Kampf gegen die Erderwärmung:Kernkraft zur Klimarettung

Die Internationale Energieagentur IEA schlägt vor, pro Jahr 30 Kernkraftwerke zu bauen, um den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 zu halbieren. Andere Experten halten die Idee für unrealistisch.

Christopher Schrader

Bis zum Jahr 2050 könnte sich der Anteil der Atomenergie am weltweit produzierten Strom von heute einem Siebtel auf ein Viertel erhöhen, sagt die Internationale Energieagentur (IEA).

Atomtechnikkonzern EDF droht 'blackout'

Kernenergie ist der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge eine Schlüsseltechnologie im Kampf gegen den Klimawandel.

(Foto: dpa)

In absoluten Zahlen würden Reaktoren 3,5-mal so viel Elektrizität liefern wie heute, deren Verbrauch zudem stark anstiege. Jedes Jahr müssten 20 bis 30 neue Kernkraftwerke ans Netz gehen; die nötigen Investitionen würden fast vier Billionen Dollar mit der Kaufkraft von 2008 betragen.

Die Zahlen stammen aus einem Plan, den IEA und die für Nukleartechnik zuständigen Unterorganisation der OECD, einer Organisation der Industriestaaten, am Mittwoch in Paris vorgestellt hat.

Die Autoren der Studie verstehen den forcierten Ausbau der Kernkraft als Beitrag zum Klimaschutz mit dem Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid bis 2050 zu halbieren.

"Kernenergie ist eine der Schlüsseltechnologien, die zum Umbau der Stromversorgung bis 2050 beitragen können", sagt IEA-Direktor Nobuo Tanaka. Die als "Roadmap", also Straßenkarte, ausgewiesene Studie ist eine von 19 ähnlichen Untersuchungen über Energietechnik, die die IEA vorlegen möchte.

Das Dokument gibt Regierungen und Industrie Hinweise, welche Weichen sie stellen sollen, damit der Anteil von Atomstrom 2050 gut 24 Prozent beträgt (die erneuerbaren Energien sollen dann 45 Prozent ausmachen). Die IEA hält es sogar für realistisch, durch einen noch stärkeren Ausbau der Reaktoren zur Mitte dieses Jahrhunderts jeweils 38 Prozent der Elektrizität aus Kernenergie und Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie Biomasse zu gewinnen.

Doch schon die Grundannahmen für das 24-Prozent-Kernkraft-Szenario erscheinen als unrealistisch, weil andere Experten zumindest für die kommenden 20 Jahre keinen Höhenflug der Atomtechnik erwarten.

Die Wirtschaftsberater der Firma Prognos haben im vergangenen Jahr im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz vorgerechnet, dass der Anteil der Kernenergie am Strom auf sieben Prozent sinken könnte. Die Zahl der Reaktoren ginge derweil von heute gut 430 auf etwa 310 zurück.

Auch die Internationale Atomenergie-Agentur in Wien nimmt an, dass Kernkraft ihren Anteil an der globalen Stromversorgung bis 2030 allenfalls wenig ausbauen kann. Statt heute 14 Prozent könnten es dann 13 bis 16 Prozent sein. In absoluten Zahlen könnte sich die Energiemenge aus Reaktoren bis dahin allerdings verdoppeln, weil der Stromverbrauch insgesamt steigt.

Die IEA-Studie lässt offen, wie sich die Autoren den Zuwachs an Nuklearkapazität vorstellen. Das meiste davon müsste nach 2030 entstehen, wie sich aus dem Text ergibt. Bis dahin sollen Reaktoren neuer Bauart entwickelt werden, zum Beispiel schnelle Brüter oder Hochtemperaturreaktoren sowie gekapselte, wartungsfreie Anlagen für Krisengebiete, die allesamt länger mit den begrenzten Uranressourcen auskommen. Bisher existieren sie nur auf Papier.

"Dieses Szenario ist bar jeder Realität"

Ebenso bleibt unklar, wo die neuen Anlagen entstehen sollen. Die Rede ist nur von "weiteren Ländern"; der Schutz vor einer ungewollten Verbreitung der Atombomben-Technologie solle dabei verstärkt werden, heißt es mehrfach ohne konkrete Vorschläge. In Reaktoren nach neuem Konzept entstünde aber zwangsläufig mehr Plutonium und anderes Material, das sich für den militärischen Einsatz eignet.

Ob die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden schlagkräftig genug wären, den Missbrauch zu erkennen und zu verhindern, steht in den Sternen. Die Zahl der Neubauprojekte schließlich läge ab dem Jahr 2030 bei 50 Anlagen pro Jahr, fast doppelt so hoch wie während der Nuklear-Euphorie der 1970er Jahre.

"Dieses Szenario ist bar jeder Realität", sagt Gerd Rosenkrantz von der Deutschen Umwelthilfe. "Das hat nicht mal etwas mit einer Gegnerschaft gegen Atomtechnik zu tun, das ist nur eine Frage der Ökonomie." Noch niemals sei irgendwo auf der Welt ein Kernreaktor unter Marktbedingungen gebaut worden, stets gab es massive Unterstützung des Staates.

Auch die IEA-Studie vermerkt daher, in manchen Ländern bedürfe die Industrie wohl staatlicher Hilfe. Zurzeit erbitten sich die Entwickler von Kernkraftwerken neben Absatzgarantien und fixierten Strompreisen zum Beispiel Schutz vor einem zu starken Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Suche nach Endlagern überlassen sie ohnehin weitgehend den betroffenen Ländern, denen sie auch die Verantwortung für deren langfristige Sicherung übertragen wollen.

Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zufolge wäre das Geld woanders besser angelegt. Sie haben vor einer Woche in Zusammenarbeit mit Greenpeace eine Studie vorgelegt, nach der 2050 der Strom der Welt fast vollständig aus erneuerbaren Energiequellen stammen könnte - nach Abschaltung aller Kernreaktoren. Dafür wären zwar mit 5,5 Billionen Euro noch höhere Investitionen nötig, als die IEA vorsieht, aber das Geld hätte sich bereits 2030 amortisiert. Und es gäbe kein Risiko von Reaktorunfällen und keine zusätzlichen Probleme mit der Endlagerung.

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