Keime in Badeseen:Sie warten schon auf Dich

Schwimmen in der freien Natur - das klingt romantisch, ist aber nicht ungefährlich. Denn Pilze und Bakterien lieben das Bad mit der Menge - besonders in Naturteichen. Wer reinspringt, landet oft im Krankenbett.

Ines Geier

Gero Beckmann schwimmt gern. Am liebsten im Meer oder in großen Seen. Um Teiche macht er allerdings einen Bogen. "Zu voll", sagt der Mikrobiologe. Beckmann ist Vizepräsident des Deutschen Verbands Unabhängiger Prüflaboratorien, und er weiß nur zu gut, dass er im Badeweiher nie allein ist. Sommer für Sommer wird ihm das erneut vor Augen geführt - wenn die Wasserproben aus Seen und Tümpeln in seinem Labor landen.

Badesee; dpa

Ab wann wird ein Badesee zum Gesundheitsrisiko? Verlässliche Studien fehlen

(Foto: Foto: dpa)

Unter dem Mikroskop sieht Beckmann dann Dinge, die ihm das Badevergnügen schnell verleiden: Ungezählte Mikroorganismen tummeln sich in den Gewässern. Nicht selten müssen Badefreunde daher den Sprung ins trübe Nass mit einer unangenehmen Erkrankung bezahlen. Und auch die gesetzlichen Grenzwerte bieten dem mikrobiellen Treiben kaum Einhalt - sie wurden in letzter Zeit eher noch gelockert.

Schon in einem Esslöffel Trinkwasser schwimmen bis zu 1000 Keime. Im Badesee gehen die mikrobiologischen Wasserspiele aber erst richtig los: Pilze, Parasiten und Bakterien, manche unbeweglich, manche aktiv, mal mit Geißeln und mal ohne, fühlen sich im Naturteich so wohl wie der Mensch.

Die Folgen zeigen sich in jeder Badesaison aufs Neue: Kratzen im Hals und gereizte Augen? Das könnten Cyanobakterien gewesen sein. Die Mikroorganismen, auch als Blaualgen bekannt, kommen häufig im Oberflächenwasser vor; im Sommer vermehren sie sich rasant. Ihre Giftstoffe können bei Kontakt nicht nur die Haut, sondern auch Magen und Leber angreifen.

Die Haut juckt und brennt wie verrückt? Zerkarien, kleine Larven von Saugwürmern, irren sich schon mal im Wirt und wählen statt Schnecken oder Wasservögeln den Menschen als neuen Ernährer. Vor allem in Teichen mit flachem Ufer können sich Schwimmer schnell infizieren, Hautkontakt reicht.

Fieber, Schwindel, Bauchkrämpfe und Durchfall? Womöglich Kryptosporidien. Die Parasiten zählen zu den Sporentierchen und sind mit den Erregern der Malaria verwandt. Sie sind äußerst widerstandsfähig und halten es lang in See und Uferschlamm aus.

Chronisch kranke oder geschwächte Menschen überleben eine Infektion mitunter nicht. Es gibt viele lästige oder gar gefährliche Krankheiten, die in und um freie Gewässer lauern. Im Sommer lassen nicht nur Eis und schlecht gegrilltes Fleisch die Zahl der Salmonelleninfektionen ansteigen: 57 Prozent aller beim Robert-Koch-Institut gemeldeten Fälle fielen im vergangenen Jahr in die Zeit zwischen Mai und August - und damit in die Badesaison.

Bakterielle Vaginosen, die zu Entzündungen der weiblichen Genitalien führen, häufen sich im Sommer ebenfalls. "In den warmen Monaten gibt es hier wesentlich mehr Fälle", sagt der Münchner Gynäkologe Georgios Georgarakis.

Sie warten schon auf Dich

Und auch Pilze lieben das Bad mit der Menge: Hans-Jürgen Tietz vom Institut für Pilzkrankheiten in Berlin denkt nicht mal im Traum an Badespaß im idyllischen Naturteich. "Je kleiner, desto ekliger", sagt Tietz, dessen Institut sich in den warmen Monaten häufig mit Pilzinfektionen beschäftigen muss.

