Kindersterblichkeit:22.000 tote Kinder - jeden Tag

Dank medizinischer Hilfe und besserer Ausbildung von Mädchen und Frauen sterben weltweit zwar weniger Kinder als früher. Doch allein 2009 waren es noch immer 8,1 Millionen.

Werner Bartens

Die gute Nachricht zuerst: Im vergangenen Jahr sind weltweit 4,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren weniger gestorben als 1990. Die schlechte Nachricht: Immer noch sterben jeden Tag in dieser Altersgruppe etwa 22.000 Kinder.

Kongolesische Kinder bei der POLIO-Impfung

Impfung von kongolesischen Kindern. Etwa die Hälfte aller Todesopfer unter Kindern wird in nur fünf bevölkerungsreichen Ländern registriert: In Indien, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo sowie in Pakistan und China.

(Foto: AP)

Das sind zwar 12.000 weniger als vor 20 Jahren, aber auch 2009 ließen 8,1 Millionen Kinder ihr Leben, weil sie nicht genügend Nahrung, ausreichend sauberes Wasser oder primitive medizinische Hilfe bekamen.

1990 waren es noch 12,4 Millionen, 1970 sogar unfassbare 16 Millionen Kinder, die vor Vollendung des fünften Lebensjahres starben. Damals wie heute gilt, dass sich die Mehrzahl der Todesfälle mit vergleichsweise einfachen Mitteln vermeiden ließe. Etwa die Hälfte aller Todesopfer unter den Kindern wird in nur fünf bevölkerungsreichen Ländern registriert: In Indien, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo sowie in Pakistan und China.

Im Fachmagazin Lancet vom heutigen Freitag wird die positive Entwicklung in mehreren Studien nachgezeichnet. Die Autoren haben Umfragen und Volkszählungen aus 215 Ländern ausgewertet und verglichen.

Sie betonen die vielfältigen Erfolge, die in den vergangenen Jahren im Kampf gegen die Kindersterblichkeit zu verzeichnen sind, auch wenn Armut, Unterernährung und mangelnde medizinische Versorgung weiterhin ein großes Problem in den am schlimmsten betroffenen Ländern darstellen.

Schulung der Frauen wirkt sich positiv aus

Um noch mehr Kinder vor einem frühen Tod zu bewahren, sind allerdings nicht nur mehr Ärzte und Arzneimittel, Nahrung und sauberes Wasser nötig. "Impfkampagnen, Prävention und mehr Hygiene sind zwar wichtig, um die Gesundheit weltweit zu verbessern", sagt Emmanuela Gakidou von der University of Washington in Seattle, die eine der Untersuchungen geleitet hat. "Unsere Studien zeigen aber auch, dass sich gerade die Schulung und Ausbildung der Frauen und Mütter positiv auf die Gesundheit und das Überleben der Kinder ausgewirkt haben."

In Nordafrika und Ostasien ist die Kindersterblichkeit mit 68 beziehungsweise 58 Prozent weltweit am stärksten gesunken. Fast so erfolgreich waren Bangladesch, Eritrea, Laos, Madagaskar, Nepal und Osttimor, in denen die Kindersterblichkeit um etwa 60 Prozent sank.

Aber auch im besonders betroffenen Gebiet Afrikas südlich der Sahara gab es beachtliche Fortschritte. Hier erlebt zwar jedes achte Kind nicht seinen fünften Geburtstag - 129 von 1000 Kindern sterben. Doch immerhin liegen vier der zehn Länder, die ihre Kindersterblichkeit um mehr als die Hälfte senken konnten, in dieser Region.

Der Ausbildung von jungen Mädchen und Frauen schreiben Wissenschaftler eine besonders wichtige Rolle zu, um die Kindersterblichkeit zu verringern - dieser Faktor war in den Untersuchungen bedeutsamer als das Wirtschaftswachstum eines Landes.

Das Wissen um Verhütung und Familienplanung wächst mit längerer Schulbildung ebenso wie die Grundkenntnis über die medizinische Versorgung und die Pflege von Kleinkindern. Seit 1970 hat sich die durchschnittliche Dauer der Schulbildung von Frauen im gebärfähigen Alter in den Entwicklungsländern von 3,5 auf 7,1 Jahre verdoppelt und sich damit dem Bildungsstand der Männer angenähert, der bei durchschnittlich 8,3 Jahren liegt.

Kindersterblichkeit und Erwachsenenbildung

Es gibt aber auch 40 Länder - darunter Afghanistan, Pakistan und Nepal - in denen der Unterschied in der Länge der Ausbildung zwischen den Geschlechtern seit 1970 größer geworden ist.

Die ehrgeizigen Millennium-Entwicklungsziele der UN und anderer Organisationen, die im Jahr 2000 verabschiedet worden sind, besagen zwar, die Kindersterblichkeit von 1990 bis 2015 um zwei Drittel zu senken. Dieser Erfolg ist bisher aber nur in Regionen Nordafrikas zu verzeichnen.

"Es liegt vor allem an der Erwachsenenbildung", sagt John Cleland von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. "Sie hat einen enormen Einfluss auf die Kindersterblichkeit wie auch auf die Fortpflanzung. Werden nicht bald noch mehr Anstrengungen für die Bildung unternommen, könnten in einigen Ländern die Hoffnungen zunichte gemacht werden, endlich dem Teufelskreis aus Armut und Nahrungsmangel zu entkommen."

Die finanzielle Hilfe, um die Mütter- und Kindersterblichkeit zu senken, ist zwar stetig angestiegen und hat sich allein von 2003 bis 2008 auf 5,4 Milliarden US-Dollar jährlich verdoppelt. Sie stieg aber nicht stärker an als andere Gesundheitsausgaben für die 68 Entwicklungsländer, in denen die Not besonders groß ist und 97 Prozent der Fälle von Mütter- und Kindersterblichkeit zu beklagen sind.

Zu beanstanden ist den Autoren zufolge, dass manche Länder wie Dschibuti am Horn von Afrika oder Äquatorialguinea im Verhältnis mehr Unterstützung bekommen als deutlich ärmere Staaten mit einer höheren Kindersterblichkeit. Niger und die Republik Tschad gehören zu den Staaten, die besonders benachteiligt werden.

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