bindet das Wasser mehr Gas als an der Oberfläche. Je größer die Tiefe, desto mehr steigt die Gaskonzentration an. Nach oben gewirbeltes Wasser könnte daher bei einem Vulkanausbruch seine Fracht schlagartig freigeben.

Weltweit sind nur zwei Gewässer bekannt, in denen es vergleichbare Gasvorkommen gibt: der Monoun- und der Nyos-See, beide im westafrikanischen Kamerun. Als es 1986 im Nyos zu einem unerwarteten Gasausbruch kam, starben 1800 Menschen. Erst dann erkannten Wissenschaftler, welche Gefahren die Seen bargen.

Algen steigern die Gefahr

Der Kivu könnte sich als weit gefährlicher erweisen: Sein Volumen ist 3000 Mal so groß wie das des Nyos und er hält fast 1000 Mal so viel Gas in seinen Tiefen fest.

Das Ufer des Kivu-Sees ist dicht besiedelt, etwa zwei Millionen Menschen leben dort. Zudem liegt der See in einem Kessel. Das Kohlendioxid, das schwerer ist als Luft, könnte nur nach Süden abfließen, wo es dem Verlauf des Ruzizi-Flusses folgen und am Ufer des Tanganjika-Sees vermutlich Tausenden weiteren Menschen den Tod bringen würde.

Jüngsten Messungen zufolge steigt die Bedrohung sogar, weil sich die Gasproduktion am Grund des Sees in den vergangenen 30 Jahren stark beschleunigt hat, vor allem die des Methans. Der Schweizer Umweltwissenschaftler Martin Schmid erkennt darin den Einfluss des Menschen.

"Da die Bevölkerung im Umkreis des Sees rasant wächst, nimmt auch die Landwirtschaft zu", sagt er, "und mit ihr der Eintrag von Nährstoffen in den See." So nimmt das Algenwachstum zu, mehr tote Algen sinken auf den Grund des Sees und werden dort von Bakterien zersetzt. Dabei entsteht zusätzliches Methan.

Ruanda will nun den Bau mehrerer Kraftwerke am Kivu in Auftrag geben. Internationale Firmen stehen als Investoren bereit, angelockt von der Aussicht auf zweistellige Renditen und Garantien der Weltbank. Auch eine deutsche Firma will an der Bergung der Gasreserven mitverdienen. Die W+S Beteiligungsgesellschaft aus Dinslaken plant eine Investition von insgesamt 140 Millionen Dollar.

"Niemand weiß, wie der See reagieren wird"

Den technischen Sachverstand soll die Firma Deutsche Montan-Technologie liefern; Kivu-Experte Tietze bringt sein Wissen über den See ein. Der Plan der Deutschen sieht vor, ein Kraftwerk am Seeufer zu bauen. 1200 Meter lange Rohre sollen in die Tiefe führen und gashaltiges Wasser emporsaugen. Andere Investoren um das in Schottland registrierte Unternehmen Dane Associates wollen das Gas von einer Plattform im See fördern. Doch nach Vertragsstreitigkeiten mit der Regierung Ruandas liegt dieses Projekt auf Eis.

Trotzdem glaubt die Führung Ruandas, dass aus Gasvorkommen im Kivu-See ständig mindestens 200 Megawatt Strom gewonnen werden können. Das Verfahren für die Förderung ist einfach. Legt man ein Rohr in die tiefen Schichten, strömt das Wasser nach kurzem Anpumpen wegen des Druckunterschieds von selbst hinauf.

Der plötzliche Druckabfall bewirkt, dass das Gasgemisch wie in einer geschüttelten Sodaflasche aus dem Wasser heraussprudelt, sobald es die Oberfläche erreicht. Das wertvolle Methan muss dann nur noch vom Kohlendioxid getrennt werden. Um die Klimabelastung zu verringern, sehen die derzeitigen Planungen vor, das Treibhausgas CO2 zumindest teilweise zurück in den See zu pumpen.

Dass die Gasförderung prinzipiell funktioniert, ist längst bewiesen. Ein erstes kleines Gaskraftwerk am Kivu-Ufer versorgte fast 40 Jahre lang eine Brauerei mit Energie. Die Frage ist nur, ob das im großem Stil wiederholt werden kann. Längst nicht alle Sachverständigen sind optimistisch.

"Niemand weiß, wie der See auf den Eingriff reagieren wird", sagt Martin Doevenspeck, Geograph und Afrikaspezialist an der Universität Bayreuth. "Das Abpumpen des Gasgemischs und die anschließende Re-Injektion des abgeschiedenen CO2 könnte die Stabilität gefährden." Außerdem konterkariere die CO2-Rückführung die Pläne zur Entgasung des Sees. Klaus Tietze hält dem entgegen: "Es ist leicht, Kassandra zu spielen und schwer, die Gefahr fundiert einzuschätzen."

Fehler, Stürme - alles kann gefährlich werden

Doch auch er räumt ein: "Die Kraftwerksbetreiber müssen äußerst vorsichtig sein, dass sie nicht zu viel Gas in mittlere Tiefen zurückpumpen. Auch die Katastrophe im Nyos-See begann in 50 bis 100 Metern Tiefe. Eine ständige Überwachung des Sees ist daher unverzichtbar." Besondere Gefahren birgt nach Tietzes Meinung die Förderung von Plattformen aus. Schwere Stürme, die über den Kivu-See hinwegfegen, könnten die Stahlkonstruktion zum Kentern bringen. Würde der Koloss in die Tiefe sinken, könnte auch er einen Gasausbruch auslösen.

Neben technologischen Gefahren warnt Doevenspeck vor unkalkulierbaren politischen Risiken. Es drohe Streit mit dem Nachbarn Kongo wegen der Einnahmen aus der Gasgewinnung. Und, so fürchtet er, die derzeit relativ stabile Lage in Ruanda könnte sich auch jederzeit wieder ändern. Die Kraftwerke würde dann keiner mehr überwachen. Und niemand würde bemerken, falls sich in der Tiefe des Sees eine Katastrophe zusammenbraute.

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Quelle:
SZ vom 31.5.2007
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