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Der Mikrobiologe ist sich sicher: Die Leute holen sich die Pilze beim Baden. "Natürlich ist es schwierig, das eindeutig nachzuweisen, dennoch: Dass es in der Badesaison so viele Infektionen gibt, ist kein Zufall."

Immer wieder sind es die gleichen Krankheiten, die Tietz in dieser Zeit behandeln muss - allen voran der Pilz Candida albicans, der die Schleimhäute befällt. In ihm sieht der Mikrobiologe ein "Riesenproblem". Doch statt genauer hinzuschauen und die Wasserqualität von Badeseen noch intensiver zu kontrollieren, machen die Behörden genau das Gegenteil: In einer neuen, Ende März in Deutschland umgesetzten EU-Richtlinie zur Wasserqualität ist die Zahl der Mikroorganismen, nach denen regelmäßig in Badegewässern gefahndet werden muss, drastisch reduziert worden.

Salmonellen interessieren die Kontrolleure nicht mehr

Wurden zuvor 19 mikrobiologische und physikalischchemische Wasserwerte ermittelt, sind es jetzt nur noch zwei. Die Zahl der Salmonellen interessiert die Kontrolleure nun nicht mehr. Trübungen und pH-Wert, Schwermetalle und Tenside bleiben unbeachtet. Genauso wie die fäkalen Streptokokken, kugelförmige Bakterien, die unter anderem Übelkeit und Durchfall auslösen können.

Nicht mehr erfasst wird zudem der größte Teil der Gruppe gesamtcoliformer Bakterien, zu der beispielsweise das Darmbakterium Enterobacter gehört. Das kann beim Menschen Infektionen der Harn- und Atemwege hervorrufen. Auch auf Darmviren, sogenannte Enteroviren, wurden Badegewässer früher untersucht: In zehn Litern Seewasser durfte kein derartiger Erreger nachzuweisen sein.

Die neue Richtlinie verzichtet darauf - zu aufwendig und teuer waren die Tests, zu selten sind die Kontrolleure bei ihren Stichproben dem umherwandernden Erreger auf die Schliche gekommen. Was nicht bedeutet, dass er im Wasser nicht vorkommt. Stattdessen stürzen sich die Wasserwächter heute auf einen Mikroorganismus, der eigentlich gar kein Krankheitserreger ist: Escherichia coli. Das stäbchenförmige Bakterium ist Teil der normalen Darmflora von Mensch und Tier. Nur einige wenige Stämme, unter anderem die sogenannte EHEC-Variante des Bakteriums, können dem Menschen gefährlich werden und schwere, blutige Durchfälle mit Nierenschäden auslösen.

Die EU-Wasserkontrolleure interessieren sich nicht für diese Feinheiten, für sie ist die Menge an Escherichia-coli-Bakterien lediglich ein Indikator für die fäkale Verunreinigung des Wassers: Zu viele Darmbakterien gelten als Hinweis darauf, dass die Zahl anderer gefährlicher Krankheitserreger ebenfalls hoch sein könnte.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Stoff, der auf der neuen Fahndungsliste der Prüflabors steht: Enterokokken spielen eine wichtige Rolle im Verdauungssystem des Menschen. Im Badewasser können sie, besonders bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Infektionen auslösen - unter anderem im Harntrakt. "Insgesamt ist die Überwachung durch die neue Richtlinie effizienter geworden", meint Christiane Höller, Vorsitzende der Schwimm- und Badebeckenwasserkommission des Gesundheitsministeriums.

Einige der 19 Werte, die zuvor untersucht worden seien, hätten ohnehin mehr dem Umwelt- schutz als der Gesundheit gedient. Durch die Konzentration auf wenige Werte könnten nun Gesundheitsrisiken gezielter erkannt werden. Gleichzeitig lockert die neue Richtlinie aber auch die Ansprüche an eine optimale Wasserqualität: Die neuen Grenzwerte liegen teils deutlich über den Leitwerten der zuvor bestehenden Richtlinie - zumindest bei Badeseen. Lediglich im Meer sind die Grenzwerte verschärft worden. Demnach dürfen in Seen und Flüssen doppelt so viele Escherichia-coli-Bakterien und Enterokokken schwimmen als an der Küste.

