Süddeutsche Zeitung

Atomkatastrophe in Japan: Kontamination:"Strahlung ist ein großer Panikmacher"

Gespenstische Bilder: Jede Person aus der Zone um das AKW Fukushima-1 wird untersucht. Zeigt der Geigerzähler Radioaktivität, kommen die Flüchtenden in Quarantäne. Doch wieso? Geht von Kontaminierten eine Gefahr aus? Es ist ganz anders.

Johanna Bruckner

Eine Plastikwand trennt die Kontaminierten von den Nicht-Kontaminierten. Durch den Kunststoff des Quarantänezelts hindurch versuchen die Menschen im Inneren mit ihren Angehörigen draußen zu kommunizieren. Es sind gespenstische, beunruhigende Bilder von den Grenzen der Evakuierungszone um das Kernkraftwerk Fukushima-1, die der nuklearen Katastrophe in Japan ein Gesicht geben - und neben den Bildern der Verwüstung vermitteln sie am besten, welche dramatischen Stunden die Überlebenden durchleiden müssen.

Die bislang freigesetzte Strahlenmenge stelle keine Gesundheitsgefährdung dar, der Sicherheitsradius von 20 Kilometern um den Krisen-Meiler sei ausreichend: Mit dieser Beschwichtigungslitanei hat die japanische Regierung seit vergangenem Freitag versucht, die Bevölkerung und den Rest der Welt zu beruhigen.

Solche Fotos schüren Ängste

Doch Helfer in Ganzkörperschutzanzügen, die Kleinkinder mit Geigerzählern abscannen, und Menschen in Quarantänezelten sprechen eine andere Sprache: Solche Szenarien kennt man sonst nur aus Katastrophenfilmen, solche Bilder schüren Ängste.

Und je schlechter die Informationslage und je bedrohlicher die Bilder, desto irrationaler werden die Ängste: Sind diejenigen, die aus der Sicherheitszone kommen, bereits so schlimm verstrahlt, dass sie nicht nur selbst hochgradig gesundheitsgefährdet sind - sondern zum Gesundheitsrisiko für die Kontrollposten und ihre Umwelt werden?

"Man muss keine Angst vor diesen Menschen haben", sagt Anna Friedl, Professorin für Strahlenbiologie an der Universität München, auf Anfrage von sueddeutsche.de. Sie wehrt sich gegen den Begriff "verstrahlt": Die Expertin geht aufgrund ihrer derzeitigen Informationslage davon aus, dass die Menschen rund um das AKW Fukushima-1 bislang hauptsächlich oberflächlich kontaminiert sind. Dabei lagern sich radioaktive Partikeln auf Kleidung, Haut und Haaren ab. Bei einer Inkorporation gelangen radioaktive Stoffe dagegen über die Luft oder die Haut in den Organismus.

Wie viele Menschen in Folge des GAUs in dem japanischen Krisen-Meiler etwa 250 Kilometer nordöstlich von Tokio bereits tatsächlich verstrahlt wurden und wie schlimm die Menschen jenseits der Plastikwände durch die freigesetzten radioaktiven Stoffe kontaminiert sind, dazu schweigt die Regierung. Bislang.

Die eigene Dosierung gering halten

"Nach unseren Informationen wurden bislang hauptsächlich Cäsium-137 und Jod-131 freigesetzt", sagt Thomas Jung, Strahlenbiologe im Bundesamt für Strahlenschutz, zu sueddeutsche.de. Diese Stoffe seien flüchtig und die Dekontamination deshalb relativ einfach. Betroffene Personen müssen ihre Kleidung wechseln und sich waschen.

"Man braucht keine Spezialmittel", ergänzt Strahlenbiologin Friedl. Wichtig ist laut Jung einzig, dass beim Reinigungsprozess die Haut nicht verletzt wird, da die radioaktiven Stoffe sonst aufgenommen werden.

Die Dekontamination geschehe in den Quarantänezelten, um eine "Verschleppung von Radioaktivität" zu verhindern. Die ganze Prozedur dauere manchmal nicht länger als eine halbe Stunde, danach könnten die Betroffenen wieder aus der Quarantäne entlassen werden.

Die starken Sicherheitsvorkehrungen an den Kontaminationskontrollpunkten seien hauptsächlich Maßnahmen zum Eigenschutz der Kontrolleure, erklärt der Experte vom Bundesamt für Strahlenschutz. Da die radioaktiven Partikel locker auf Haut und Kleidung hafteten und leicht in die Luft gelangen können, müssten sich die Kontrolleure, die in ständigem Kontakt mir kontaminierten Personen stehen, mit Schutzanzügen und Partikelmasken vor der Inkorporation, dem Einatmen verseuchter Luftpartikel, schützen.

