Süddeutsche Zeitung

Japan nach dem GAU:Trinkwasser verstrahlt - Regierung warnt

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In der japanischen Kleinstadt Iitate ist der Grenzwert für radioaktives Jod um das Dreifache überschritten. Das Gesundheitsministerium warnte die Bewohner. Unterdessen gab es in der Nähe des havarierten AKW Fukushima erneut ein Erdbeben. Ministerpräsident Nan sagte seinen für Montag geplanten Besuch in der Region ab - wegen schlechten Wetters.

Trotz einiger Fortschritte bleibt die Lage in Fukushima-1 nach Angaben der IAEA sehr ernst. Ein Sprecher der UN-Atombehörde sagte, die Strahlung in den japanischen Großstädten sei zwar unter den Grenzwerten. Allerdings sei in einigen Gemüseproben mehr radioaktives Jod nachgewiesen worden als erlaubt.

Das japanische Gesundheitsministerium hat einem Bericht der Nachrichtenagentur AP zufolge den Bewohnern der Kleinstadt Iitate in der Präfektur Fukushima geraten, wegen des hohen Gehalts an radioaktiven Jods kein Trinkwasser zu konsumieren.

Ministeriumssprecher Takayuki Matsuda teilte mit, der Wert in Iitate sei dreimal höher als gewöhnlich. Die 6000-Einwohner-Stadt befindet sich 30 Kilometer nordwestlich des Atokraftwerks Fukushima-1. Matsuda sagte, dass die Iod-Werte keine Gefahr für die Menschen bedeuteten.

Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter gibt für Deutschland Entwarnung. "Spinat und Milch werden von Japan nicht exportiert." In der Region um Fukushima werde relativ viel Gemüse angebaut, sagte Hofstetter. Insbesondere direkt am Meer gebe es auch viele Gewächshäuser und oft offene Plastikkonstruktionen. In der Provinz Fukushima würden rund 18.000 Kühe gehalten.

Unterdessen hat ein weiteres Erdbeben am frühen Montagmorgen (Ortszeit) die Präfektur Fukushima im Nordosten von Japan erschüttert. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete, hatte es eine Stärke von 4,7. Angaben zu Verletzten oder Schäden gab es nicht. Das Beben sei aber auch in unmittelbarer Nähe des havarierten Atomkraftwerks Fukushima Eins zu spüren gewesen.

Schon zuvor hatte der japanische Ministerpräsident Naoto Kan seinen für Montag geplanten Besuch in der Region nahe des havarierten Atomkraftwerkes Fukushima abgesagt. Grund seien die schlechten Wettervorhersagen, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo am Montagmorgen (Ortszeit). Für die Region ist Regen angesagt. So werde es schwierig für Kans Helikopter, dort zu landen oder zu starten, sagte ein Regierungssprecher.

Kan wollte ursprünglich per Hubschrauber zunächst in die schwer getroffene Stadt Ishinomaki in der Präfektur Miyagi reisen. Danach wollte er in etwa 20 Kilometern Entfernung des havarierten Atomkraftwerks Fukushima 1 Einsatzkräfte treffen, die seit Tagen versuchen, eine nukleare Katastrophe zu verhindern.

Wechselhafte Winde könnten bald radioaktive Wolken aus den Reaktoren von Fukushima über die japanische Hauptinsel Honshu treiben. Von der Strahlung wären etliche Großstädte bedroht. Sorge bereitete aber weiter die Kühlung des Blocks 3, wo die Brennstäbe aus hochgiftigen Plutonium-Uran-Mischoxiden (MOX) sind.

Die Kühlung für die Reaktorblöcke 5 und 6 setzten dieTechniktrupps wieder in Gang. Zuvor war eine Notstromleitung zu dem Kernkraftwerk gelegt worden. Damit sei ein sogenannter cold shutdown gelungen: Der ausgeschaltete Reaktor wurde wieder ausreichend gekühlt. Die Temperatur ist so niedrig, dass keine Gefahr mehr droht. Gegen die mögliche Kernschmelze in Block 3 setzen die Helfer weiter vor allem auf Wasserwerfer.

Die Zahl der Toten und Vermissten stieg jedoch weiter: Mindestens 8400 Menschen seien bei dem Erdbeben der Stärke 9 und dem nachfolgenden Tsunami gestorben, teilte die Polizei nach Angaben des Fernsehsenders NHK mit. 12.272 gelten offiziell als vermisst. Die Katastrophe vom 11. März ist damit das größte Unglück in der Geschichte Japans seit dem Zweiten Weltkrieg.

Rettungsmannschaften versprühten insgesamt 13 Stunden lang erneut Tonnen von Wasser, wie Kyodo berichtete. Zwischenzeitlich sei der Druck im Reaktor gefährlich hoch gestiegen. "Das war eine sehr gefährliche und schwierige Aufgabe", sagte einer der beteiligten Feuerwehrmänner, Toyohiko Tomioka, bei einer Pressekonferenz. "Überall lagen Trümmer herum. Den Mitgliedern des Teams war die Gefahr der Verstrahlung sehr bewusst."

Neun Tage in den Trümmern überlebt - dank Joghurt

Das japanische Fernsehen NHK berichtete breit über die alte Frau und ihren Enkel, die in der Stadt Ishinomaki aus ihrem Haus gerettet worden waren. Großmutter Sumi Abe und Enkel Jin Abe wirkten geschwächt, hätten jedoch auf Fragen der Polizei reagiert. Der Jugendliche soll an Unterkühlung leiden. Als die Erde bebte, seien Enkel und Großmutter in der Küche gewesen, berichtete der 16-Jährige Helfern im Krankenhaus. Seine Großmutter wurde unter schweren Möbelstücken eingeklemmt.

Die beiden hätten sich dann von Joghurt und anderen Dingen, die in einem Kühlschrank lagen, ernährt. In den ersten Tagen hatte der Junge noch mit seiner Mutter telefonisch Kontakt. Erst an diesem Sonntag gelang es ihm, sich aus den Trümmern des Hauses zu befreien und auf dem Dach nach Hilfe zu rufen. Ein Suchtrupp der Einsatzkräfte habe ihn entdeckt.

Die Zahl der Toten und Verletzten könnte nach Meldungen der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo noch weiter steigen: Der Polizeichef in der schwer getroffenen Präfektur Miyagi vermutet, dass allein dort 15.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Direkt betroffen sind mindestens 12 der 47 Präfekturen in Japan, wie die Zeitung Asahi Shimbun berichtete. Nach unterschiedlichen Angaben sind 360.000 bis 400.000 Menschen in Notunterkünften unterbracht. Sie leiden unter Kälte und mangelnder Versorgung mit dem Nötigsten.

Bergungsspezialisten des Technischen Hilfswerks (THW) kehrten unterdessen aus Japan zurück. Die 41 Frauen und Männer landeten am Samstagabend auf dem Flughafen Frankfurt. Mit an Bord waren 20 weitere Menschen aus sechs Ländern, darunter fünf Deutsche. Sie wurden in Frankfurt von Seelsorgern betreut.

Die anhaltende Kälte machte am Wochenende den Menschen in den Katastrophengebieten weiter zu schaffen. Vor allem die vielen Alten in den Flüchtlingslagern sind erschöpft. Zwar treffen allmählich Hilfsgüter ein und die Reparaturarbeiten, etwa an Gas- und Wasserleitungen, laufen. Doch oft mangelt es noch an ausreichend Heizöl und Öfen. Dem japanischen Sender NHK zufolge fehlen vielerorts Lebensmittel.

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