Erst sind es nur die Blattadern. Plötzlich schwellen sie an, färben sich rot und sehen aus wie platzende Blutgefäße. Dann verändert sich auch die Farbe der Kakaoblätter. Ihr Dunkelgrün verblasst. Manche werden beige wie Pergamentpapier, andere färben sich rosa. Die Blätter sind häufig deformiert, ihre Ränder seltsam eingebuchtet. Viele haben Löcher. Irgendwann fallen sie ab und spätestens dann wird klar, dass auch unter dem ehemals dichten Blätterdach etwas nicht stimmt. Zweige sind angeschwollen. Kleine Knubbel sitzen wie Krebsgeschwüre im Gehölz. Und damit besteht kein Zweifel mehr: Die Pflanze ist unheilbar krank. Diagnose: CSSD, Cacao Swollen Shoot Disease. Der Todesstoß für jeden Kakaobaum. Es bleiben maximal fünf Jahre.
CSSD ist eine Viruserkrankung. Sie versetzt die Kakaoindustrie in sechs westafrikanischen Ländern in Alarm, in Sierra Leone, Liberia, der Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Nigeria. In Kamerun bestreitet die Regierung bislang, dass die Viren dort Pflanzen befallen. Dennoch vermuten Virologen, dass bereits auch dort Kakaobäume infiziert sind. Wie viele Pflanzen im gesamten westafrikanischen Kakaogürtel erkrankt sind, ist schwer festzumachen. In Fachkreisen kursieren verschiedene Zahlen. Etwa, dass in Ghana im vergangenen Jahr 300 000 Hektar Anbaugebiet, eine Fläche größer als das Saarland, an CSSD erkrankt ist. Das entspräche gut 16 Prozent der ghanaischen Kakaoflächen. Die Elfenbeinküste, das Land, das weltweit am meisten Kakao produziert, könnte in ein paar Jahren mehr als die Hälfte der Anbauflächen für Kakao an die Krankheit verloren haben. "Wahrscheinlich sind diese Zahlen sogar noch zu niedrig angesetzt", vermutet Judith Brown, eine Virologin an der University of Arizona in Tucson. Denn es kann bis zu drei Jahre dauern, bis die ersten äußerlichen Symptome sichtbar werden - dann hat die Pflanze vermutlich schon viele andere Bäume angesteckt.
Wird ein befallener Baum nicht schnell genug entfernt, wird er selbst zum Infektionsherd
"In vielen der Plantagen, die ich in Westafrika begutachtet habe, sind 80 bis 100 Prozent der Kakaopflanzen mit der Krankheit infiziert", sagt Brown. Die Pflanzenpathologin hat sich auf CSSD spezialisiert. Seit Jahren arbeitet sie mit dem US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium und dem Schokoriegelhersteller Mars zusammen, um die Krankheit besser zu verstehen. Dafür entschlüsselt sie in ihrem Labor das Erbgut von Viren, die in Verdacht stehen, CSSD auszulösen. Doch Brown musste feststellen: "Es ist ein frustrierender Kampf." CSSD wird von verschiedenen Virustypen verursacht. Acht sind bislang bekannt. Erst 2019 entdeckten Brown und ihre Kollegen eine neue Spezies in Nigeria. Jetzt warten sie auf frische Proben aus dem Land, um weitere Abschnitte ihres Erbguts zu entschlüsseln. Brown hofft, dass mithilfe ihrer Arbeit DNA-Tests entwickelt werden können, die Kakaobauern schnell anzeigen, ob einer ihrer Bäume infiziert ist. Denn bei CSSD zählt jede Minute. Wird ein kranker Baum nicht schnell entfernt, wird er selbst zur Infektionsquelle.
In ihrem Labor haben Brown und ihr Team bereits erste Test-Prototypen entwickelt. Sie können vier CSSD-Virustypen nachweisen. Auch die World Cocoa Foundation - eine Organisation, die von verschiedenen Kakao- und Schokoladenherstellern finanziert wird - arbeitet an einem Test. "Das Gerät soll vor Ort in den Plantagen angewendet werden", erklärt Hervé Bisseleua, der für die Organisation in Ghanas Hauptstadt Accra arbeitet.
So zumindest die Theorie. Allerdings ist bislang völlig unklar, wie viele Viren die Krankheit überhaupt auslösen. "Wenn wir die Tests zu spezifisch designen, besteht die Gefahr, dass wir manche Viren nicht entdecken, die die Krankheit ebenfalls auslösen", sagt Brown. Selbst Viren, die zur selben Spezies zählen, können sich um bis zu 30 Prozent in ihrem Erbgut unterscheiden, was es schwierig macht, sie zu erkennen. So sind DNA-Tests nur ein Teil der Lösung.
