Japan: Arbeiter im AKW Fukushima:"Heulen ist zwecklos"

Sie kühlen die Reaktoren, fangen radioaktiv verseuchtes Wasser auf, legen Kabel, installieren Messgeräte: Wie im AKW Fukushima-Daiichi 450 Arbeiter unter extremen Bedingungen und ständiger Lebensgefahr gegen den Super-GAU kämpfen.

Christoph Neidhart, Osaka

Im Kernkraftwerk Fukushima-1 kämpfen 450 Männer gegen die Radioaktivität, die Hitze, die Kälte und vor allem die Zeit. Und gegen Lebensumstände, die denen der Tsunami-Flüchtlinge in ihren isolierten Notunterkünften ähneln. Die Männer erhalten nur zwei spärliche Mahlzeiten pro Tag und schlafen in den Konferenzräumen und Fluren des Verwaltungsgebäudes von Fukushima am Boden. Sie decken sich mit Bleiplanen ab, um sich gegen Radioaktivität zu schützen.

Japan's 9.0-magnitude earthquake and tsunami aftermath

Die Atomruine Fukushima-1: Tepco kündigte am Mittwoch an, dass die Firma Plane, die Blöcke 1 bis 4 stillzulegen.

(Foto: dpa)

Die Männer kühlen die Reaktoren und die Brennelemente in den Abklingbecken, sie fangen radioaktiv verseuchtes Wasser auf, sie legen Kabel, sie installieren Messgeräte und Pumpen. Das dürfte noch etwa einen Monat dauern. Immer wieder muss die Arbeit unterbrochen werden, weil die Radioaktivität zu hoch ist und neue Pfützen hochradioaktiven Wassers entdeckt werden, zuletzt in den Servicetunnels unter den Turbinengebäuden. Tepco sagte am Mittwoch, die Firma plane, die Blöcke 1 bis 4 stillzulegen. Man habe nicht die Absicht, sie zu reparieren. Kurze Zeit später korrigierte Kabinettssprecher Yukio Edano: Auch die weniger kaputten Blöcke 5 und 6 würden aufgegeben.

Die 450 Männer sind Tepco- und Toshiba-Angestellte, dazu kommen Arbeiter von Zuliefererfirmen. Kazuma Yokota, Chef des Fukushima-Büros der Agentur für Nuklearsicherheit, verbrachte einige Tage mit ihnen und gab nun der Presse Auskunft: Bis zu der Explosion vom 15.März waren 800 Männer im AKW um die Stabilisierung der Lage bemüht. Dann wurden wegen der erhöhten Radioaktivität alle bis auf 50 Mann abgezogen. Die Betreiberfirma Tepco war nahe daran, die schmelzenden Kernbrennstäbe sich selbst zu überlassen. Die "Fukushima-50" haben zusammen mit der Tokioter Feuerwehr Schlimmeres abgewendet.

Das Essen - streng rationiert

Wegen der hohen Verstrahlung der Umgebung des AKW ist der Nachschub für die Arbeiter äußerst schwierig. Sie erhalten deshalb nur 30 Trockenbiskuits und eine Dose Gemüsesaft zum Frühstück und pro Tag jeder bisher 1,5 Liter Wasser. Erst seit einigen Tagen dürfen sie eine zweite Flasche Wasser verlangen. Waschen würden sie sich deshalb notdürftig mit Alkohol, so Yokota. Ihre Kleider können sie nicht wechseln, duschen können sie auch nicht.

Gearbeitet wird in den Reaktorblöcken von zehn Uhr früh bis 17 Uhr. Zum Abendessen gibt es Reiskonserven mit Gemüse und eine Dose Huhn, Fleisch oder Thunfisch. In den ersten Tagen gab es nur trockenes Brot, so ein Tepco-Angestellter, der inzwischen abgezogen wurde. "Wir träumten von einer Tasse Tee." Jeweils um acht Uhr abends haben sie Lagebesprechung, die sie mit Klatschen und einem lauten "gambaro" beenden: "Kämpft!" Dann legen sie sich auf dem Boden schlafen. In den ersten Tagen hatten sie rund um die Uhr gearbeitet. Während es in den Reaktorblöcken heiß ist, frieren sie nachts.

Die Männer erhielten viel zu wenig Unterstützung, kritisierte Hirotada Hirose, ein Professor für Psychologie. Wenn sie zu wenig Essen und Schlaf bekämen, machten sie eher Fehler. Ein Arbeiter schrieb in E-Mails: "Heulen ist zwecklos. Wenn wir jetzt in der Hölle sind, dann können wir nur noch in den Himmel kriechen." Er erzählt, sein Dorf sei vom Tsunami weggespült worden, seine Eltern seien noch immer vermisst. Und dann sagt er, was immer mehr Japanern bewusst wird: "Das Erdbeben war eine Naturkatastrophe. Aber an der radioaktiven Verseuchung ist Tepco schuld."

Er selbst sei, wie die meisten der Arbeiter, ein Tsunami-Opfer. Er mache sich Sorgen um die Kinder, die wegen der Verstrahlung jetzt woanders eingeschult werden müssten, wegen der Leute, die ihre Arbeit verloren hätten. Er bat einen Freund in Tokio, seine E-Mails zu veröffentlichen. Er hoffe, die Leute würden verstehen, dass er und seine Kollegen täten, was sie könnten. Doch: "Wer hält das aus?"

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