Forschungswettbewerb:Von "Jugend forscht" zum Milliardär

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Am Start: 1969 gewannen die Vettern Nikolaus (re.) und Victor Brantl aus München, damals 21 und 19 Jahre alt, mit ihrer selbstentwickelten Rakete. (Foto: oh)

Vor 50 Jahren hat Henri Nannen zum ersten Mal die Wissenschaftler von morgen gekürt. Seitdem bringt der Wettbewerb "Jugend forscht" verrückte Erfindungen hervor - und äußerst geniale Erfinder.

Von Maximilian Kranl

Es hatte Henri Nannen schon lange geärgert: Goethe-Zitate gehörten in der jungen Bundesrepublik zum Alltagswissen, für sein Unverständnis in Mechanik schämte sich dagegen niemand. Wissenschaft müsse endlich in der Gesellschaft ankommen, forderte der Gründer des Magazins Stern und rief 1965 die Stiftung "Jugend forscht" ins Leben. Vor 50 Jahren, Anfang April 1966, gab es dann die ersten Sieger. Die vier jungen Männer und eine Frau durften nach Dallas fliegen - zu einer Konferenz junger Wissenschaftler.

Seither haben 250 000 Teilnehmer bei "Jugend forscht" mitgemacht. Vieles hat der Wettbewerb in dem halben Jahrhundert hervorgebracht: verrückte Geschichten, geniale Erfindungen, Menschen mit Weitblick. Allerdings hat es kaum eine Erfindung in den Alltag geschafft - auch wenn nicht alle Ideen so abgehoben waren wie die der beiden Münchner Gymnasiasten Nikolaus und Victor Brantl.

Die Vettern, Sieger des Jahres 1969 in der Kategorie Technik, waren von den Vorbereitungen der Mondlandung fasziniert. Effizienz war ihr Stichwort: Sie bauten eine Rakete, die gerade mal 1,90 DM kostete - und Erstaunliches leistete. Der 80 Zentimeter lange Flugkörper, der aus nichts anderem als Papier bestand, flog 8400 Meter hoch. Ihrer Leidenschaft blieben die Vettern zumindest in Teilen treu: Nikolaus, heute 68, wurde Zahnarzt und flog als Hobbypilot um die Welt. Victor, 65, wurde Chemiker, meldete sechs Patente an und arbeitet als Berater in der Pharmabranche.

Einer der Teilnehmer ist heute milliardenschwerer Investor

Seinen Drang zur Innovation behielt auch Andreas von Bechtolsheim, 60, bei. Wie viele Kinder hat er schon als Sechsjähriger Vaters Radio zerlegt, nur konnte er es auch wieder zusammenbauen. Zwölf Jahre später, 1974, brachte ihm seine Bastelfreude den Sieg bei "Jugend forscht" im Fachgebiet Physik ein. Sein Thema: "Strömungsmessung durch Ultraschall". Heute tritt Bechtolsheim als milliardenschwerer Investor im Silicon Valley auf - er war 1998 einer der Ersten, die bei Google einstiegen. In Deutschland hatte es ihn nicht lange gehalten, schon im Studium merkte er, dass er für "neue Sachen" in die USA müsse, wie er einmal sagte. Er könnte längst mit dem Arbeiten aufhören - doch die Neugier ist einfach zu groß. Sein Ehrgeiz ist ihm ebenso geblieben wie sein Markenzeichen, die Birkenstocks. "Jugend forscht" habe einen Anteil an seinen Erfolgen, meint Bechtolsheim: "Ich habe gelernt, wie man eine Idee verwirklicht, ein Experiment verkauft, andere Leute von etwas Neuem überzeugt."

Die Birkenstocks wären was für Christian Kuhtz, 57, das Silicon Valley eher nicht. Aber auch der Sieger des Jahres 1977 hat Zeit seines Lebens seine Ideen weiterverfolgt. Damals gewann er in der Kategorie Technik mit einer selbstentwickelten Sattlernähmaschine. Schon früh hatte er sich daran gestört, dass Kleidung so schnell kaputtgeht. Mit der Maschine nähte Kuhtz sich Schuhe nach alter Schule. Bis heute erfindet er Dinge, die einen ökologischen Nutzwert haben, und kann davon mit seiner Familie in Kiel als Selbstversorger leben. Kein Telefon, kein Fax, keine Mails, nur auf dem Postweg erreicht man ihn. Im Internet kann man die Anleitungen für seine Erfindungen kaufen, um sie selbst nachzubauen. "Einfälle statt Abfälle" nennt Kuhtz das und bietet etwa Pläne für Windräder, Kompost-Klos und Schwerlast-Dreiräder an.

Naturwissenschaftler als "Rockstars"

Weniger nischig scheint dagegen Marvin Scherschels Erfindung zu sein: Der 21-Jährige wurde 2012 zwar nur Landessieger im Fachgebiet Mathematik/Informatik im Saarland, aber sein Projekt könnte bald vielen Schülern im Ohr liegen. Er hat eine Lernplattform namens "Vofy" entwickelt, die Hits mit Vokabeln verbindet. Man kann also Wörter lernen, indem man seine Lieblingslieder hört. Die Idee dazu bekam Scherschel im Gespräch mit einem Klassenkameraden. "Vor einem Test habe ich meinen Banknachbarn nach einer Vokabel gefragt. Der meinte, die komme doch in dem einen Lied vor. Ich kannte das Lied und habe die Vokabel nie wieder vergessen", erzählt er. Inzwischen hat Scherschel den Musikstreamingdienst Spotify als Partner gewonnen. "Wir sind einfach nach Berlin gefahren und haben bei denen an der Tür geklopft", erzählt er.

Dass man seine Leidenschaft zum Beruf machen kann, hat Volker Sommer ("Ich bin ein Affenmensch") längst bewiesen. Sommer hat sein Leben den Primaten verschrieben und betont stets, "dass unsere haarigen Vettern eigentlich haarige Geschwister sind." Als er 1973 bei "Jugend forscht" gewann, untersuchte er allerdings noch das Sozialverhalten von Schmetterlingslarven aus dem elterlichen Garten. Inzwischen ist Sommer Professor für Evolutionäre Anthropologie am University College London, sitzt aber meist auf hohen Bäumen in Nigeria oder Thailand, um Menschenaffen zu beobachten. Nach einem der Tiere hat er auch seinen Sohn benannt. Davon, dass Henri Nannens Wunsch wahr geworden ist, ist Sommer überzeugt: "In den 1960er und 1970er Jahren war es dezidiert uncool, sich für Naturwissenschaft zu begeistern", sagt er. "Der Wettbewerb hat diesen Nerds, wie wir heute sagen würden, eine positive Aura verliehen." Heute, meint Sommer, "gelten Naturwissenschaftler eher als geile Rockstars."

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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