Wer seinen Feind nicht genau kennt, dem bleibt eigentlich nur eins: selbst aufrüsten und hoffen, dass die Abwehrmaßnahmen stark genug sind, dem Angreifer standzuhalten. Für Kakaobauern bedeutet das, dass sie ihre Pflanzen widerstandsfähiger machen müssen. Das tun sie zum Beispiel, indem sie zwischen ihren Kakaopflanzen hochwachsende Bäume einsetzten, die ihnen Schatten spenden. Das spart Kraft, und die können die Kakaopflanzen im Kampf gegen die Viren gut gebrauchen. Gleichzeitig erhöhen Schattenbäume die Biodiversität. Das wirkt sich positiv auf das Schädlingsvorkommen in den Plantagen aus. Denn CSSD-Viren werden von Schmierläusen übertragen - und die sind wiederum ein Leckerbissen für Marienkäfer, Wespen und Fliegen. Gibt es viele verschiedene Bäume in einer Plantage, dann steigt also auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort die natürlichen Fressfeinde der Schmierlaus ansiedeln.
Schon jetzt vernichten Krankheiten mehr als ein Drittel der weltweiten Kakaoernte
Das Schattenbaum-Management ist nur eine von vielen Strategien, die Kakaobauern bereits seit Generationen an ihre Kinder weitergeben. Doch in Zeiten des Klimawandels lässt sich das traditionelle Wissen oft nicht mehr anwenden. In manchen westafrikanischen Gebieten wird es zum Beispiel immer trockener. "Dann beginnen Schattenbäume mit den Kakaopflanzen um Wasser und Nährstoffe zu konkurrieren", sagt Christian Bunn. Der Agrarökonom wertet seit 2010 Klimadaten für das Agrarforschungszentrum International Center for Tropical Agriculture (CIAT) aus und berät Firmen, Forschungsinstitute und andere Organisationen im Kampf gegen den Klimawandel. Dabei hat er sich auf Kakao spezialisiert. Neben Schattenbäumen empfiehlt er den lokalen Entscheidungsträgern, Pflanzen durch eine Aufwertung der Böden fitter und widerstandsfähiger zu machen. Aber er weiß auch, das ist leichter gesagt als getan: "Die Bedingungen sind von Farm zu Farm unterschiedlich. Da gibt es kein Patentrezept."
Hinzu kommt, dass sich Viren wie die, die für CSSD verantwortlich sind, in Zukunft noch schneller ausbreiten könnten. Das hängt mit ihren Vektoren zusammen, also den Insekten, die sie von Baum zu Baum transportieren. Bunn verweist auf Hinweise in der Literatur, dass sich Schmierläuse und andere Insekten unter höheren Temperaturen häufiger fortpflanzen. Das würde die Ausbreitung von Krankheiten zusätzlich begünstigen, vor allem wenn man bedenkt, dass die Pflanzen von der Trockenheit ohnehin schon geschwächt sind. "Können wir diesen Effekt statistisch beweisen? Nein. Sollten wir es deshalb ignorieren? Sicherlich nicht", sagt Bunn.
Im vergangenen Juli veröffentlichte Judith Brown zusammen mit Kollegen eine Studie in der Fachzeitschrift Phytop athology. Darin schreiben die Wissenschaftler, dass schon jetzt jedes Jahr bis zu 38 Prozent der globalen Kakaoernte durch Krankheiten wie CSSD vernichtet werden. Das trifft viele westafrikanische Länder hart, Kakao ist eines ihrer wichtigsten Exportgüter. Produziert wird er hauptsächlich von Kleinbauern, die sich auf die Pflanze spezialisiert haben. Deshalb vergleicht Hervé Bisseleua von der World Cocoa Foundation den Ausbruch von CSSD mit Naturkatastrophen wie Tsunamis oder Erdbeben.
"Die Bauern zählen auf diese Frucht. Sie brauchen sie, um zu überleben."
Auch Judith Brown ist besorgt: "Ich habe den Eindruck, dass die Kakaoproduktion in Westafrika tatsächlich Schwierigkeiten hat, ihren Ertrag auf dem Level der letzten 15 Jahre zu halten." Sollte sie zurückgehen, werden kakaohaltige Lebensmittel in Zukunft wahrscheinlich teurer. "Aber es geht hier um viel mehr als höhere Preise für Schokolade", sagt Brown. "Die Bauern zählen auf diese Frucht. Sie brauchen sie, um zu überleben." Deshalb rät Christian Bunn, schon jetzt ein bisschen tiefer in die Tasche zu greifen, wenn man hungrig vor dem Süßigkeitenregal steht: "Je hochwertiger die Schokolade, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Firmen den Bauern gute Preise für ihren Kakao bezahlen und ein Interesse an nachhaltiger Produktion haben."