Kampfstoffe bei Tieren:Abwehr mit fremden Biowaffen

Manche Insekten, Frösche, Schlangen, Tintenfische und Nacktschnecken machen sich die Kampfstoffe anderer Organismen zu eigen, etwa indem sie Pflanzengifte in ihre Haut einlagern oder geraubte Nesselkapseln einsetzen. Nun haben Wissenschaftler auch ein kleines Säugetier als Kleptochemiker entlarvt.

Lennart Pyritz

Sie bewegt sich langsam, wirkt harmlos und scheint auf den ersten Blick ein einfacher Happen für Schakale und Wildhunde zu sein. Warum sich die hasengroße Mähnenratte (Lophiomys imhausi) ihr schwerfälliges Verhalten erlauben kann, lag lange Zeit im Dunkeln.

Mähnenratte

Zoologen aus Großbritannien, Kenia und den USA haben herausgefunden, wieso die Mähnenratte keine leichte Beute für Raubtiere ist.

(Foto: picture alliance / dpa)

Erst vor wenigen Wochen brachten Zoologen aus Großbritannien, Kenia und den USA Licht in die Angelegenheit. Nicht scharfe Zähne, kräftige Krallen oder rasche Flucht bewahren die Tiere vor Fressfeinden, ihr flauschig erscheinendes, grau-braunes Fell macht den Unterschied. Denn die Tiere präparieren es auf eine einmalige Weise: Sie kauen die Wurzeln und Rinde des Pfeilspitzen-Schöngifts (Acokanthera schimperi).

Die Bäume enthalten giftige Substanzen, die lebensgefährliche Herz-Rhythmus-Störungen bewirken können. Den mit Speichel vermengten Pflanzensud lecken die Ratten anschließend auf ihre Flanken, wo zylinderartige Haare das Gift wie Dochte aufsaugen.

Eine Reihe von Tieren, darunter Insekten, Frösche, Schlangen, Tintenfische und Nacktschnecken, rüstet die körpereigene Abwehr mit fremden Waffen auf. Sie lagern Gifte in der Haut ein, züchten tödliche Bakterien in ihren Speicheldrüsen oder schlucken Nesselkapseln ihrer Beute und schleudern sie Angreifern entgegen. Dass auch Säugetiere Kampfgerät aus zweiter Hand einsetzen, war bislang weitgehend unbekannt - den Menschen einmal ausgenommen.

Wenn ein Feind zu nah kommt, pumpen sich die Ratten regelrecht auf und präsentieren - ähnlich einem Stinktier - schwarz-weiß gemusterte Fellbereiche an den Flanken, wo die Gifthaare sitzen", sagt Fritz Vollrath, Zoologe an der Oxford University und Leiter der Studie. Beißt ein Angreifer trotz dieser optischen Warnung zu, ergeht es ihm übel.

"Es gibt Berichte über Haushunde, die eine Ratte gebissen haben und danach wochenlang schwer gezeichnet waren oder sogar starben", sagt Vollrath. Die von Sudan bis Tansania verbreitete Mähnenratte passe auch ins Beutespektrum von Wildhunden, Löwen, Schakalen und Geparden. "Allerdings wurden im Kot der Raubtiere noch nie Haare von Mähnenratten nachgewiesen - sie scheinen sie zu meiden."

Die Ratten überleben den Angriff eines naiven Angreifers normalerweise, weil die meisten Raubtiere bei einer unbekannten Beute erst mal nur einen Probebiss machen. So lernen sie, dass die Tiere ungenießbar sind und starten keinen zweiten Versuch. Der Mähnenratte helfen zusätzlich dicke Haut, starke Wirbel und ein stabiler Schädel, den ersten Angriff zu überstehen. "Die sind nicht so zerbrechlich", sagt Vollrath.

Wie sich die Verteidigungsstrategie im Laufe der Evolution entwickelt hat, ist unklar. "Ich würde vermuten, dass der erste Schritt ein Ausspucken von Nahrung aus den Backentaschen war, wie es häufig vorkommt, wenn ein Tier flüchtet oder sich wehrt", sagt der Zoologe.

Eine vergleichbare Strategie wurde bisher nur einmal für Säugetiere beschrieben. Ende der 1970er Jahre berichtete ein amerikanischer Biologe im Fachmagazin Nature, dass Igel zuweilen die übelschmeckenden Sekrete von Kröten auflecken und über ihre Stacheln verteilen. Wie oft das vorkommt, sei allerdings unklar, sagt Vollrath. "Um es systematisch zu testen, müsste man an jedem Igel lecken, den man trifft." Wahrscheinlich hätten insgesamt nur wenige Säuger eine Abwehr mit fremden Giften entwickelt, weil der Schutz des eigenen Körpers vor den giftigen Substanzen, seine Immunität, sehr kostspielig sei.

"Ein Kratzer, und du bist tot"

Vielfältiger und genauer untersucht sind die Aufrüstungsstrategien einer Gruppe von Meeresbewohnern: den Hinterkiemerschnecken. Zwar haben die oft bunt gemusterten Tiere ihre Schale im Lauf der Evolution verloren. Dafür haben sie andere effektive Wege gefunden, sich zu schützen. "Bei Meeresschnecken sind zwei Strategien bekannt: Giftige Chemikalien oder Nesselkapseln aus Beutetieren aufnehmen und im eigenen Körper einlagern", sagt Heike Wägele von der Universität Bonn und Wissenschaftlerin am dortigen Forschungsmuseum Koenig.