"Es geht für die Hilfskräfte darum, die eigene Dosierung möglichst gering zu halten", sagt Jung. Internationaler Konsens sei eine arbeitsbedingte maximale Strahlenbelastung von 20 Millisievert pro Jahr. Die Behörden registrierten an der Atomanlage Fukushima-1 zwischenzeitlich einen Strahlungshöchstwert von 1000 Millisievert, der aber schnell wieder absank. Jung hält es für möglich, dass die im Meiler verbliebene Rettungsmannschaft bereits hochgradig verstrahlt ist.

Strahlenbiologin Friedl ärgert die Ahnungslosigkeit (oder bewusste Desinformation?) von Seiten der japanischen Regierung auch deshalb, weil sich die Menschen gerade gegen eine oberflächliche Kontamination noch relativ einfach selbst schützen können: So setzen sich Cäsium-137 und Jod-131 besser in durchlässigen Stoffen wie Baumwolle und Wolle und schlechter in wasserabweisenden Stoffen fest.

Einen flächendeckenden Schutz vor Inkorporation durch Atemmasken bewertet Strahlenschutz-Experte Jung allerdings kritisch: Selbst seine Mitarbeiter müssten das Atmen durch die Partikelmasken üben und würden regelmäßig Lungenbelastungstests unterzogen - ungeübte Personen könnten unter den Masken leicht kollabieren.

"In der Medizin werden Patienten absichtlich verstrahlt"

Selbst bei Menschen mit einem akuten Strahlensyndrom, so betonen beide Experten, bestehe kein direktes Gesundheitsrisiko für Ärzte und Angehörige. So seien auch die Bilder von verletzten Feuerwehrmännern in Isolationsbetten nach der Katastrophe von Tschernobyl nicht mit einer Gefahr für das medizinische Personal, sondern für die Patienten selbst zu erklären. "Bei hochgradig verstrahlten Menschen wird die Immunabwehr zerstört", erklärt Jung vom Amt für Strahlenschutz. In sogenannten Sterilpflegeeinheiten seien die Patienten bestmöglich vor Krankheitserregern geschützt.

Mit den entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen kämen radioaktive Stoffe sogar bei der Behandlung von Krebspatienten zum Einsatz, erklärt Strahlenbiologin Friedl. "In der Nuklearmedizin werden Patienten absichtlich verstrahlt." An Schilddrüsenkrebs Erkrankte würden gezielt mit dem auch in Fukushima freigesetzten Jod-131 behandelt.

Die sogenannte Radiojodtherapie kommt nach der operativen Entfernung der Schilddrüse zum Einsatz, um postoperativ verbliebenes Schilddrüsengewebe abzutöten. Das verabreichte Jod-131 lagert sich ausschließlich im Schilddrüsengewebe an - andere Strukturen werden kaum verstrahlt. Nach der Therapie könne bei diesen Patienten der Geigerzähler ausschlagen, dennoch stelle es kein Gesundheitsrisiko dar, "wenn man neben diesen Menschen steht", da diese den gefährlichen Stoff inkorporiert haben.

Radioaktiv belastet und potentiell gefährlich seien allein die Ausscheidungen der Patienten: Diese würden aufbewahrt, bis die Kontaminierung abgeklungen sei und erst dann der Kanalisation zugeführt. Die Patienten könnten bereits wenige Tage nach einer Behandlung mit der sogenannten Radiojodtherapie wieder entlassen werden. "Wir empfehlen ihnen nur: 'Setzt euch eure Kinder vorerst nicht auf den Schoß'", sagt Friedl. Denn neben Urin und Kot wird Radioaktivität auch über die Schweißdrüsen ausgeschieden. Bei Kindern, deren Immunsystem noch nicht voll entwickelt ist, kann bereits der Hautkontakt mit Kontaminierten zu Gesundheitsschädigungen führen.

Auch wenn von kontaminierten Menschen zumindest für Erwachsene keine unmittelbare Gefahr ausgeht - die aktuellen Bilder aus Japan suggerieren dies. Eine Problematik, die auch die Strahlenbiologin Friedl sieht: "Strahlung ist ein ganz großer Panikmacher. Und ich habe Angst, dass Menschen, die verbluten oder noch verletzt unter den Trümmern liegen, nicht gerettet werden, weil sich die Leute davor fürchten, verstrahlt zu werden."

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