Sie warten schon auf Dich

"Dafür gibt es keine wissenschaftliche Grundlage", beklagt Regine Szewzyk vom Umweltbundesamt in Berlin. "Aus hygienischer Sicht finde ich das bedauerlich, weil damit für die Badenden in Binnengewässern kein besserer Schutz erreicht wurde." Doch ab wann wird das Bad im See zum Gesundheitsrisiko? Wie viele Viren und Bakterien kann der Körper abwehren? Wann kollabiert das Immunsystem? Eindeutige Antworten gibt es nicht, verlässliche Studien fehlen noch immer. Dass ein genereller Zusammenhang zwischen fäkalen Erregern und entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen besteht, ist in den Augen der Weltgesundheitsorganisation WHO indes unbestritten.

Derzeit analysieren Forscher im Rahmen einer ersten europaweiten Studie in Ungarn und Spanien die Auswirkungen von belastetem Wasser auf die Badenden. Noch bis nächstes Jahr sollen die Vorgaben der Europäischen Kommission überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Neuer Erreger an der Ostsee

Dann könnte sich die Lage aber schon wieder geändert haben, denn in den vergangenen Jahren sind vermehrt neue Erreger auf den Plan getreten: In der Ostsee - und zuletzt auch an einigen Stränden der Nordsee - treibt seit Kurzem ein Bakterium namens Vibrio vulnificus sein Unwesen. An der Ostseeküste starb sogar ein Mensch, nachdem er sich beim Baden mit dem Erreger infiziert hatte. Wundinfektionen und Blutvergiftungen durch Vibrionen sind zwar selten, aber sehr gefährlich, besonders für Menschen mit chronischen Krankheiten und offenen Wunden. Vibrio vulnificus kommt natürlicherweise in Brack- und Meerwasser vor und profitiert von den steigenden Temperaturen: Ab 20 Grad Celsius fühlt es sich besonders wohl und vermehrt sich stark.

Anders im kleinen Badeweiher am Stadtrand: Dort sind es vor allem die Menschen, die das Wasser verunreinigen und sich so selbst in Gefahr bringen. Urin, Schweiß, Speichel, Hautschuppen und vieles mehr bringen Badende mit ins Wasser - aber nicht wieder hinaus. Harnstoff beispielsweise ist nicht nur im Urin enthalten, sondern wirkt auch als Feuchthaltesubstanz auf der Haut. Pro Bad lässt jeder Mensch im Schnitt 0,16 Gramm der nach Ammoniak riechenden Substanz im Wasser zurück; etwas weniger, wenn er zuvor gründlich duscht.

Gesundheitlich ist der Harnstoff der Mitbadenden zwar unbedenklich. Im Wasser wird er allerdings umgewandelt und von Plankton als Stickstoffquelle benutzt. Das wiederum fördert die Algenblüte - und so die Gefahr durch Cyanobakterien. Darüber hinaus lockt der Müll vieler Badegäste Ratten an - und Vögel, die nach Nahrung suchen; verendetes Federvieh, das im seichten Wasser treibt, ist an Seen keine Seltenheit. Hinzu kommen Fäkalien von Mensch und Tier. Gerade intensiv genutzte Seen stoßen so schnell an ihre natürlichen Grenzen. "Wenn sich das Wasser in Randzonen trübt, kommt man leicht auf zehn Millionen Keime pro Esslöffel", schätzt Gero Beckmann. In so einem Fall geht der Mikrobiologe garantiert nicht mehr schwimmen.

Informationen zur aktuellen Badewasser-Qualität:

Die Gesundheitsbehörden der Bundesländer sind dafür verantwortlich, dass in ihren Seen und Flüssen sicher und gefahrlos gebadet werden kann. Informationen über die Wasserqualität werden - teils fortlaufend aktualisiert, teils nur für das Vorjahr - während der Badesaison im Internet veröffentlicht. Eine Übersicht der jeweiligen Webseiten der einzelnen Bundesländer findet sich beim Bundesumweltministerium

Das Umweltbundesamt bietet darüber hinaus Informationen über Gesundheit und Risiken beim Baden in Seen, Flüssen sowie an den Küsten von Nord- und Ostsee.

Einen Rückblick auf die vergangene Badesaison erlaubt das Wasserinformationssystem WISE

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