Süddeutsche Zeitung

Biologie:Japan fehlen die Baby-Elefanten

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Keine Partnerwahl, zu wenig Sex: Japanischen Zoos gehen die Afrikanischen Elefanten aus, weil die Fortpflanzung in Gefangenschaft einfach nicht gelingen will. Was tun?

Von Thomas Hahn, Morioka

Afrika liegt verschlafen im japanischen Winterwald. Tierpfleger Hideki Takehana lenkt den Kleinbus durch das abschüssige Gelände des Zoologischen Parks von Morioka im Norden der japanischen Hauptinsel Honshu. Er zeigt an Nadelgestrüpp und kahlen Laubbäumen vorbei auf eine Gruppe von Gebäuden und leeren Freiluftgehegen. Hier ist der Bereich im Zoo, in dem die Tiere vom zweitgrößten Erdteil der Welt untergebracht sind. Der Park ist wegen Umbaus geschlossen, deshalb ist nichts los. Takehana parkt vor einem mächtigen Betonbau und taucht am Eingang seine Stiefel zum Reinigen in ein Wasserbecken. Die Halle liegt in kaltem Neonlicht. Dicke Eisenstäbe ragen auf. Dahinter steht das Tier, dem Hideki Takehana ein Gefühl von Heimat geben muss: Mao, Moriokas Afrikanische Elefantenkuh, 2,60 Meter hoch, vier Tonnen schwer, 20 Jahre alt.

Zoos zeigen eine Natur, die es an ihren Standorten nicht gibt. Dieses Dilemma bereitet bei der Nachwuchspflege Probleme, vor allem bei der des größten Landlebewesens auf Erden. Der Afrikanische Steppenelefant pflanzt sich in Gefangenschaft nicht so selbstverständlich fort wie in Freiheit. Zooverbände auf der ganzen Welt kennen dieses Problem, die Japanese Association of Zoos and Aquariums, kurz Jaza, liefert dafür ein besonders deutliches Beispiel. Seit 2013 sind dort alle Versuche fehlgeschlagen, Afrikanische Elefanten zu züchten.

Allmählich gehen den Jaza-Zoos die Tiere der Gattung aus. 17 sind seit 2012 gestorben. 23 Afrikanische Elefanten sind noch übrig - darunter nur vier Bullen, von denen einer nach Jaza-Regeln nicht für die Fortpflanzung infrage kommt, weil er der Art der Waldelefanten angehört. Mao aus Morioka ist unter den 19 verbliebenen Elefantenkühen eine von denen, die ein Junges zur Welt bringen könnte. Aber vorerst zeigt ihre Geschichte vor allem, wie das Leben im Zoo die Biologie von Tieren beeinträchtigt.

Mao wurde nicht trächtig. Lag es an Taros O-Beinen?

Mao kam 2002 im Tama-Zoo von Tokio zur Welt. Ihre Eltern waren die importierten Elefanten Tamao und Ai. 2006 wurde Mao nach Morioka gebracht. Hideki Takehana reiste damals eigens nach Tokio und trainierte mit Mao einen Monat lang den Einstieg in den Transport-Container für die zwölfstündige Fahrt. In Morioka sollte sie sich mit Taro paaren, das war der Plan. "Man nennt das Breeding Loan", sagt Takehana, "Zucht-Leihe."

Taro war ein Elefantenbulle, bei dem die Fortpflanzung im Grunde schon einmal geklappt hatte. Die Elefantenkuh, mit der er 1991 aus Südafrika nach Morioka gekommen war, war von ihm trächtig geworden. Allerdings verlor sie 2001 das Kalb und starb nach der Totgeburt. Mao war der Ersatz. "Sie paarten sich, allerdings wurde Mao nicht trächtig", sagt Takehana. Er glaubt, dass das an der Zoohaltung gelegen haben könnte. "Taro hatte O-Beine, unter anderem weil er so lange auf dem Betonboden gelebt hatte. Wegen der O-Beine konnte Taro beim Geschlechtsakt nicht lange genug durchhalten, um Mao zu befruchten." 2018 starb Taro an einer Lungenentzündung. Er war 29 Jahre alt.

In der Wildnis können Elefanten bis zu 70 Jahre alt werden. Der weiche Savannenboden tut ihren Gelenken gut. Jeden Tag laufen sie viele Kilometer weit, um die Futtermassen für ihre riesigen Körper zu finden. Sie leben im Matriarchat, das heißt, die Herden mit Tieren verschiedener Generationen werden von Elefantenkühen geführt. Die Elefantenbullen streifen meistens allein durch die Savanne. Zu unregelmäßigen Paarungszeiten suchen sie die Elefantenkühe auf. Die Elefantenkühe bekommen normalerweise mit 16 das erste Kalb - nach etwa 23 Monaten Schwangerschaft. Danach haben sie mehrere Jahre keinen Eisprung, sodass nur etwa alle vier bis fünf Jahre ein Kalb geboren wird. Nach dem 50. Lebensjahr nimmt die Fruchtbarkeit ab, aber frei lebende Elefantenkühe können bis ins hohe Alter Kälber bekommen.

