Jurij Gagarin: 50 Jahre bemannte Raumfahrt:108 Minuten für die Ewigkeit

Auch 50 Jahre nach seinem Erstflug ins All wird Jurij Gagarin wie ein Held verehrt - doch die Spuren seiner Pioniertat sind heute schwer zu finden. Der Stolz der Raumfahrtnation Russland sind die Menschen, nicht die Maschinen.

Alexander Stirn

Die große rostbraune Kugel mit einem Loch in der Mitte macht nicht viel her, nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick. Sie unterscheidet sich kaum von den vielen anderen Raumfahrtrelikten, die in der Werkhalle des russischen Konzerns RKK Energija herumstehen. Stutzig macht allerdings der rote Teppich, den Ingenieure vor dem rostbraunen Gefährt ausgerollt haben.

Es ist aber auch das mindeste, was man erwarten kann. Die braune Metallkugel, die so unscheinbar herumsteht, ist nicht irgendein Raumfahrzeug. In dieser Kapsel umrundete Jurij Alexejewitsch Gagarin als erster Mensch im Weltraum einmal die Erde. Das war am 12. April 1961, vor genau 50 Jahren. Ein roter Teppich, so sehen es Russlands Raumfahrer, ist da mehr als angebracht.

So ganz einfach bekommt man es nicht zu Gesicht, das wertvollste Erinnerungsstück der bemannten Raumfahrt Russlands: Die Kapsel mit der Nummer 3KA-3, besser bekannt als Wostok-1 ("Der Osten") steht im privaten Werksmuseum von Energija. Ohne Spezialeinladung oder gute Beziehungen, zum Beispiel zu der mittlerweile befreundeten europäischen Raumfahrtagentur Esa, kann dort niemand so einfach hineinspazieren. Und mit der Zutrittsberechtigung ist es nicht getan. Man muss auch den Weg in den Moskauer Vorort Koroljow finden, sich nicht von den mürrischen Wachen am Energija-Werkstor abschrecken lassen und kein Problem damit haben, sogar beim Gang zur Toilette eskortiert zu werden.

Anders als die Amerikaner, beispielsweise mit dem sehenswerten Air and Space Museum in Washington, protzen die Russen nicht mit ihren Raumfahrtreliquien. Die Gerätschaften spielen bei allem Stolz auf die kosmischen Pioniertaten der Sowjetunion kaum eine Rolle. Geldmangel kommt hinzu und Kompetenzgerangel, vor allem aber ist es eine Mentalität, die mit Gagarins Flug vor 50Jahren begann: Der Stolz der Raumfahrtnation Russland sind die Menschen, nicht die Maschinen.

"Gagarin hat der Raumfahrt ein Gesicht gegeben", sagt Alexander Lasarewitsch, russischer Weltraumenthusiast und Führer durch das Energija-Museum. Lasarewitsch zieht die Samtkordel zur Seite, die den Weg auf den roten Teppich normalerweise versperrt. Eng ist die Kugel, aber nicht wirklich ungemütlich - zumindest nicht für einen nur 1,57 Meter großen Menschen wie Jurij Gagarin.

108 Minuten musste der Bauernsohn in ihrem Innern aushalten, umgeben von Gucklöchern und hellbraunem Tuch. Ein paar Kippschalter und eine Handvoll Instrumente befanden sich in seinem Blickfeld. Vor allem aber sollte Gagarin Erfahrungen sammeln. Er sollte essen, sich orientieren, mit der Erde kommunizieren. Niemand wusste zu jener Zeit, wie sich die Schwerelosigkeit und die Einsamkeit des Weltalls auf einen Menschen auswirken würden.

Wer in die Kapsel blickt, sieht auch ein Geheimnis, das die Sowjetunion lange Zeit für sich behalten wollte: zwei Schienen, auf denen sich Gagarin mit seinem Schleudersitz herauskatapultierte. Die letzten sieben Kilometer seines Flugs um die Erde legte der Major am Fallschirm zurück. Neider behaupten bis heute, es sei daher kein echter Raumflug gewesen.

