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Karriere:Der steinige Weg zum Erfolg

Unsichere Arbeitsverhältnisse, Publikationsdruck und knappe Fördermittel gehören zum Alltag junger Wissenschaftler. Doch ein gutes Netzwerk hilft bei der beruflichen Entwicklung.

Von Carlos Collado Seidel

"Ich liebe die Wissenschaft durch und durch. Dennoch bereite ich mich gerade darauf vor, sie zu verlassen und in die Industrie zu gehen. Das liegt an den allzu widrigen Einschränkungen, die eine Wissenschaftskarriere für mein persönliches Leben mit sich brächte." Zu dieser ernüchternden Bilanz kommt der 29-jährige Schweizer Astrophysiker Vivien Bonvin, der als vielversprechender Nachwuchswissenschaftler an der 69. Lindauer Nobelpreisträgertagung teilnimmt. Damit steht er nicht allein. Wenn es um das Thema "Karriere in der Wissenschaft" geht, sprechen die meisten der nach Lindau eingeladenen jungen Wissenschaftler von ihren Sorgen, ihren Zweifeln und den Schwierigkeiten, im Wissenschaftsbetrieb dauerhaft Fuß zu fassen. Die Leidenschaft für die Wissenschaft tritt dann in den Hintergrund.

Dabei geht es nicht vorrangig um die hohe Aufopferungsbereitschaft, die jungen Wissenschaftlern abverlangt wird oder um den permanenten Druck, dem sie ausgesetzt sind. Eher darum, dass sich die Leistung bemisst an der Anzahl der Veröffentlichungen in möglichst renommierten Fachzeitschriften sowie am Prestige der Einrichtungen, in denen man forscht.

Außerdem ist eine Wissenschaftskarriere angesichts der im Vergleich zur Zahl junger Forscher nur wenigen sicheren Stellen mit großer Ungewissheit verbunden. Das belastet über die vielen Jahre, in denen die Hoffnung lebt, es einmal zu schaffen. Der Gedanke, in die Privatwirtschaft zu gehen, treibt alle um. Auch des Geldes wegen. Hinzu kommt, dass Mobilität unerlässlich ist, wenn man vorankommen möchte. Und dass sie angesichts von zeitlich befristeten Verträgen nicht zu vermeiden ist. Ohne mindestens einen längeren Aufenthalt in den USA steht hinter einer Wissenschaftskarriere in Deutschland ein Fragezeichen.

Wissenschaftsbetrieb und Familie - das ist für junge Frauen schwer vereinbar

Jana Lasser, die am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation promoviert hat und ebenfalls in Lindau zu Gast ist, findet klare Worte: "Ich finde, dass der bestehende Wissenschaftsbetrieb nicht mit der menschlichen Biologie vereinbar ist." Eine Wissenschaftskarriere biete nicht zuletzt keinen Raum für Familienplanung. Beide Ziele fallen in den gleichen Lebensabschnitt.

Für Jana Lasser wie auch für Leïla Haegel, die als promovierte Physikerin über Gravitationswellen forscht, steht außer Frage, dass Unsicherheit und Mobilität wichtige Gründe für den geringen Anteil von Frauen in der Spitzenforschung sind. Legt man den Anteil von Frauen an den vergebenen Nobelpreisen in den Bereichen Chemie, Physik und Medizin zugrunde, muss man dem beipflichten. Unter 607 bisherigen Nobelpreisträgern befinden sich nur neunzehn Wissenschaftlerinnen.

Angesichts dieser schwierigen Ausgangssituation ist kaum verwunderlich, dass in der Wissenschaft ein harter Konkurrenzkampf besteht. Im Ringen um die begehrten Fördermittel geht es um Mainstreamforschung und um Zwänge des Wissenschaftsbetriebs, die auch vielversprechenden Ideen keinen Raum lassen. Vielmehr ist Anpassungsfähigkeit gefragt. "Als Masterstudent stehe ich am Anfang meines Lebens als Wissenschaftler und sehe, genauso wie viele meiner Mitstudierenden, viele negative Seiten der Forschung sowie die in einer Wissenschaftskarriere offenbar zwangsweise zu erbringenden Opfer. Kurz gesagt, habe ich oft das Gefühl, dass bei vielen Wissenschaftlern die Freude am Forschen mehr und mehr überlagert wird durch den Druck, innerhalb eines von Konkurrenz geprägten Umfelds zu überleben. Meiner Ansicht nach widerspricht das den eigentlichen Zielen der Wissenschaft", so Borislav Polovnikov, der an der LMU München Statistische Physik studiert.

Ins gleiche Horn stößt Artem Volosniev, Quantenphyiker aus der Ukraine, der zurzeit an der TU Darmstadt arbeitet und sich aber entschlossen hat, den Weg der Wissenschaft weiter zu beschreiten. "Ich habe viele gesehen, die nach dem Abschluss gegangen sind. Ich habe gesehen, wie sie frustriert und von der Wissenschaft enttäuscht waren". Auch ihn quälten immer wieder Zweifel. Hinzu kommt bei vielen das weit verbreitete Gefühl, dass eine Abkehr von der Wissenschaft einem persönlichen Scheitern gleichkommt. Der Wissenschaftsbetrieb ist brutal.

Es fehlt eine Ausbildung in Karriereplanung, angeleitet von Experten

So ist strategisches Karrieredenken einer der wichtigsten Schlüssel zum Erfolg. Dazu zählt an erster Stelle, einem einflussreichen Netzwerk anzugehören, dessen Mitglieder sich gegenüber der Konkurrenz gegenseitig bestärken und fördern. Der Erfolg von "Networking" spiegelt sich sogar in der Vergabe von Nobelpreisen. Hierin sind US-Wissenschaftler besonders erfolgreich, was sich in der weitaus häufigeren Auszeichnung von Amerikanern niederschlägt. So stellte vor einigen Jahren der langjährige Präsident und jetzige Ehrenpräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, in einem Zeitungsinterview nüchtern fest: "Die Top-Forschungseinrichtungen stimmen sich dort darüber ab, wen sie vorschlagen wollen." Auch ehemalige Laureaten würden aktiviert, um bestimmte Kandidaten durchzusetzen. Eine Hand wasche die andere. "Die USA sind keineswegs besser, sie verkaufen sich nur besser."

Strategisches Karrieredenken ist entscheidend. So sieht das auch Maria Żurek, die als Nuklearwissenschaftlerin am Berkeley Lab die Eigenschaften von Protonen erforscht, und die in Sachen Karriereplanung bei den meisten jungen Wissenschaftlern ein Defizit erkennt: "Jeder in der Forschung tätige Postdoc hat Tausende Trainingsstunden im eigenen Forschungsfeld hinter sich, bei der Durchführung von Versuchen und Simulationen, beim Verfassen von Publikationen, beim Kodieren von Daten. Doch wie viele Stunden Karrieretraining hatten wir?" Żurek fordert "eine tatsächliche Ausbildung in der Karriereentwicklung - personalisiert, inklusiv, an der Praxis orientiert, gut organisiert und angeleitet von Experten". Es müsse sich um erfahrene Wissenschaftler handeln, die den Nachwuchs einer gezielten Karriereplanung unterstützend anleiten und beraten. Dies geschehe viel zu wenig.

Der Nutzen solcher wohlmeinenden Karriereplanungen wäre aber wohl nur begrenzt angesichts der bestehenden Logik des Wissenschaftssystems und der häufig beklagten fehlenden Transparenz in den Verfahren zur Vergabe von Stellen.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2019
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