Kampfstoffe bei Tieren: Sie erinnert an einen farbenfrohen Fransenteppich: Die Schnecke Flabellina iodinea lebt im Pazifik vor der nordamerikanischen Küste. Die Nesselkapseln, die sie mit ihrer Beute aufnimmt, lagert sie in den Enden ihrer Mitteldarmdrüse. Wer sie berührt, dem ergeht es schlecht.

Sie erinnert an einen farbenfrohen Fransenteppich: Die Schnecke Flabellina iodinea lebt im Pazifik vor der nordamerikanischen Küste. Die Nesselkapseln, die sie mit ihrer Beute aufnimmt, lagert sie in den Enden ihrer Mitteldarmdrüse. Wer sie berührt, dem ergeht es schlecht.

(Foto: Magnus Kjærgaard)

Bäumchenschnecken beispielsweise ernähren sich von giftigen Nesseltieren. Mit ihrer Beute nehmen sie chemische Substanzen auf, die sie zur eigenen Verteidigung nutzen. "Man nennt diese Arten Kleptochemiker, weil sie Giftstoffe von anderen Organismen stehlen", sagt Wägele.

Auch Sternschnecken lagern giftige Chemikalien ihrer Beute in ihren farbigen Randstreifen ein. "Werden sie angegriffen, ziehen sie Kiemen und Fühler ein, so dass der Räuber nur in die giftige Flanke beißen kann." Eine weitere Gruppe von Kleptochemikern nennen die Forscher Staubsaugerschnecken. "Weil ihr Mundbereich, mit dem sie den Boden abgrasen, sehr ausladend ist", sagt Wägele.

Die chemische Abwehr entstand aus einer Entsorgungstaktik, vermutet die Forscherin. Demnach haben die Schnecken das Gift zunächst einfach ausgeschieden oder möglichst weit in die Peripherie des Körpers transportiert. Mit der Zeit habe sich dann herausgestellt, dass die Chemikalien einen Vorteil bieten, wenn es darum geht, nicht gefressen zu werden.

Andere Hinterkiemer wie die Fadenschnecken ernähren sich von Nessel-Polypen. Diese Organismen leben meist festsitzend am Meeresgrund und verteidigen sich mit Nesselkapseln in spezialisierten Zellen, die bei Berührung - vergleichbar einer Mini-Harpune - mit Dornen die Haut des Angreifers durchdringen und einen Nesselfaden mit Gift injizieren. "Vermutlich verbrennen sich die Schnecken ordentlich die Schnauze, wenn sie die Polypen fressen", sagt Wägele, die derzeit untersucht, wie die Schnecken die Nesselkapseln im eigenen Körper weiter verwerten.

"Wir glauben allerdings, dass es Nesselkapseln in unterschiedlichen Stadien gibt. Die physiologisch Reifen explodieren, wenn die Schnecke sie berührt. Die Unreifen hingegen nehmen die Schnecken in sich auf und lagern sie im Körper ein. Diese Nesselkapseln werden erst bei Bedarf vom Organismus der Schnecke chemisch scharf gemacht."

Einige Tiere denken bei der Aufrüstung mit fremdem Gift nicht nur an sich selbst, sondern auch an ihren Nachwuchs. "Blaugeringelte Kraken halten sich Bakterien in den Speicheldrüsen. Die Bakterien produzieren das Nervengift Tetrodotoxin, das beim Menschen innerhalb weniger Stunden zu tödlichen Muskellähmungen führen kann", sagt Wägele. Auch die Eier der Tiere enthalten bereits Tetrodotoxin wie eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie von Biologen der New Mexico State University zeigt. Die Krakenmütter versorgen demnach ihre Nachkommen mit dem Abwehrstoff.

Die asiatische Tigernatter (Rhabdophis tigrinus) kümmert sich ähnlich verantwortungsbewusst um ihren Nachwuchs. Ausgewachsene Tiere fressen unter anderem Kröten, die toxische Sekrete bilden. Das mit den Kröten aufgenommene Gift speichern Tigernattern in speziellen Nackendrüsen. Pflanzen sie sich fort, geben die Weibchen das Krötengift an ihre Jungen weiter. Schon unmittelbar nach dem Schlüpfen im Spätsommer sind die kleinen Schlangen chemisch geschützt. Das mütterliche Gift reicht bis zum massenhaften Auftreten von Kröten im darauffolgenden Frühjahr, in dem die Nachkommen selbst auf Krötenjagd gehen und so den Giftvorrat auffrischen.

Spitzenreiter in puncto Aufrüstung bleibt indes der Mensch, der es geschafft hat, aus Komponenten seiner Umwelt Massenvernichtungswaffen zu bauen. Doch es müssen nicht immer Panzer, Tarnkappenbomber und Schnellfeuerwaffen sein - bisweilen bedient sich auch der Mensch desselben Mittels wie die Mähnenratte.

"Das Gift, das die Ratte nutzt, ist vergleichbar mit Curare, das Jäger in Südamerika einsetzen", sagt Vollrath. Auch in Afrika werde es seit Jahrhunderten zur Elefantenjagd eingesetzt. " Jäger streichen das Pflanzengift auf die Spitzen ihrer Pfeile und wickeln Läppchen darum, damit es frisch bleibt - und damit sie sich nicht selbst vergiften. Dann schießen sie den Elefanten in das weiche Gewebe am Bauch. Die Tiere laufen nach einem Treffer ein paar Kilometer - dann fallen sie um."

Bei politischen Unruhen in Kenia im Jahr 2008 hätten die Leute sogar mit vergifteten Pfeilen aufeinander geschossen, sagt Vollrath. "Man denkt: Das sind ja nur Pfeile. Doch das ist kein Spaß. Ein Kratzer, und du bist tot."

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