Die Russen interessieren sich vor allem für Helden

Lasarewitsch kann darüber nur abschätzig lachen. "Zum Jubiläum hätten wir die Kapsel gerne nach Moskau gebracht und dort standesgemäß präsentiert", erzählt er. "Aber wir haben keine Versicherung gefunden, die das Risiko übernehmen wollte." Deshalb steht das Schmuckstück nun - wie all die Jahre zuvor - im Erdgeschoss des 1300 Quadratmeter großen Werksmuseums unter Neonröhren und auf grauem Linoleum. Immerhin ist es in illustrer Gesellschaft: Gleich nebenan steht Wostok-6, mit der Walentina Tereschkowa im Juni 1963 als erste Frau ins All flog. Auch die Kapsel von Woschod-2 darf nicht fehlen, die Basis für den ersten Weltraumspaziergang, der 1965 stattfand.

Remembering Gagarin, the first manned flight into space

Gagarin, der Nationalheld: In Moskau hat man ihm ein Denkmal gesetzt - es ist nicht das einzige in Russland.

(Foto: dpa)

Was das alles wohl wert ist? "Unschätzbar", sagt Lasarewitsch. Dabei ist ansonsten für Geld in der russischen Raumfahrt eigentlich alles zu haben - touristische Ausflüge ins All, Training mit Kosmonauten, auch der Eintritt in das exklusive Museum. Energija will keine Preise nennen, private Reiseveranstalter verlangen aber bis zu 430 Euro pro Person. Gleich mitbuchen lässt sich ein Abstecher zu anderen Pilgerstätten der russischen Raumfahrtgeschichte, zum Beispiel zu Gagarins ehemaligem Büro im Sternenstädtchen vor den Toren Moskaus. Das dortige Trainingszentrum für Kosmonauten ist zwar mittlerweile privatisiert, aber wer den Ort erreichen will, muss noch immer Straßensperren überwinden.

In Gagarins Geburtsort, einem Weiler namens Kluschino, geht es ruhiger zu. Raumfahrtfreunde haben dort sein Elternhaus nachgebaut und in ein Museum verwandelt. Selbst das Erdloch, in dem Gagarin und seine Familie während der deutschen Besatzung hausen mussten, kann besichtigt werden. Ein Museum gibt es natürlich auch im Nachbardorf, in das die Familie später umzog. Der Ort heißt heute Gagarin.

"Statt für Raumfahrzeuge interessieren sich die Russen vor allem für Helden", sagt Lasarewitsch. Und Gagarin war ein Held. Vor ihm bestand die Raumfahrt aus Sonden und Satelliten. Nun hatte sie ein Gesicht. Gagarin, gerade einmal 27 Jahre alt, wurde zu ihrer Ikone. Sein Porträt, das im Eingangsbereich des Museums hängt und wie ein Schrein eingerahmt ist, zeigt einen jungen Mann mit bubenhaftem Lächeln. Die Last der Orden an seinem Hals müsste ihn eigentlich niederreißen. Doch Gagarin blickt mit erhobenem Kinn in die Ferne.

Die Sowjets wussten, was sie an ihm hatten. Sie reichten Gagarin herum, auch im Ausland, wo er uneingeschränkt begejubelt wurde. Aus Angst, ihren Helden zu verlieren, verboten sie ihm weitere Raumflüge. Doch dieses Verbot war nicht weitreichend genug. Bei einem Trainingsflug mit seiner Mig-15 stürzte Gagarin am 27. März 1968 ab und starb.

Seine Urne wurde an der Kremlmauer beigesetzt, im Schatten des pompösen Lenin-Mausoleums, in einem unscheinbaren Grab mit schmalen kyrillischen Buchstaben. Auf der anderen Seite der Mauer arbeitet heute Gagarins Tochter Jelena. Als leitende Kunsthistorikerin ist sie für die Schätze des Kremls verantwortlich - für Vasen, Kutschen, Fabergé-Eier. Erinnerungen an ihren Vater gehören nicht dazu.

Pinkeln wie Gagarin

A man passes by a portrait of Yuri Gagarin during a ceremonial reception in Moscow

In ganz Russland wird dieser Tage der 50. Jahrestag von Jurij Gagarins historischem Flug ins All gefeiert.