Im Zoo sind Elefantenkühe kürzer fruchtbar

Im Zoo ist alles anders. "Hier haben die Elefantenkühe schon mit acht die erste Periode, weil sie besser ernährt werden", sagt Takehana, "und dann nur bis etwa zum 25. Lebensjahr". Weniger Zeit also, trächtig zu werden - bei sehr viel weniger Austausch mit anderen Elefanten. "Der größte Unterschied zwischen hier und der Natur ist wahrscheinlich, dass die Elefanten keine Partnerwahl haben", sagt Hideki Takehana.

Immer wieder haben Japans Zoos in den vergangenen Jahren Elefanten getauscht, um für sie neue Reize zu setzen. Das vorerst letzte Projekt begann 2018: Hanako kam damals aus Akita in den Yagiyama-Zoo nach Sendai, um sich dort mit dem Bullen Ben zu paaren - während Sendais Lilly in Akitas Omoriyama-Zoo die Aufmerksamkeit von Daisuke auf sich ziehen sollte. "Wir haben das damals als letzte Chance gesehen", sagt Wataru Hashimoto, Leiter der Abteilung für Zucht im Zoo von Sendai. Die beiden Elefantenkühe, beide 33, wiesen damals schon jene rätselhaften Menstruationsstörungen auf, die Wissenschaftler von Zoo-Elefanten kennen. Aber der Umzug brachte nichts. Daisuke starb 2021, seither ist Lilly allein in Akita. Hanako hat in Sendai ihren Eisprung immer noch nicht wiedererlangt. Ben steht beschäftigungslos mit ihr in einem Gehege.

Mit den kleineren Asiatischen Elefanten haben Japans Zoos weniger Probleme. Japan liegt ja in Asien, die Beziehungen zu den Ländern dort sind enger als mit afrikanischen Ländern. Kaufen können Japans Zoos Asiatische Elefanten genauso wenig wie Afrikanische. Das verbietet das Washingtoner Artenschutzabkommen. Aber als Geschenk können sie importiert werden. Die neuesten drei Asiatischen Elefanten kamen 2021 im Rahmen eines Forschungsprojekts aus Kerala in Indien nach Toyohashi; insgesamt gibt es in Japan 81 Asiatische Elefanten. "Der Nachschub bleibt stabil", sagt Waka Otozu, der Elefantenzucht-Beauftragte beim Verband Jaza, "aber der Import von Afrikanischen Steppenelefanten ist kaum möglich." Die internationale Naturschutzunion IUCN führt sie auf der Liste der gefährdeten Tierarten. Tierschützer sind wachsamer als früher. Japan muss also seinen eigenen Afrikanischen Elefanten auf die Welt bringen. Für ein Safari-Projekt, das für einen Bullen die Herdensituation simuliert, fehlen Geld und Platz. In Planung ist deshalb schon die letzte Lösung. Künstliche Befruchtung. "Mit der Beratung von Experten aus Übersee", sagt Waka Otozu.

Ein echtes Elefantenleben ist im Zoo nicht möglich

Aber brauchen Japan oder andere Länder der nördlichen Hemisphäre unbedingt Afrikanische Elefanten? Jaza-Mann Otozu findet schon: "Wenn Zoos Elefanten haben, haben japanische Kinder die Chance, echte Elefanten zu sehen, und bekommen so vielleicht Interesse an der Natur." Außerdem - das sagt Otozu nicht - wird der Elefant als Attraktion gebraucht. Aber letztlich weiß jeder Elefantenkenner, dass im Zoo kein echtes Elefantenleben möglich ist.

"Ehrlich gesagt wird das nicht für immer so weitergehen", sagt Hideki Takehana in Morioka. Er und sein Kollege Kousaku Maruyama tun alles, was sie für Mao tun können. Sie beobachten sie ständig, sie passen ihre Ernährung Blut- und Urinwerten an, sie beschäftigen sie. Es reicht nicht. 13 Stunden am Tag halten sie Mao in Bewegung, indem sie ihr Heu im Elefanten-Haus und im Freigehege verteilen. "Aber das ist immer noch weit unterhalb der Bewegungszeit in der Natur", sagt Takehana. Die Einsamkeit tut ihr auch nicht gut. Nach Taros Tod verhielt sich Mao zwei Jahre lang ängstlich; sie schlief immer wieder im Stehen. Und im Winter geht sie ungern raus. In Morioka kann es minus zehn Grad werden - viel zu kalt für ein Tier, dessen Körper eigentlich die Hitze Afrikas aushalten soll.

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