Süddeutsche Zeitung

Genussmittel Kaffee:Schmeckt das noch?

Genießen starke Kaffeetrinker oder spüren sie nur Suchtdruck, der sie zur nächsten Tasse greifen lässt?

Von Sebastian Herrmann

Eine Tasse Kaffee erfüllt so viele Funktionen. Morgens rollt das Gebräu müden Arbeitnehmern die menschlichen Jalousien vor den Augen empor. Ohne Kaffee nach dem Aufstehen kann ein Tag schlicht nicht beginnen. Und weil mehr Kaffee immer besser ist als weniger Kaffee, schnappt man sich auf dem Weg ins Büro noch einen To-Go und klammert sich im ÖPNV an den wärmenden Becher. In der Arbeit dann: Erstmal einen Kaffee trinken, bevor es losgeht, das ist ja immer ein guter Start. Dann braucht es Mittags nach dem Essen einen doppelten Espresso, um das Kantinenkoma zu überstehen. Und schließlich ist Kaffee die perfekte Prokrastinations-Hilfe: Vor unangenehmen Aufgaben lässt sich prima wegducken, indem man noch einmal, aber wirklich nur noch einmal, zur Kaffeemaschine schlurft und sich noch eine Tasse holt. Da drängt sich die Frage auf: Schmeckt das noch oder zwingt einen ein anderes Bedürfnis dazu, Tasse um Tasse zu trinken?

Manchmal schmeckt der Kaffee ziemlich scheußlich - meistens trinkt man ihn trotzdem

Dazu haben Psychologen um Nicolas Koranyi von der Universität Jena eine frische Studie im Fachblatt Journal of Psychopharmacology aufgebrüht. Im Ergebnis lässt sich daraus ableiten, dass es bei schweren Kaffeetrinkern wohl oft weniger um den Genuss als um ein reines Bedürfnis geht. Ganz sauber trennen lassen sich beide Kategorien im Alltagsempfinden nicht. Doch vielleicht lässt es sich mit der ersten Zigarette am Morgen nach einer durchfeierten Nacht vergleichen: Schmeckt fürchterlich, muss aber trotzdem sein. Oder mit dem ersten Bier an einem verkaterten Tag, an dem ein Fest aber einfach weitergeht: grässlich, aber rein damit. Und manchmal, aber nur manchmal schmeckt auch ein Kaffee ziemlich scheußlich, den man dann dennoch trinkt.

Die Forscher verglichen für ihre Studie schwere und moderate Kaffeetrinker und ließen diese sogenannte implizite Assoziationstests machen, bei denen sie auf Bildern - etwa von Kaffee oder Saft - möglichst rasch mit "Will ich" oder "Will ich nicht" reagieren mussten. Entsprechende Tests führten die Forscher auch mit den Antwortkategorien "schmeckt angenehm" und "schmeckt nicht angenehm" durch. Dabei zeigte sich bei schweren Kaffeetrinkern, das galt ab mindestens drei Tassen am Tag, ein anderes Muster als bei moderaten Genießern. Vereinfacht gesagt, zeigten sich höhere Werte im "Wollen" als im "Mögen".

Natürlich liefert eine einzelne Studie keinen abschließenden Beleg dafür, dass Kaffee seine Liebhaber wie Drogensüchtige zum Konsum treibt, obwohl es ihnen eigentlich nicht schmeckt. Dazu ist die Stichprobe mit 56 Probanden ohnehin zu klein, und auch zur Aussagekraft verschiedener Varianten der impliziten Assoziationstests existieren zahlreiche Fragezeichen. Und doch liefert die Arbeit einen spannenden Blick auf den Umgang mit Kaffee beziehungsweise Koffein, der am weitesten verbreiteten psychoaktiven Substanz der Welt.

Aus Tiermodellen sowie Arbeiten mit anderen Drogen sind Hinweise bekannt, die zu dem Modell passen, das die Arbeitsgruppe um Koranyi nun auch für Kaffee vorschlägt. Demnach sind das Verlangen und der Genuss eines Suchtstoffes zwei getrennte Prozesse. Die Gier vertieft sich, weil die Motivation zum Konsum mit der Zeit neuronal gefestigt wird, und die dafür relevanten Hirnareale sinngemäß sensibilisiert werden. Dem gegenüber steht eine Art sinkende Genusskurve. Diese sinkt typischerweise mit der Häufigkeit des Konsums - unter anderem, weil sich Toleranzeffekte einstellen. Vielleicht ist das auch bei Kaffee so. Andererseits: Wer ernsthaft behautet, ein richtig guter Espresso mit schöner Crema und allem Schnickschnack habe nichts mit höchstem Genuss zu tun, hat auch nicht mehr alle Tassen im Schrank.

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