(Foto: REUTERS)

"Eigentlich müsste Gagarins Kapsel direkt am Roten Platz ausgestellt werden, damit sie jeder sehen kann", sagt Alexander Lasarewitsch. Zum Beispiel im staatlichen historischen Museum mit seinen fast 4,5 Millionen Ausstellungsstücken. Oder gleich in einem zentralen Raumfahrtmuseum, das die vielen Schätze bündelt, die heute in privaten Sammlungen und in den Kellern der russischen Raumfahrtunternehmen lagern.

Die Amerikaner zeigen, wie so etwas aussehen kann: Unweit des Kapitols steht in Washington das National Air and Space Museum. 8,3 Millionen Menschen haben es im vergangenen Jahr besucht. Gleich in der Eingangshalle wurden sie von der heiligen Dreifaltigkeit der amerikanischen Raumfahrt empfangen: Mercury Friendship 7, die Kapsel, mit der John Glenn als erster Amerikaner die Erde umrundete - zehn Monate nach Gagarin. Gemini IV, Ausgangspunkt des ersten amerikanischen Außenbordeinsatzes. Und natürlich das Kommandomodul von Apollo 11, der ersten Landung auf dem Mond. Über den Wert der amerikanischen Weltraumschätze schweigt sich das Museum aus. Sie seien aber, beteuert Sprecherin Isabel Lara, versichert.

An diesem Dienstag will die US-Raumfahrtbehörde Nasa zudem bekanntgeben, in welchen Museen ihre ausgemusterten Space-Shuttles unterkommen sollen. 21 Institutionen haben Interesse angemeldet. Die 28,8 Millionen Dollar, die die Nasa offiziell für die Frei-Haus-Lieferung der Raumfähren verlangt, schrecken nicht ab. Ein Shuttle-Prototyp wird schon heute in einer eigenen Halle in Washington ausgestellt.

Russlands Pendant zum Shuttle, der Raumgleiter Buran, musste genau das Gegenteil erleben. Die einzige sowjetische Fähre, die jemals ins All geflogen ist, und auch das genau einmal, wurde vor neun Jahren komplett zerstört. Zuvor war sie achtlos in einer maroden Halle in Baikonur geparkt worden. Einer der acht Prototypen wurde mehrmals weiterverkauft und landete über Umwege in Sydney und Bahrain schließlich im Technik Museum Speyer. Ein weiteres Modell gammelt im Moskauer Gorki-Park vor sich hin. In seinem Inneren befindet sich ein Kino, an seine Reifen pinkeln Hunde.

Letzteres hat allerdings eine gewisse Tradition in der russischen Raumfahrt. Um sich vor seinem Erstflug noch mal kurz zu erleichtern, verschwand Jurij Gagarin vor 50 Jahren hinter dem Fahrzeug, das ihn zur Startrampe gebracht hatte. Seitdem nutzen alle männlichen Kosmonauten den linken Hinterreifen des Mannschaftsbusses, um kurz vor dem Abflug ihr Startgewicht ein letztes Mal zu reduzieren.

Überhaupt sind es hauptsächlich Traditionen, in denen Gagarin im russischen Raumfahrtprogramm weiterlebt. Kosmonauten legen vor dem Abflug rote Nelken an seinem Grab nieder. Sie besuchen Gagarins Büro im Sternenstädtchen, wo sie sich ins Gästebuch eintragen. Und sie gehen zwei Tage vor dem Start zum Friseur, genauso, wie es der gelernte Gießer vor 50 Jahren getan hat.

Nach erfolgreicher Landung signieren sie zudem ihre Kapseln - jene braunen Raumfahrzeuge, die sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten nur wenig verändert haben. Das jedoch ist von Gagarin nicht überliefert, zumindest ist auf seiner Kapsel nichts davon zu sehen. Und wenn, dann wäre die Signatur ohnehin längst abgewischt worden. Denn einen Vorteil hat die Ausstellung im privaten, schwer zu erreichenden Museum dann doch: Während in Washington die Kapseln von dicken Plexiglasscheiben geschützt werden müssen, ist bei Energija das Anfassen ausdrücklich erlaubt.

Wer will, und sich nicht erwischen lässt, kann sogar ein kleines Stück jener Kanonenkugel mitnehmen, die vor 50Jahren Raumfahrtgeschichte geschrieben hat. Die wabenförmige Schutzschicht, die oben auf der Kapsel aufgeklebt wurde, ist jedenfalls schon reichlich ausgefranst.

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