Kampf gegen Tierversuchslabor:Die Angst vor Schweinen

Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim will in Hannover ein Forschungslabor bauen. Nicht nur Tierschützer wollen das verhindern - sondern auch die wohlhabenden Anwohner.

Kristina Läsker

Captain Chamäleon ist eine Art Hobby-Besetzer. Noch vor kurzem hat der 28-Jährige im Kelsterbacher Wald in Hessen campiert, um gegen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens zu protestieren. Dann hat der Erzieher mit dem Ziegenbart und dem dreieckigen Hut seinen Rucksack gepackt und ist weitergezogen zur heißesten Besetzerszene der Republik: nach Hannover.

Kampf gegen Tierversuchslabor: Camp gegen das Forschungslabor: Tierschützer wollen die Tierversuchsanlage im Hannoveraner Stadtteil Kirchrode verhindern - unterstützt werden sie von den Anwohnern.

Camp gegen das Forschungslabor: Tierschützer wollen die Tierversuchsanlage im Hannoveraner Stadtteil Kirchrode verhindern - unterstützt werden sie von den Anwohnern.

(Foto: Foto: dpa)

Anfang Juli haben dort etwa 30 Gleichgesinnte aus ganz Deutschland ihre Zelte im Stadtteil Kirchrode aufgeschlagen, um gegen den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim zu demonstrieren. Seit knapp einem Monat campieren sie illegal in einer ehemaligen Gartenkolonie und haben sich mit Zelten, Sperrmüllsofas und einem Baumhaus in einer 200 Jahre alten Eiche für längere Zeit eingerichtet.

Die Besetzer treibt der Zorn. Darüber, dass Deutschlands zweitgrößter Arzneimittelhersteller auf dem verwucherten Gelände für 35 bis 40 Millionen Euro ein Tierimpfstoffzentrum bauen will. Bis zu tausend Schweine will Boehringer hier von 2011 an auf einer Fläche von drei Hektar einquartieren und neue Impfstoffe an ihnen testen.

"Solche Tierversuche sind grausam, und sie fördern die Massentierhaltung", sagt Besetzerin Tanja Meier. Aus Protest hat die 20-jährige Abiturientin mit dem blonden Pferdeschwanz ihr Bett im Elternhaus gegen einen Schlafsack unter der Eiche eingetauscht. "Wir werden das hier durchziehen, bis wir geräumt werden", sagt sie.

Wütende Nachbarn

Langsam eskaliert die Lage. Unbekannte haben über Nacht mit roter Farbe das Wort "Tiermörder" ans Haus von Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil geschmiert. Grund genug für die Polizei, am Dienstag das Gelände zu durchsuchen und die Namen der Besetzer aufzunehmen.

Doch nicht nur die Aktivisten, auch die Nachbarn sind wütend: Als Ulrich Pitkamin, Deutschland-Chef von Boehringer, im Herbst 2007 gemeinsam mit Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff das Schweine-Labor ankündigte, ging ein Aufschrei durch Kirchrode.

Kurz danach gründeten die Betroffenen eine Bürgerinitiative, die heftig gegen Boehringer kämpft. Jeden Mittwoch trifft sich der harte Kern seither in der Alten Hahnenburg, einem Gasthof ein paar hundert Meter vom Baugelände entfernt. Die meisten sind Anwohner, häufig diskutieren und planen sie im dunklen Hinterzimmer bei Kaffee und Bier.

Viele sind Akademiker im Ruhestand, ein Ex-Vorstand ist dabei, ein ehemaliger Theaterintendant, einige Anwälte, eine Lehrerin. Sie können es nicht fassen, dass Boehringer um die Ecke ein Tierversuchslabor hochziehen will. Zumal Kirchrode nicht irgendein Stadtteil ist. Hier wohnen die Wohlhabenden, hier wollen sie keine Schweine als Nachbarn.

Anders als die jungen Besetzer ärgern sich die Alten in der Hahnenburg weniger über die geplanten Experimente an Tieren. "Ich bin 83, und ohne Medikamente und Tierversuche wäre ich nie so alt geworden", sagt Rolf Klein. Der pensionierte Architekt fürchtet sich eher vor dem Schweinemief und davor, dass aus den Laboren gefährliche Krankheitserreger entkommen könnten. "Ein Labor ist ein Abenteuer mit lauter Unbekannten."

Versuche mit erweitertem Risiko

Laut Boehringer ist solch ein Virenaustritt aber gar nicht möglich. "Die Anlagen werden mit Filtern abgeriegelt", sagt Projektleiter Friedolin Nöker. Boehringer wolle im Forschungszentrum zwar mit genveränderten Krankheitserregern experimentieren, doch diese Versuche konzentrierten sich auf die "Gefahrenklasse 2", sagt Nöker. Also auf Mikroorganismen, von denen keine Gefahr für Menschen ausgehe.

Solche Versuche würden bereits in der benachbarten Tierärztlichen Hochschule (Tiho) durchgeführt. Die Nähe zur Tiho - sie gilt als Eliteschule für deutsche Tierärzte - führt Boehringer als Grund für die Standortwahl an. Was die Bürger beunruhigt: In den letzten Bürger-Veranstaltungen hat Boehringer eingeräumt, dass künftig auch Experimente der Gefahrenklasse 3 möglich seien, also Versuche mit etwas erweitertem Risiko für Mensch und Umwelt.

Nur scheibchenweise gibt der Pharmakonzern seine Informationen heraus, denn er befürchtet, dass die Ansiedlung misslingen könnte. Es wäre schon das zweite Mal: 2005 hatte der Konzern die Schweine-Anlage in Tübingen errichten wollen, und war am Widerstand der Bewohner gescheitert.

Auch die Hannoveraner wollen das Labor vereiteln: 7000 der 10.000 Anwohner haben laut Bürgerinitative schon per Unterschrift gegen Boehringer gestimmt. Doch die Politiker im Rat der Stadt ficht das kaum an. Bis auf die Linken und die Wählergemeinschaft Wir für Hannover befürworten alle Parteien das Tierimpfstoffzentrum und wollen bei der entscheidenden Ratssitzung im September für Boehringer votieren.

Vegane Hilfe

Auch SPD-Oberbürgermeister Weil stellt sich hinter den Konzern. Der Grund: Wie der CDU-Politiker Wulff will er Hannover als Standort für Forschung und Lehre profilieren.

Die Besetzer fühlen sich allein gelassen. Neulich sei eine Vertreterin der Grünen da gewesen, erzählt Tanja Meier. "Die hat uns bloß ermahnt, mit der alten Eiche gut umzugehen." Einen Sieg haben Captain Chamäleon & Co. schon errungen: Bisher hat Boehringer das Gelände nicht räumen lassen, die anfangs aufmarschierten Hunde- und Pferdestaffeln der Polizei sind wieder abgezogen.

Während die Aktivisten auf dem Gelände über Tierversuche informieren, bereiten die Anwohner in der Hahnenburg eine Klage vor, falls der Rat das Bauvorhaben erlaubt. Bis dahin helfen sich alle gegenseitig: Rentner Rolf Klein und seine Mitstreiter radeln täglich zum Gelände und versorgen die Besetzer mit Wasser, Sojamilch und Zucchini aus dem Garten. Alles vegan selbstverständlich.

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