Legendärer Frankenkaiser:"Karl der Große dachte nur an sein eigenes Reich"

Missionierung durch Karl den Großen

Sein Kampf gegen die Sachsen gilt als erster Missionskrieg. Auf Geheiß von Karl dem Großen zerstörten die Franken deren Heiligtum, die Irminsul oder Irminsäule. (Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.)

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Kaiser Karl, der später zum Großen verherrlicht wurde, gilt manchen als "Vater Europas". Doch war er nun ein Deutscher oder ein Franzose? Ein Heiliger oder ein missionarischer Massenmörder? Fragen an den Historiker Matthias Becher.

Von Oliver Das Gupta

Der fränkische Kaiser Karl wurde erst von seinen Nachfolgern zum "Großen" verklärt. Seine wahre Rolle als "Vater Europas" ist nicht so eindeutig, wie manche meinen. Wer war dieser Mann wirklich? Fragen an Matthias Becher, Historiker am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn.

SZ.de: Heute vor 1200 Jahren starb Karl der Große. In einem Satz: Wer war dieser Mann wirklich?

Matthias Becher: Ein Frankenkönig, der über ein großes Reich in der Mitte Europas herrschte, das - auch dank zahlreicher Eroberungen - von den Pyrenäen bis ins heutige Ungarn und von Mittelitalien bis an die Nordsee und den Ärmelkanal reichte.

Karl wird auch als Stammvater Europas bezeichnet. Wird ihm das gerecht?

Er hatte natürlich keinen Europa-Gedanken im heutigen Sinne. Das Europa der sechs Gründungsländer kommt in etwa dem Kern von Karls Reich nahe. Immerhin wird er in einer zeitgenössischen Quelle als Vater Europas bezeichnet - aber eben nur in einer und ausschließlich, um den König zu verherrlichen.

Welche Weichen hat Karl der Große vor 1200 Jahren gestellt, die noch die Gegenwart betreffen?

Da sind wohl vor allem Karls Bildungsreformen zu nennen, die den Grundstein für die weitere Entwicklung der Gelehrsamkeit gelegt haben. Karl knüpfte dabei an die Antike an.

Inwiefern?

Der hohe Bildungsstand geht nach Beginn der Völkerwanderung und mit dem Untergang des Weströmischen Reiches gegen 500 nach Christus immer weiter zurück. Eine allmähliche Barbarisierung setzte ein. Karl der Große stoppte den Abwärtstrend. Seitdem er Italien beherrschte, setzte er auf die Bildung.

Wie ging er vor?

Er holte sich Gelehrte aus Italien, Spanien und Britannien. Sie bildeten seinen Beraterstab, der an seinem Hof wirkte und mit denen er seine Bildungspolitik konzipierte.

Wie wichtig war Karl Religion?

Teil seiner Bildungsreform war die einheitliche Ausübung der Liturgie. Dafür waren lateinische Grundkenntnisse vonnöten, über die damals viele Priester nicht verfügten. An die Liturgiefrage schloss sich bei Karl dann vieles andere an. Religion spielte auch bei Karls Feldzügen eine Rolle. Sein blutiger Feldzug gegen die damals noch nichtchristlichen Sachsen gilt als erster Missionskrieg überhaupt. Karl setzt die Religion als Hilfsmittel zur dauerhaften Unterwerfung der Sachsen sein.

Die Kirche dankte es ihm, indem sie ihn posthum heiligsprach.

Wobei die Heiligsprechung von einem kaiserlichen Gegenpapst vorgenommen wurde, den Friedrich Barbarossa eingesetzt hatte.

Verwandlung in eine mythische Gründungsgestalt

Warum tat Barbarossa das?

Mit diesem Schritt wurde die historische Gestalt Karls noch bedeutsamer. So sollte Karl zur mythischen Gründergestalt des Heiligen Römischen Reichs werden. Durch den Heiligen Karl wurde es sakralisiert.

War der echte Karl gar kein Großer, sondern ein Vergrößerter?

Tatsächlich war Karl nicht nur ein Machtmensch und Eroberer. In seinen späteren Lebensjahren hat er sich weiterentwickelt und war an Kultur, Bildungsfragen sowie Religion interessiert. Am Ende seines Lebens verfügte er über einen vergleichsweise großen Horizont.

Warum hat die Kirche zu Karls Lebzeiten nicht gestört, dass er sich einen Harem gehalten hat?

Für die Angehörigen der damaligen Oberschicht war es gang und gäbe, neben einer Ehefrau weitere Geliebte zu haben - Harem ist aber vielleicht doch das falsche Wort. Während Karl lebte, ist keinerlei Kritik des Papstes oder eines anderen Geistlichen überliefert, wohl aber kurz nach seinem Ableben: In einer Jenseits-Vision sieht ein Mönch des Klosters Reichenau von der gleichnamigen Insel im Bodensee Karl büßen für seine sexuellen Ausschweifungen.

Das kann allerdings auch daran liegen, dass Karls Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme den Lebenswandel seines Vaters ablehnte.

Deutsche und französische Historiker versuchten im 19. Jahrhundert, Karl für ihr Land zu vereinnahmen. Was war er denn nun: Deutscher oder Franzose?

Die Antwort kann nur lauten: Er war ein Franke. Karl dachte nur an sein eigenes Reich, das er durch Eroberungen vergrößern und durch seine Gesetzgebung reformieren wollte.

Von Matthias Becher stammt die Biografie "Karl der Große" im Verlag C.H.Beck.

Zur SZ-Startseite
"Die Hermannsschlacht", 1922 Germanen Stummfilm

Geschichte des Bieres
:Wie die Germanen zu Biertrinkern wurden

Biochemiker Franz Meußdoerffer schildert, wie Gerstensaft die Menschen seit Jahrtausenden begleitet - und was Münchner Bier mit Industriespionage zu tun hat.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: