Als Besucher des Uluwatu-Tempels auf Bali sollte man sich vor Taschendieben in Acht nehmen. Wer nicht aufpasst, ist schnell seine Tasche, Sonnenbrille oder das Smartphone los. Rund um die Touristenattraktion haust seit Jahrzehnten eine mehrere Hundert Tiere zählende Schar Javaneraffen. Die Primaten beobachten genau, wer sich unvorsichtig verhält, und schlagen blitzschnell zu. Es ist jedoch nicht das körperliche Geschick der Affen, das nun das Interesse von Forschern aus Kanada und Indonesien für das Schauspiel weckte, sondern der Handel, der sich an den Diebstahl anschließt. Die Makaken fliehen nicht etwa in den Urwald - was wollten sie auch mit einem Smartphone - sondern sie warten in einigem Abstand darauf, dass jemand den erbeuteten Gegenstand auslöst. Meist erbarmt sich ein Tempel-Mitarbeiter und bietet dem Affen etwas Obst oder andere Nahrung an, im Tausch für das Diebesgut.
Derart komplexes Verhalten wirft viele Fragen auf: Wie genau lernen die Affen den Ablauf solcher Raubzüge? Nach welchen Gesetzen läuft der Handel ab? Haben die Affen eine Vorstellung vom Wert der erbeuteten Sachen, also rudimentären ökonomischen Sachverstand? Um all das zu klären, filmten Psychologen um Jean-Baptiste Leca von der kanadischen Universität Lethbridge im Laufe eines Jahres Hunderte Begegnungen zwischen Mensch und Affe in der Nähe des Tempels. Die Wissenschaftler brauchten keine komplizierte Versuchsanordnung, sie mussten einfach nur zusehen, was sich wenige Meter von ihnen entfernt abspielte. Besonders häufig erbeuteten die Javaneraffen Brillen und Sonnenbrillen, diese wechselten mehr als 1700 Mal den Besitzer. Auch Flip-Flops, Kamerataschen, Hüte und Geldbörsen waren begehrt.
Ältere Affen feilschen gekonnter als Heranwachsende
Wie die Wissenschaftler im Fachjournal Philosophical Transactions B berichten, sind erwachsene Javaneraffen mit einer 69-prozentigen Trefferquote nicht nur deutlich geschicktere Diebe als Heranwachsende, die in weniger als 40 Prozent der Versuche Erfolg haben. Die älteren Affen schaffen es auch öfter, den anschließenden Tauschhandel zum Abschluss zu bringen. Für die Forscher ein klarer Beleg, dass derartiges Verhalten viel Übung von frühester Kindheit an erfordert. Dabei trainieren die Affen aber nicht nur Fingerfertigkeit, sondern auch ihren ökonomischen Sachverstand. Während junge Javaneraffen noch recht wahllos auf Beutezug gehen und auch eher wertlose Dinge wie Haarspangen oder Schlüsselanhänger stibitzen, picken sich ältere Affen gezielt Gegenstände von höherem Wert wie Brillen oder Elektronik als Ziele heraus. Für die Psychologen ein Hinweis darauf, dass die Affen gelernt haben, dass Menschen bei manchen Gegenständen mit höherer Wahrscheinlichkeit bereit sind zu handeln als bei anderen.
Ältere Affen stellen sich zudem beim Feilschen gekonnter an. Halten sie eine Kamera oder Geldbörse in der Hand, verlangen sie häufig mehr Früchte oder höherwertige Nahrung als Belohnung, bevor sie dem Tausch zustimmen; bei Objekten mittleren Werts wie einem Hut geben sie sich dagegen häufig mit etwas weniger zufrieden. Affen, die gerade an der Schwelle zum Erwachsenen stehen, stimmen einem Tausch dagegen etwas leichtfertiger zu, berichten die Forscher. Sie würden, die Nahrung vor Augen, vermutlich etwas impulsiver agieren als die abgebrühten Älteren.
Hinter all dem steht die Frage, inwieweit Affen prinzipiell in der Lage sind, wirtschaftlich zu denken und zu handeln - dem Thema widmet sich die gesamte Ausgabe der Philosophical Transactions. Adam Smith, der Gründervater der modernen Ökonomie, glaubte noch, die Neigung zum Tausch sei "nirgends in der Tierwelt" zu finden: "Noch niemals hat man einen Hund einen fairen und absichtlichen Tausch zwischen einem Knochen und einem anderen mit einem anderen Hund abschließen sehen." Ein Urteil, das der Verhaltensbiologe Frans de Waal für überholt hält. "Tauschhandel ist bei Primaten präsent", schreibt de Waal. So sei bekannt, dass einige Schimpansen ihre Verbündeten sehr gezielt mit Fleisch bestechen, um sich ihrer Loyalität zu vergewissern. Oder dass sie die Beute aus Raubzügen auf Papaya-Plantagen später vor allem mit fruchtbaren Weibchen teilen - weil sie sich später davon Vorteile versprechen.